Politik

Die Staatsregierung plant an 55 staatlichen Schulen in Bayern ein Pilotprojekt, bei dem die Schüler zwei Jahre den Unterricht von Referendaren bewerten. An Privatschulen fließt das Feedback sogar bei den Personalgesprächen ein. (Foto: dpa, Collage: BSZ)

01.07.2016

Viel Lärm ums Feedback

Experten sind uneins, ob Schüler Lehrer bewerten sollen – dabei funktioniert es andernorts gut

Der Verband Bayerischer Privatschulen (VBP) kann die Aufregung um die Beurteilung angehender Lehrer nicht verstehen. „Wir führen seit 14 Jahren interne Evaluationen durch“, sagt deren Vorsitzender Bernd Dietrich der Staatszeitung. Dabei können Schüler sogar das „angenehme Äußere“ der Lehrkräfte bewerten. Und im Gegensatz zu den staatlichen Schulen fließt das Ergebnis ins Personalgespräch ein.

Das Kultusministerium hingegen plant lediglich an 55 staatlichen Schulen in Bayern ein Pilotprojekt, bei dem die Schüler zwei Jahre lang zweimal jährlich den Unterricht von Referendaren bewerten. Dies ist in Berufsschulen und bei der Lehrerausbildung bereits Standard. Es gehe dabei allerdings nicht um Benotung, betont Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich. „Die Referendare sollen die Rückmeldungen der Schüler mit einem Lehrer ihrer Wahl besprechen, aber sie fließen selbstverständlich nicht in ihre Staatsexamensnote ein.“

An Privatschulen müssen sich Lehrer zuerst selbst einschätzen. Danach erhalten sie das Profil der Schüler und eines Durchschnittslehrers, um sich vergleichen zu können. In der Zielvereinbarung werden dann zwei bis drei Bereiche herausgegriffen. „Dadurch sieht der Schulträger auch, wo er steht“, so VBP-Chef Dietrich.

Im jetzt geplanten bayerischen Projekt für staatliche Schulen hingegen erstellt das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung die Bewertungsbögen. Dabei geht es um Fragen wie Unterrichtsgestaltung, Medien- oder Gruppenarbeit. Die Referendare sind aber in der inhaltlichen Gestaltung frei. Ziel ist die Stärkung der Feedback-Kultur, die der Weiterentwicklung der Unterrichtsqualität dienen soll.

Max Schmidt, Vorsitzender des bayerischen Philologenverbands (bpv), nennt das Vorhaben eine „Zwangsbeurteilung von Lehrkräften durch Schüler“. Es sei blauäugig zu glauben, damit bayernweit einen Schub zu einem besseren Unterricht erreichen zu können. Er sieht sogar die Gefahr, dass Lehrkräfte wegen der verpflichtenden Rückmeldungen aus der „eingeschränkten Schülerperspektive“ die Schere im Kopf haben bei der Benotung der Schüler. Erfahrungen aus angelsächsischen Ländern zeigten, „dass solch negative Effekte entstehen können und sie zudem eine Bestnoteninflation provoziert – nach dem Motto: ’Ich tue dir nichts, du tust mir nichts’“, argumentiert der bpv-Vorsitzende.

Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Schüler hat VBP-Chef Dietrich nicht: Die Ergebnisse der Evaluationen unterschieden sich von Jahrgang zu Jahrgang nur um ein bis zwei Prozent, das sei fast erschreckend. Auch eine Bestnoten-inflation gebe es aus einem einfachen Grund nicht: „Wenn eine Lehrkraft zu gute Noten vergibt, fühlen sich die Schüler, die mehr getan haben, ungerecht behandelt.“ Das wiederum spiegele sich dann in der Bewertung wider.

Dem Vorsitzenden des Bildungsausschusses im Landtag Martin Güll (SPD) geht das Vorhaben des Kultusministeriums nicht weit genug. Beim letzten Schülerkongress in Nürnberg hätten sich die Teilnehmer ein demokratisches Mitspracherecht für den gesamten Schulbereich gewünscht – das werde mit dem Modellversuch überhaupt nicht angestrebt. „Die CSU-Staatsregierung betreibt Augenwischerei, denn sie will alles, nur keine echte Mitwirkung der Schüler und auch der Eltern“, sagt der Abgeordnete der BSZ. Wenn das Kultusministerium ihnen das aber nicht zutraue, könne auch kein Vertrauensverhältnis entstehen.

Unterstützung erhält Güll vom bildungspolitischen Sprecher der Freien Wähler, Günther Felbinger: „Eine gelebte Feedback-Kultur kann nicht einfach von oben verordnet werden, sondern es braucht eine Basis des Vertrauens.“ Den Pilotversuch auf die Referendare zu begrenzen, sende ein falsches Signal aus – es müssten alle Lehrkräfte bewertet werden können.

Privatschulen sind strenger

Schülerrückmeldungen für alle Lehrkräfte fordert auch Thomas Gehring (Grüne). Grundsätzlich steht er dem Vorstoß des Kultusministeriums aber offen gegenüber. „Kontinuierlich praktizierte Feedback-Gespräche bieten den Nährboden für die Etablierung einer Feedback-Kultur“, ist er überzeugt.
Ähnlich sieht es der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). „Wenn wir demokratische Bildung wollen, spricht alles für Feedback“, sagt deren Präsidentin Simone Fleischmann der BSZ. Allerdings mahnt sie Staatssekretär Eisenreich, bei der verpflichtenden Implementierung „vom Gas zu gehen“. Erstens stünden Referendare sowieso schon genug unter Stress. Und zweitens: „Was hat jemand von einem Feedback, das er gar nicht will?“

In anderen Bundesländern gehören Schüler-Lehrer-Bewertungen allerdings längst zum Alltag. In Baden-Württemberg nicht nur in der Lehrerausbildung, sondern häufig auch verpflichtend für Berufsschullehrer oder wissenschaftliche und technische Lehrkräfte. In Nordrhein-Westfalen gibt es seit 2010 das Online-Schülerfeedbackverfahren „SEfU – Schüler als Experten für den Unterricht“ für Grundschulen, die weiterführenden Schulen und Berufskollegs. Die Teilnahme ist aber freiwillig und die Ergebnisse sind nur für den Lehrer einsehbar. Das Projekt war eine Antwort auf Internetportale wie das inzwischen abgeschaltete Spickmich, bei dem Lehrer oft beschimpft wurden.

Beleidigungen scheinen zumindest in Bayern nach der Abschaltung solcher Webseiten kein verbreitetes Problem mehr zu sein. „Aus unserer Erfahrung heraus ist die Bewertung von Lehrern in einschlägigen Foren in den letzten Jahren nicht mehr besonders auffällig“, sagt Benedikt Mayer von der Referendar- und Jungphilologenvertretung beim bpv. Zwar würden sicherlich häufig Facebook- oder Whatsapp-Gruppen für „Bewertungen“ genutzt. „Bezüglich eines echten Feedbacks können wir aber nur sagen, dass selbst bei anonymen Antworten wirklich nur vereinzelt unqualifizierte beziehungsweise beleidigende Texte auftauchen.“ Auch dass Schüler Lehrer, wie von bpv-Chef Schmidt befürchtet, „massiv unter Druck setzen“, kann Mayer nicht erkennen: „Der Großteil unserer Schüler verhält sich sehr korrekt und hilft den Referendaren konstruktiv weiter.“ (David Lohmann)

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