Politik

Besonders begehrt in Bayern: angehende Bäcker. (Foto: dpa)

22.09.2017

Suche Azubi, biete Wohnung

Auch weil ein Studium für viele attraktiver ist, herrscht akuter Lehrlingsmangel – wie die Politik das ändern will

Letzte Chance für 2017“ hat eine Bäckerei ihr Ausbildungsangebot überschrieben. „Wir suchen DICH!“, „Bei uns machst DU Karriere“ werben andere Unternehmen. Die Internet-Börsen für Lehrstellen sind voll von solchen Anzeigen – obwohl das Ausbildungsjahr bereits begonnen hat.

Viele Firmen bieten Lehrlingen dabei längst nicht mehr nur eine Ausbildung an. Ein Lebensmittelkonzern legt Wohnungen und Einkaufsgutscheine obendrauf. Ein Sanitär-Betrieb zahlt seinen Azubis bei guten Leistungen einen Teil der Führerschein-Kosten. Und eine Restaurant-Kette verspricht den drei besten Lehrlingen im dritten Ausbildungsjahr sogar ein Fahrzeug. Das zeigt, wie hart die Firmen miteinander mittlerweile im Wettbewerb stehen, wenn es um Auszubildende geht.

Aus gutem Grund: Zum 1. September gab es laut bayerischem Arbeitsministerium noch 28 780 unbesetzte Lehrstellen im Freistaat. Aber nur mehr 10 821 Bewerber. Auch wenn sich diese Differenz in den kommenden Wochen noch verringern wird, klar ist: Bayerns Betrieben fehlen Tausende von Lehrlingen. Und damit auch die Fachkräfte von Morgen. „Der Fachkräftemangel“, konstatiert Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), „belastet die Wirtschaft zusehends.“ Es sei ihr deshalb ein großes Anliegen, für die betriebliche Ausbildung zu werben und diese als gleichwertig neben der universitären Ausbildung zu etablieren.

Nach einer aktuellen Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) kann fast jeder dritte Betrieb in Deutschland seine Lehrstellen aus Mangel an geeigneten Bewerbern nicht besetzen. Das sind fast doppelt so viele Betriebe wie noch vor zehn Jahren. „Fast jeder zehnte Ausbildungsbetrieb hat noch nicht einmal eine einzige Bewerbung erhalten“, erklärt DIHK-Präsident Eric Schweitzer. „Uns geht der Nachwuchs aus.“ Laut DIHK ist die Lage im Gastgewerbe am schwierigsten. 58 Prozent der Betriebe dort können ihre Lehrstellen nicht besetzen. Besonders stark zugenommen habe der Azubimangel zudem im Baugewerbe. In Bayern sind besonders angehende Bäcker, Handelsfachwirte, Fachverkäufer und Friseure gefragt.

Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze in Bayern steigt, vor allem dank der florierenden Wirtschaft. Die Zahl der Bewerber hingegen geht zurück. Aus dem Lehrstellenmangel Anfang der 2000er-Jahre ist längst ein Lehrlingsmangel geworden. Das liegt vor allem an zwei Gründen. Zum einen ist da der demografische Wandel. Mit der Generation Z rücken die geburtenschwachen Jahrgänge in den Arbeitsmarkt nach. Es stehen, wie Personaler sagen, weniger Human Resources zur Verfügung.

40 Prozent aller Viertklässer gehen aufs Gymnasium

Grund zwei ist die zunehmende Akademisierung. Immer mehr Schüler, nicht nur in Bayern, besuchen ein Gymnasium. 40 Prozent aller Viertklässler sind es im Freistaat in diesem Jahr. Und wer das Abitur in der Tasche hat, entscheidet sich immer öfter für die Hochschule. Vier von fünf bayerischen Abiturienten beginnen ein Studium. „In Bayern“, bilanziert eine Sprecherin des bayerischen Arbeitsministeriums, „gibt es mittlerweile weniger junge Menschen, die eine duale Berufsausbildung anfangen, als Studienanfänger.“

Allerdings brechen 30 Prozent davon ihr Studium wieder ab. Hier sieht der SPD-Bildungsexperte Martin Güll einen wichtigen Ansatz. „Es muss nicht jeder Abiturient studieren“, sagt der Vorsitzende des Bildungsausschusses im Landtag. „Wenn es uns gelingt, diese jungen Menschen rechtzeitig für einen Ausbildungsberuf zu begeistern, ist uns allen geholfen.“ Derzeit beginnen von 100 Abiturienten nur zwei bis drei eine duale Ausbildung.

Güll fordert zum einen eine staatliche Informationskampagne für die Vorteile einer Berufsausbildung. „Viele Eltern wissen gar nicht, welche hervorragenden Zukunftsperspektiven Ausbildungsberufe bieten.“ Zum anderen will er ein Gesamtkonzept für die Berufsorientierung in allen Schularten ab der 8. Jahrgangsstufe einführen. Denn derzeit würden Jugendliche am Gymnasium kaum auf die Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung hingewiesen.

„Wir müssen gezielt auf Studienabbrecher zugehen“, sagt Ilse Aigner. Das Ressort von Emilia Müller verweist auf ein Projekt im Rahmen des „Pakts für Berufliche Bildung“, mit dem Studienabbrecher für die Berufsausbildung gewonnen werden sollen. Spezielle Akquisiteure stehen den Studenten als Berater zur Verfügung. „Das Projekt wurde zum 1. September auf die bayerischen Universitäten ausgeweitet“, so eine Sprecherin des Arbeitsministeriums.

Dass die Staatsregierung das Thema nicht verschlafen hat, müssen selbst Oppositionspolitiker zugeben. Davon zeugt auch eine schier unüberschaubare Vielzahl von staatlich geförderten Projekten und Initiativen, die alle zum Ziel haben, mehr junge Menschen in eine Ausbildung zu bringen. Das geht bei der Teilzeit-Ausbildung für junge Mütter und Väter los und endet bei Projekten für Menschen mit speziellem Förderbedarf, wie etwa Flüchtlingen.

Doch gerade bei Flüchtlingen sieht Thomas Gehring, bildungspolitischer Sprecher der Landtags-Grünen, große Versäumnisse bei der Staatsregierung. „Berufliche Integration von Flüchtlingen wird gegenwärtig durch die rechtlichen und administrativen Vorgaben der Staatsregierung blockiert“, sagt er. „Wir fordern: Wer eine Berufsschule besucht und/oder eine Ausbildung absolviert, braucht einen gesicherten Aufenthalt.“

Einig sind sich Gehring und Güll, dass in Bayern die Berufsschulen besser ausgestattet werden müssen, damit eine Lehre wieder attraktiver wird. Güll beklagt vor allem den Unterrichtsausfall. Gehring sieht die Hauptherausforderung darin, dass die Schulen künftig differenzierte Angebote einstellen müssen – für Studienabbrecher genauso wie für leistungsschwächere Schüler.

Klar ist: Es besteht Handlungsbedarf. Die bayerischen Industrie- und Handelskammern rechnen heuer mit einem Rückgang der Ausbildungsverträge um 0,4 Prozent. Und auch wenn die Handwerkskammern von einem Plus von 2,8 Prozent ausgehen, eine echte Trendwende ist nicht in Sicht. Denn in den kommenden Jahren wird die Zahl der Schulabgänger weiter sinken. Und sich der Kampf um Azubis im Freistaat verschärfen. (Beatrice Oßberger)

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