Politik

Bislang größter Fund in Deutschland: Mitte Februar wurden 20 Kilogramm Crystal am Münchner Flughafen beschlagnahmt. (Foto: dpa)

31.05.2013

Vier Drogentote jede Woche

Die Zahl der Rauschgiftopfer in Bayern steigt – und neue gefährliche Stoffe breiten sich rasant aus

Leblos lag die 46-Jährige in der Badewanne. Nachdem die Münchnerin Heroin und andere Drogen konsumiert hatte, war sie ertrunken. Sie ist das bislang 21. Rauschgiftopfer in München in diesem Jahr – ein sprunghafter Anstieg. Im gleichen Zeitraum 2012 hatte es laut der Münchner Polizei lediglich 15 Drogentote gegeben, im Jahr zuvor waren es nur neun. Und auch Nürnberg meldet heuer ungewöhnlich viele Drogentote, elf sind es aktuell. Im gesamten Jahr 2012 waren es dort nur 13.
Das ist ein beunruhigender Trend, der für ganz Bayern gilt. Während bundesweit im Jahr 2012 die Zahl der Drogentoten  um vier Prozent auf ein Rekordtief von 944 fiel, ist sie im Freistaat um 20,3 Prozent von 177 auf 213 gestiegen. Im Schnitt starben vier Menschen jede Woche infolge ihres Rauschgiftkonsums – meist Heroin in Verbindung mit anderen Substanzen.
Die Zahl der Rauschgift-Todesfälle unterliege stets Schwankungen, heißt es im bayerischen Innenministerium. Diese „können weder aus polizeilicher Sicht noch unter suchtmedizinischen und sozialtherapeutischen Gesichtspunkten schlüssig nachvollzogen werden“. Felix Tretter, Professor an der bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen, hat allerdings durchaus einen Erklärungsansatz. Er sieht in den Problemen mit der Versorgung der Opiatabhängigen eine mögliche Ursache. Wegen der hohen rechtlichen Barrieren seien immer weniger Ärzte bereit, Ersatzstoffe zu verschreiben.
Das bestätigt auch Markus Backmund, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin. „Die aktuellen Gesetze schaden der Behandlung von Süchtigen“, sagt er der Staatszeitung. Das Problem: Substitution, also die Behandlung Rauschgiftsüchtiger mit Ersatzstoffen wie Methadon,  ist nur ohne „Beikonsum“ erlaubt. Das heißt, bei einer weiteren Drogeneinnahme machen sich Patient und Arzt strafbar. Das aber ist schwer kontrollierbar. „Es ist völlig unhaltbar“, sagt Backmund. Nicht selten bekomme ein Arzt Besuch von der Staatsanwaltschaft. Gerade im Freistaat sei man  besonders rigide. Rund 70 Prozent der Betäubungsmittel-Kontrollen, richteten sich gegen Patienten und  Ärzte, sagt Backmund – „und nicht gegen das eigentliche Ziel, den Handel durch das organisierte Verbrechen“. Der Mediziner fordert deshalb eine Entkopplung der Anwendung des Betäubungsmittelgesetzes auf Therapie und Therapeuten. Anderenfalls wären immer weniger Ärzte zur Behandlung Süchtiger bereit – mit fatalen Folgen: „Die Sterblichkeit steigt  mit dem Abbruch der Substitution enorm an.“


Synthetische Modedrogen überschwemmen Bayern


Dass ein Zusammenhang zwischen Substitution und der Zahl der Todesfälle bestehen könnte, hält Thomas Zimmermann, gesundheitspolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, für ein „absolutes Märchen. Schließlich gibt es ja noch Ärzte, die eine Behandlung von Süchtigen auf sich nehmen.“ In einigen Regionen wie Niederbayern drohe  allerdings ein Versorgungsnotstand, heißt es beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Das bayerische Gesundsheitsministerium jedenfalls signalisierte Gesprächsbereitschaft. Mit Vertretern von Ärzteverbänden, Krankenkassen und Justiz sucht man nun nach Lösungsansätzen.
Nicht gesprächsbereit zeigen sich Gesundheits- und Innenministerium  hinsichtlich einer weiteren Forderung von Experten, SPD und Grüne: die Einrichtung von Drogenkonsumräumen wie es sie in vielen anderen Bundesländern gibt. Damit könnte man Abhängige aus der Szene holen, so das Argument der Befürworter. „Und womöglich zu einer Therapie bewegen“, sagt Backmund. Drogenabhängige bräuchten Hilfsangebote, die sie aus der Abhängigkeit führen statt diese zu verlängern. Das aber würden so genannte Fixerstuben  tun, argumentieren die Ministerien. „Auch ich würde mir für jeden Süchtigen ein drogenfreies Leben wünschen“, sagt Backmund dazu. „Aber in der Realität schaffen das nur fünf Prozent.“
Doch nicht nur die Zunahme der Zahl der Drogentoten ist besorgniserregend. Auch der Anstieg des Konsums synthetischer Drogen beunruhigt Politiker wie Experten. Crystal, ein meist in Tschechien hergestelltes Methamphetamin, breitet sich in Bayern rasend schnell aus. Im Freistaat gab es laut Landeskriminalamt im Jahr 2012  in diesem Bereich 2479 Rauschgiftdelikte – das sind 35 Prozent mehr als 2011.Laut Experten ist Crystal noch gefährlicher als Heroin, weil es nach nur einmaligem Konsum abhängig mache. Und in kürzerster Zeit ruft Crystal schwere Schäden wie Nierenversagen, absterbende Nervenzellen oder Depressionen hervor. In manchen Therapieeinrichtungen Bayerns machen Crystal-Abhängige bereits mehr als die Hälfte der Patienten aus.
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) setzt bei der Bekämpfung der Droge nicht nur auf eine Zusammenarbeit mit Polizei, Justiz und Zoll, sondern auch mit Tschechien. Außerdem habe die Innenministerkonferenz gerade auf Antrag Bayerns hin beschlossen, ab 2014 Straftaten mit Crystal in Statistiken gesondert auszuweisen, „um aussagekräftige Lagebilder zur Bekämpfung zu erhalten“. Zudem unterstütze man den auf europäischer Ebene angestoßenen Prozess, Einfuhr und Nutzung von ephedrin- und pseudoephedrinhaltiger Arzeneimittel – wichtige Zutaten zur unerlaubten Herstellung von Crystal – zu verhindern.
Gerade im Bereich der synthetischen Drogen besteht ein besonderes Problem. Das Betäubungsmittelgesetz verbietet nur konkret benannte Stoffe – wird die Substanz auch nur etwas verändert, greift es nicht mehr. Im Internet können die Drogen ganz legal verkauft werden. Oft werden sie als Kräutermischungen oder Badesalz deklariert. Das Gefährliche  ist, dass sie schwere Psychosen verursachen können. „Wir verzeichnen hier eine starke Zunahme“, sagt Backmund. „Mittlerweile hat sich die Problematik zu einem Massenphänomen ausgeweitet“, heißt es auch aus dem Innenministerium. Im Landeskriminalamt seien bei Untersuchungen solcher Produkte über 60 neuartige  Wirkungsstoffe entdeckt worden. „Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht abzusehen“, so eine Sprecherin Herrmanns. Derzeit diskutiere man allerdings über eine Umstrukturierung des Betäubungsmittelrechts. Denkbar sei, dass nicht mehr einzelne Wirkstoffe gelistet werden, sondern Gruppen von Wirkstoffklassen. (Angelika Kahl)

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