Politik

Markus Gildner vor seinen Sozialwohnungen bei Erlangen. (Foto: dpa)

09.10.2015

Standards senken, aber nicht alle

Wie können schnell mehr günstige Sozial- und Flüchtlingswohnungen entstehen? Experten sind uneins

Immer mehr Menschen sind auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum – das liegt nicht nur an den Flüchtlingen. Zwar werden nach Angaben der Bundesarchitektenkammer für Asylbewerber über 400 000 Wohnungen benötigt. Doch laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sind sie nur für ein Drittel des Bedarfs verantwortlich. Der restliche Anteil entfällt auf Menschen mit geringen Einkommen wie Alleinerziehende, Studenten oder Obdachlose. Grund: Insgesamt ging der Bestand an Sozialwohnungen in den letzten zehn Jahren um mehr als eine Million auf 1,4 Millionen zurück. Allein 60 000 Wohnungen fallen jedes Jahr aus der Sozialbindung heraus und können wieder teuer vermietet werden. Da helfen auch die kürzlich von Bund und Ländern zugesagten 500 Millionen nicht viel.

„Wohnungsbau ist kein spezielles Flüchtlingsthema, sondern eine Herausforderung für alle großen Metropolen“, versicherte Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) bei einem Fachgespräch auf der Münchner Immobilienmesse Expo Real. Er appellierte an Firmen, die Notsituation nicht länger auszunutzen, um eine maximale Rendite zu erwirtschaften. „Für ein Schweinegeld gehen Ladenhüter über die Theke“, schimpfte Geisel. Hamburg hatte kürzlich angekündigt, leerstehende Gewerbeimmobilien auch gegen den Willen der Eigentümer zu nutzen. So weit will Geisel nicht gehen. Der Stadt ist es auch so gelungen, ein leerstehendes Bürogebäude für 250 Asylsuchende zu einem vernünftigen Preis zu mieten. Dennoch forderte der 51-Jährige mehr sozialen Wohnungsbau und weniger Vorgaben: „In Holland kann man günstiger bauen – und da brennt es trotzdem nicht.“

Weniger Bürokratie beim Wohnungsbau verlangte auch der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Bauindustrieverbands, Thomas Schmid. Ein Schritt in die richtige Richtung seien die kürzlich vom Bundeskabinett beschlossenen Lockerungen, beispielsweise beim Bebauungsplan oder den Energieauflagen. Nach Angaben des bayerischen Bauministeriums hat auch der Freistaat unter anderem beim Brandschutz die Handlungsspielräume ausgedehnt.

Ein Erlanger zeigt, wie’s geht

Lobbyist Schmid pocht darüber hinaus auf mehr Flexibilität bei Vergabe und Ausschreibungen. Diese müssten so gestaltet sein, dass sie industrielle Fertigungsmethoden wie Fertigteilbauweisen oder die industrielle Vorfertigung von Bauteilen ebenso zulassen wie die Modulbauweise. „Es kann nicht sein, dass wir im Moment vier Monate für die Planung, sechs Monate für die Genehmigung und nochmal zwölf Monate für die Bauausführung von Gebäuden brauchen“, betonte Schmid.

Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen hält eilig errichtete Zweckbauten allerdings für keine gute Idee. „Dann stehen die Häuser herum, und man wird sie nicht mehr los“, befürchtet Präsident Alexander Rudolphi. Der Geschäftsführer der Bundesarchitektenkammer Tillman Prinz warnte ebenfalls davor, die hohen Vorgaben beim Brand- oder Schallschutz aufs Spiel zu setzen. Schließlich seien die Bewohner „keine Leute zweiter Klasse“, unterstrich er. Um die Kosten zu senken und beim Bau aufs Tempo zu drücken, wäre seiner Meinung nach eine Lockerung bei den Vorgaben für Parkplätze sinnvoll. Das reduziere die Baukosten um mehrere Zehntausend Euro pro Stellplatz.

Gleiches fordert auch der wohnungspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Jürgen Mistol. Gerade im öffentlich geförderten Wohnungsbau gebe es bei den Parkplätzen teilweise Leerstandsquoten von über 50 Prozent. Beim Brandschutz oder der energetischen Sanierung hält der Abgeordnete eine Absenkung von Standards aus Kostengründen hingegen für „aberwitzig“, weil 40 Prozent der Endenergie in Gebäuden verbraucht wird. „Hier haben wir großes Potenzial, den CO2-Ausstoß deutlich zu reduzieren.“

Wie ohne eine Absenkung der Standards trotzdem schnell und sparsam gebaut werden kann, machte Markus Gildner vom „The People Project“ vor. In der Gemeinde Eckental bei Erlangen baute er auf eigene Kosten sechs Reihenhäuser für 60 Flüchtlinge – in nur sechs Monaten. Das ist schneller als jede Containerlösung. „Teil-industrialisiertes Architektenhaus“, nennt er sein Modell. „Luxus-Asyl“, schimpfen Kritiker. Doch Gildner argumentiert ökonomisch: „Vergleicht man den Endenergiebedarf des Neubaus mit den durchschnittlichen Werten von Unterkünften für Asylbewerber, lassen sich bis zu 650 Euro pro Jahr und Bewohner nur für Heizung und Warmwasseraufbereitung einsparen“, erläuterte der 44-Jährige. Das sind allein bei dem Pilotprojekt jährlich 39 000 Euro.

Da die Neubauten den aktuellen Anforderungen des vorbeugenden Brandschutzes entsprechen, hat die Gebäudeversicherung zusätzlich die Prämie um rund 40 Prozent reduziert. Verzichtet hat Gildner auf Keller, aufwendige Außenanlagen und riesige Gemeinschaftsräume, in denen es anderswo regelmäßig zu Spannungen kam. Das alles reduziert die Betriebskosten für die öffentliche Hand. Wenn die Asylbewerber nach Ende des Mietvertrags mit der Regierung von Mittelfranken in zehn Jahren wieder ausgezogen sind, können die Wohnungen laut Bauherr als Reihenhäuser oder kleinteilige Wohnungen genutzt werden.

Um für ein solches Projekt von Förderbanken Geld zu bekommen, bedarf es allerdings einiger Voraussetzungen, erklärte Andreas Tied von der Investitionsbank Berlin: Betreiber müssten langjährige Erfahrungen und gute Reputation aufweisen, langfristige Mietverträge und feste Mindesteinnahmen garantieren sowie neben einem Nachnutzungskonzept den „langfristigen Investitions- und Cash-Flow planen“. Da platzte dem Immobilienprojektentwickler Jürgen Erbach von der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Holzminden der Kragen: „Es geht doch nicht nur ums Geld verdienen“, schimpft er. Flüchtlinge könnten im Winter nicht in Zelten leben. Daher appelliert Erbach an die Immobilienbranche: „Macht Büroflächen frei und zeigt endlich gesellschaftliche Verantwortung!“ (David Lohmann)

Kommentare (2)

  1. Vermieter am 09.10.2015
    """" „Macht Büroflächen frei und zeigt endlich gesellschaftliche Verantwortung!“"""

    Es stehen in bayerischen Gemeinden genügen Büroflächen leer.
  2. Vermieter am 09.10.2015
    """"""Wenn die Asylbewerber nach Ende des Mietvertrags mit der Regierung von Mittelfranken in zehn Jahren wieder ausgezogen sind,"""""

    Das Problem ist doch Sie bekommen da keinen mehr raus!!!
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