Politik

Bei der Gedenkfeier für die Opfer der Terrorzelle NSU stellte der Bundestag für jeden der Toten eine Kerze auf. (Foto: dapd)

06.07.2012

Verfassungsschutz im Zwielicht

In Bayern beginnt die Aufklärung der NSU-Mordserie - waren bayerische Behörden auf dem rechten Auge blind?

Es ist ja nicht so, dass nicht umfassend ermittelt worden wäre. Mehrere Sonderkommissionen haben sich in Bayern mit den fünf Morden an ausländischen Mitbürgern seit dem Jahr 2000 befasst, verdeckte Ermittler waren im Einsatz, Tausende Daten und Spuren wurden verfolgt und abgeglichen. Erfolg hat das alles nicht gebracht, denn zu sehr hatten sich die Ermittler darauf versteift, dass die Attentate Milieu-Morde an zugewanderten Kleinunternehmern waren. Vielleicht Drogengeschäfte, vielleicht Organisierte Kriminalität – aber rechter Terror? Dieser Gedanke spielte bei den Strafverfolgern nur eine untergeordnete Rolle.
Warum in Bayern jahrelang den falschen Spuren nachgegangen wurde, will nun ein Untersuchungsausschuss im Landtag klären. Am Donnerstag hat sich das neunköpfige Gremium konstituiert. Die Zeit drängt: In einem Jahr schon, vor der Landtagswahl, muss der Schlussbericht vorliegen. Zwar beschäftigen sich auch im Bundestag und in den Landtagen von Sachsen und Thüringen Parlamentarier mit der Aufklärung der Mordserie durch die rechte Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), die bundesweit zehn Menschenleben forderte. Im Maximilianeum will man nun aber die bayerischen Spezifika herausarbeiten.

Zusammenarbeit mit den Bayern: "unter aller Kanone"


„Es geht nicht an, dass in anderen Parlamenten bayerische Behörden Gegenstand von Untersuchungen sind und ihnen Fehlverhalten vorgeworfen wird, während wir in Bayern nichts tun“, sagt der Ausschussvorsitzende Franz Schindler (SPD). So habe es im Bundestag geheißen, die Zusammenarbeit zwischen dem Verfassungsschutz und den Polizeibehörden in Bayern sei „unter aller Kanone“ gewesen. Nicht umsonst stehen diese Vorwürfe und die Rolle des Landesamtes für Verfassungsschutz dabei im Mittelpunkt der Untersuchungen im Landtag. Die Antworten des Innenministeriums auf parlamentarische Anfragen seien nicht zufriedenstellend gewesen, so Schindler. Susanna Tausendfreund (Grüne) nennt die Berichte von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) „äußerst lückenhaft“. Der Ausschuss wird ins Detail gehen. Schindler verspricht „akribische Aufklärung“.
Die Fragen, die Schindler vor allem den Verfassungsschützern stellen will, rühren am Selbstverständnis einer Behörde, die den Freistaat genau vor solchen terroristischen Taten bewahren soll. Hatte das Landesamt die Radikalisierung der rechten Szene und ihre Kontakte nach Thüringen und Sachsen sorgfältig genug im Blick? Sind die Verfassungsschützer auch von sich aus tätig geworden und nicht nur widerwillig auf Bitten der Polizei? Und was ist bei der „Operation Rennsteig“ herausgekommen, bei der zwischen 1997 und 2003 Rechtsextremisten in Nordbayern und Thüringen unter Beobachtung standen – just in der Zeit, als sich der NSU gründete und die ersten Morde geschahen? Ob solcher Fragen schwant dem Chef des bayerischen Verfassungsschutzes, Burkhard Körner, dass sich sein Amt in einer „schwierigen Situation“ befinde. „Das Renommee, das wir uns in Bayern aufgebaut haben, hat Schaden genommen“, sagt Körner. Er selbst kann dafür kaum haftbar gemacht werden, er übernahm sein Amt erst 2008.

Extrem ahnungslos?


Womöglich wird der Verfassungsschutz in Bayern nach dem Ausschuss ein anderer sein als heute. Er schließe organisatorische oder personelle Konsequenzen nicht aus, erklärt Schindler vorsichtig. Auch sein Stellvertreter im Ausschuss, Otmar Bernhard (CSU), hält „Veränderungen in der bayerischen Sicherheitsarchitektur“ für möglich. Andreas Fischer (FDP) will eine „Schwachstellenanalyse“ durchführen. Schließlich seien Fehleinschätzungen von Behörden „mitursächlich“ dafür gewesen, dass der NSU jahrelang „ungehindert morden konnte“. Für die Grüne Tausendfreund könnte am Ende der Ausschussarbeit gar die Auflösung des Verfassungsschutzes stehen. Dieser habe sich einmal mehr „extrem ahnungslos“ gezeigt.
Dem Ausschuss geht es aber nicht nur um Aufklärung und Konsequenzen, sondern auch um ein Signal an die Angehörigen der Opfer. Diese seien über Jahre wie Beschuldigte behandelt worden, kritisiert Michael Piazolo (FW). Es soll nicht der Hauch eines Zweifels bleiben, dass bei der Aufarbeitung der Morde nun noch irgendetwas vertuscht werde, betont dazu Schindler. Es dürfe sich nicht der Eindruck verfestigen, Verfassungsschutz und Polizei würden bei Morden an Türken oder Griechen sowie bei rechtsextremistischen Taten nicht so genau hinschauen. „Wenn es das Ergebnis wäre, dass der Verfassungsschutz gerne auf dem rechten Auge blind ist, dann wäre das schlimm“, betont Schindler. Er wünsche sich sehr, dies in seinem Abschlussbericht nicht feststellen zu müssen. (Jürgen Umlauft)

Kommentare (1)

  1. gauni2002 am 08.07.2012
    als Hobbysatiriker plädiere ich gegen die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Mir macht es immens Spaß, den Dilettantismus dieses Vereines aufs Korn zu nehmen, bzw. Friedrichs durch den Kakao zu ziehen. Ausserdem bin ich doch froh,dass wenigstens einer meine Postings in den social Communitys liest und so besorgt ist und mich überwacht.
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