Politik

Hochhäuser (hier im Münchner Arabellapark): Ist das die Zukunft des Wohnens? Zumindest in Ballungsräumen scheint es so. (Foto: dpa)

25.11.2016

Verdichten auf Teufel komm raus

Beim Kommunalgipfel der Bayern-SPD diskutierten Gemeindeoberhäupter die Frage, wie man preisgünstig mehr Wohnraum schaffen kann

Zwischen der Landeshauptstadt München und der Marktgemeinde Gaimersheim im Landkreis Eichstätt liegen rund 80 Kilometer – und doch sind sie auf das Engste miteinander verbunden. Die beiden sozialdemokratischen Rathauschefs – OB Dieter Reiter und Bürgermeisterin Andrea Mickel – dokumentieren beim SPD-„Kommunalgipfel“, dass Wohnungsmangel und explodierende Mieten nicht mehr allein die Großstädte, sondern zunehmend auch den ländlichen Raum betreffen. Seit acht Jahren regiert die 50-jährige Andrea Mickel, eine frühere Bauzeichnerin, ihren rund 12 000 Einwohner zählenden Heimatort. Gaimersheim, idyllisch am Rand des Altmühltals gelegen, war immer ein Ort, an den man nur aus privaten Gründen zog oder weil man das Landleben schätzte.

Inzwischen ist die Kommune die letzte Rettung des aus allen Nähten platzenden Ingolstadt, das in zehn Jahren seine Einwohnerzahl um rund zehn Prozent steigerte und nun auf die Zahl von 140 000 Bewohnern zumarschiert. Im Verhältnis ein größeres Wachstum, als es selbst München vorweisen kann.

Doch viel Platz ist auch in Gaimersheim nicht mehr. „Unsere letzten freien Grundstücke haben wir vor fünf Jahren verkauft“, berichtet die Bürgermeisterin. Und natürlich wurden diese so bebaut, wie es im ländlichen Raum üblich ist: „Einfamilien- oder Reihenhäuser.“ Gerade entsteht ein schon länger genehmigter neuer Supermarkt, und Andrea Mickel hat bei dem Bauherrn vorsichtig angefragt, ob er sich vorstellen könnte, auf diesen Flachbau noch eine oder zwei Etagen mit Wohnungen draufzusetzen. Antwort: „Nein.“

20 neue Wohnungen entstehen derzeit im Ort noch, dann ist erst mal Schluss. In München kann sich OB Reiter mit so einer Verweigerungshaltung nicht zufriedengeben. Aufstockungen auf schon vorhandene beziehungsweise entstehende Gewerbeimmobilien sind schließlich eine der wenigen Möglichkeiten, mit denen die inzwischen fast 1,6 Millionen Einwohner zählende und jährlich fast 30 000 Neu-Bürger aufnehmende Landeshauptstadt überhaupt noch neue Wohnungen schafft. Was günstiger ist als Neubauten.

Zwangsenteignung als Ultima Ratio?

Angesagt ist also Verdichten auf Teufel komm raus. Die architektonische Zukunft von Boom-Städten wie München werden dann wohl Achtgeschosser sein. Da müssen Abstriche gemacht werden. Zum Beispiel bei Kinderspielplätzen. Schon jetzt, klagt der Deutsche Kinderschutzbund, liefern viele Baufirmen bei Spielplätzen nur noch den gesetzlich vorgeschriebenen Minimalismus.

Hinzu kommen weitere Probleme: etwa die Stellplatzverordnung, die für neue Wohnungen auch Parkplätze verlangt. Wo neue Häuser entstehen, werden deshalb meist Tiefgaragen mitgeplant. Bei der Aufstockung bestehender Gebäude aber wird das schwierig. Auch Fluchtwege, wie sie die Brandschutzvorgaben vorschreiben, erweisen sich bei Extra-Wohnungen plötzlich als zu klein. Und Fahrstühle müssen ebenfalls sein. Was bei Aufstockungen meist nur an der Außenwand funktioniert, dann aber schlecht ins Stadtbild passt.

