Politik

Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin: Der Völkermord an ihnen wurde erst 1982 durch Helmut Schmidt anerkannt. (Foto: dpa)

11.09.2014

"Viele verschweigen ihre kulturelle Identität"

Erich Schneeberger, bayerischer Vorsitzender der deutschen Sinti und Roma, über Diskriminierung, Unkenntnis und seine Forderungen an die Politik

Sinti und Roma stoßen in Deutschland auf mehr Ablehnung als jede andere Gruppe  -  das ist das erschreckende Ergebnis einer aktuellen Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Jeder dritte Deutsche möchte demnach keine Sinti und Roma als Nachbarn. Erich Schneebergers Eltern waren Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Der 63-Jährige ist Vorsitzender des bayerischen Landesverbands der deutschen Sinti und Roma. BSZ: Herr Schneeberger, haben Sie die Ergebnisse der Studie überrascht?
Erich Schneeberger:  Nein, überhaupt nicht. Aber die Studie ist sehr notwendig, und die Ergebnisse sind alarmierend. Jeder Fünfte schlägt eine Abschiebung von Sinti und Roma aus Deutschland vor. Aber wohin wollen sie uns denn abschieben? Wir deutsche Sinti sind seit über 600 Jahren in diesem Land. Die deutschen Roma seit über 200 Jahren. Da merkt man doch, dass in den Köpfen einiges nicht in Ordnung ist. Viele Sinti und Roma bekennen sich gar nicht mehr zu ihrer kulturellen Identität, verschweigen sie. Denn sie haben Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung. Die meisten leben in den bayerischen Großstädten verstreut, und die Nachbarn wissen meist nicht, dass sie Angehörige der Sinti oder Roma sind.  BSZ: Woher kommen die Vorurteile?
Schneeberger:  Schuld daran sind auch die Medien, die sich immer nur auf ein bestimmtes Bild konzentrieren. Doch die deutschen Sinti und Roma haben mit der Migrationsproblematik, die in den Medien gerne thematisiert wird, nichts zu tun. Das wird aber nicht gezeigt. Gezeigt werden die Ärmsten der Armen in Bulgarien oder Rumänien, um Vorurteile und  Klischees zu bestätigen. Diese Menschen haben aber eine ganz andere kulturelle Identität wie die Sinti und Roma in Deutschland. Mit nur einem Bericht wird unsere gesamte Antidiskriminierungsarbeit wieder zunichte gemacht. Das tut uns als Angehörige der Minderheit sehr, sehr weh.
BSZ: Was fordern Sie?
Schneeberger:  Einen Sitz im Medienrat  - und das seit Jahren. Doch obwohl Ministerpräsident Horst Seehofer mir bereits in einem Gespräch 2010 einen Sitz in Aussicht gestellt hatte, scheiterte das bislang an der Haltung des Medienrats.  BSZ: Haben Sie persönlich schon Diskriminierung erlebt?
Schneeberger:  Gerade erst wieder. Ich wollte vor Kurzem mit dem Büro umziehen. Die Maklerin fragte mich, für welchen Verband ich genau arbeite. Als ich ihr es sagte, antwortete sie sofort, dass sie darüber erst noch einmal mit dem Vermieter, einer Erbengemeinschaft, sprechen müsse. Und die hat abgelehnt. Ähnlich erging es mir persönlich, als ich in die Nürnberger Nordstadt ziehen wollte. Als Landesverbandsvorsitzender bin ich sozial und finanziell gut gestellt, darüber müsste sich doch jeder Vermieter freuen. Aber als ich erklärte, wer ich bin, war die Wohnung plötzlich schon vergeben. BSZ: Wie viele Sinti und Roma leben überhaupt in Bayern?
Schneeberger: Wir gehen von 12 000 deutschen Sinti und Roma in Bayern aus. Wie viele Migranten hier leben, weiß ich nicht, deren politische Vertretung bin ich auch nicht. BSZ: Lässt sich das so genau trennen, die Vorurteile treffen alle, oder?
Schneeberger: Das ist in der Tat schwierig - auch für mich persönlich. Aber Menschen, die aus Rumänien und Bulgarien kommen, sind eben auch in erster Linie Rumänen und Bulgaren. Als solche verstehen sie sich ja auch selbst. So wie wir uns als Deutsche verstehen. Warum muss man  die ethnische Zugehörigkeit so stark herausheben?   