An dieser Stelle der SPD-Veranstaltung kommt der Gastgeber ins Spiel: der Landesvorsitzende Florian Pronold, Staatssekretär im Bundesbauministerium. Als solcher drängt er die Länder, endlich ihre 16 verschiedenen Bauverordnungen zu vereinheitlichen und überflüssige Vorgaben zu eliminieren. Pronold könnte sich aber auch an die eigene Nase fassen und beispielsweise teure und nur scheinbar ökologische Dämmschutzrichtlinien lockern – die sind nämlich eine Vorgabe des Bundes, nicht der Länder.

Sollte das alles nicht reichen, träumt der SPD-Landeschef von einer „Bodenreform“. Darunter versteht Pronold unter anderem das Recht von Bürgermeistern, brachliegende, aber für den Wohnungsbau geeignete Flächen gegen den Willen der Besitzer zu beschlagnahmen. Dann aber, so die Botschaft, könnte endlich so viel gebaut werden, dass alle sozial Schwachen untergebracht werden: „Die alleinerziehende deutsche Mutter ebenso wie die syrische Flüchtlingsfamilie“, so Pronold.

Manche Bürgermeister würden das vielleicht sogar tun. Aber viele haben auch Verständnis für die zögerliche Haltung der Grundstücksbesitzer. In Oberbayern ist das Problem besonders akut. Josef Steigenberger (Freie Wähler) ist Bürgermeister der Gemeinde Bernried am Starnberger See. Er berichtet von Eltern, die Angst haben, dass sich ihre Söhne und Töchter als jung Verheiratete den Heimatort nicht mehr werden leisten können – oder bestenfalls noch eine kleine Wohnung in den mehrgeschossig bebauten letzten freien Flächen.

Das wollen die jungen Einheimischen aber nicht. Sie wollen richtige Einfamilienhäuser, möglichst mit einem kleinen Garten, in ihrer Heimat besitzen wie die Generationen vor ihnen. Also zögern die Alten mit der Herausgabe der wenigen Bauflächen an Investoren – und nicht etwa aus Geldgier. Was weg ist, ist weg.

Zumal im sozialen Wohnungsbau ohnehin äußerst preisgünstig gebaut wird. Ernst Böhm, Aufsichtsratschef der B&O-Firmengruppe aus Bad Aibling, weiß auch, warum. „In München beispielsweise kostet mich der Quadratmeter Wohnungsneubau mindestens 2400 Euro. Damit werden Mietpreise unter zehn Euro kalt unrentabel. Aber mehr Miete gilt als unsoziale Abzocke.“

Das setzt sich auch bei der Innenausstattung fort: Bäder, Küchen – von allem nur das Preisgünstigste, häufig nicht mal ein Balkon. Stadtplaner und Soziologen geben zu bedenken, das solche Wohnungen von Menschen oft nur als Provisorium betrachtet werden – was eine hohe Fluktuation und damit ein noch schnelleres „Abwohnen“ begünstigt, was diese Wohnungen noch unattraktiver macht.

Dass nicht schneller gebaut wird, liegt aus Sicht des Bauunternehmers am Staat: „Innerhalb von vier Wochen, heißt es, sei ein Bauantrag zu bearbeiten“, berichtet Böhm, „doch manchmal dauert es bis zu vier Monate.“ Hinzu komme die Neigung der Bürgermeister und Gemeinderäte, mit Rücksucht auf örtliche Handwerksmeister jedes Gewerk bei einem kommunalen Wohnungsbauprojekt einzeln auszuschreiben, statt einen Generalunternehmer zu beauftragen. „Wenn da nur einer stockt, dann zieht sich das alles ewig.“

Aber auch die potentiellen Mieter lässt Ernst Böhm nicht ungeschoren. Heute sei komfortverwöhnten Singles selbst eine Zwei-Zimmer-Wohnung noch zu klein. Böhm sagt: „Wir müssen wieder bescheidener werden, was genutzten Wohnraum betrifft.“ (André Paul)

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