"Mehr als erschrocken, wie Stimmungsmache auf dem Rücken von armen Zuwanderern betrieben wurde"

BSZ: Was empfinden Sie bei den Diskussionen über Arbeitszuwanderung und Sozialtourismus? 
Schneeberger: Wir waren mehr als erschrocken, wie hier vonseiten der Politik und Teilen der Medien Stimmungsmache auf dem Rücken von armen Zuwanderern betrieben wurde, um den rechten Rand der Wähler abzufischen. Mit Slogans wie „Wer betrügt, der fliegt“ wird Politik auf Kosten von Migranten, die angeblich unsere Sozialkassen plündern, gemacht. Aber die Statistiken sind eindeutig: Rumänen und Bulgaren tauchen darin verschwindend gering auf. Diese Leute belasten nicht unsere Sozialkassen. Im Gegenteil: Viele werden von den Deutschen als billige Arbeitskräfte, die man mit drei Euro in der Stunde abspeist, ausgenützt. BSZ: Sinti und Roma sind die einzige in Bayern anerkannte Minderheit...
Schneeberger: …und im Jahr 2007 habe ich mit dem damaligen Ministerpräsident Edmund Stoiber eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der sich der Freistaat dazu bekennt, die Situation der Sinti und Roma in Bayern in besonderer Weise zu behandeln. Das war für mich ein wichtiger Zwischenschritt. Was wir aber seit Jahren fordern, ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der die effektive Umsetzung des europäischen Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten regelt. In Baden-Württemberg  haben Staatsregierung und Landtag mit den Sinti und Roma gerade einen Staatsvertrag geschlossen, der darüber hinaus die Verpflichtung enthält, den Landesverband in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu unterstützen. Und Schleswig-Holstein ist das einzige Land, das den Schutz der Sinti und Roma in seiner Landesverfassung verankert hat. BSZ: Ein Ergebnis der Studie ist auch, die Menschen wissen erschreckend wenig über die Geschichte der Sinti und Roma. Sie betreiben auch Aufklärungsarbeit in den Schulen. Ist das genug?
Schneeberger: Nein, die Geschichte der deutschen Sinti und Roma muss in den Lehrplänen fester Bestandteil werden. Die Leute wissen nicht, wer wir sind, was wir sind und wo wir herkommen. Gleichgültigkeit, Unwissenheit und Ablehnung  bilden aber eine fatale Mischung, die der Diskriminierung einen wirklich fruchtbaren Boden bereitet. Also müssen wir junge Menschen aufklären. Ältere vorurteilsbeladene Menschen erreicht man meist sowieso nicht. Nach dem Krieg, in dem durch deutsche Hand über 90 Prozent unserer Menschen vernichtet worden waren, dachten die Sinti und Roma ja auch, dass für sie nun alles besser wird. Aber das war ein großer Trugschluss. Sie mussten erkennen, dass Politik und Polizei ihnen gegenüber immer noch sehr feindlich eingestellt waren.   BSZ: Dass die Polizei Kürzel wie MEM für „mobile ethnische Minderheit“  in ihren Akten verwendet, ist heute aber doch Vergangenheit, oder?
Schneeberger: Nein, nicht überall in Bayern. Wir haben mit dem damaligen Innenminister Beckstein  zwar vereinbart, dass man bei Menschen mit dunkler Hautfarbe künftig von einem südländischen Typ sprechen sollte ohne die ethnische Zugehörigkeit extra hervorzuheben. Aber hier driften Theorie und Praxis doch sehr auseinander. Die Polizeiorganisationen haben ein Eigenleben. Schlimm ist, dass diskriminierende Berichte dann auch noch an die Medien weitergegeben werden. BSZ: Der Völkermord an Sinti und Roma wurde erst spät anerkannt.
Schneeberger: Erst 1982 durch den damaligen Kanzler Helmut Schmidt.  Und das auch nur, weil wir  uns  organisiert  und dafür gekämpft haben. Ich bin ständig in engem Kontakt mit der Politik. Für mich ist der Weg in die Staatskanzlei mittlerweile selbstverständlich. Ich spreche auch regelmäßig mit den Fraktionsvorsitzenden im Landtag. Man versucht wirklich alle Wege zu beschreiten, um Diskriminierung abzubauen.  Die Juden konnten hier eine ganz andere Aufklärungsarbeit leisten. Uns mangelt es an finanziellen Mitteln.
(Interview: Angelika Kahl) (Foto: Erich Schneeberger, Landesvorsitzender der deutschen Sinti und Roma; dpa) Lesen Sie in der Ausgabe der Staatszeitung vom 12. September 2014 einen Hintergrundbericht über Sinti und Roma in Bayern.

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