Öffentlich-rechtlich heißt erst einmal, glänzend versorgt zu sein. Zeitungen und Privatsender können pleite gehen, ARD und ZDF nie und nimmer. Brauchen sie Geld, lassen sie es den Staat wissen. Dieser gestattet ihnen, die regierungsamtlich abgesegneten Gebühren auch in Haushalten einzutreiben, wo gar kein Fernseher steht, erlaubt ihnen auch, die erklecklichen Beträge mit niemandem zu teilen – höchstens noch mit dem Deutschlandradio, sonst aber mit keinem.
Das ist so, als käme der Staat auf die Idee, drei überregionale Zeitungen mit einem öffentlichen Auftrag samt Qualitätssiegel auszustatten und die Bevölkerung zu zwingen, die drei Blätter zu finanzieren, gleichgültig, was der einzelne Bürger tatsächlich liest und ob er überhaupt lesen kann.
Die Existenzgarantie wirkt sich aus, auf Politiker wie auf Journalisten. Da die Sprachregelung ist, sie hätten einen öffentlichen Auftrag, müssen die Kollegen von ARD und ZDF stets beteuern, wie willig und wie freudig sie ihn erfüllen. Sie müssen zwar nicht so tun, als seien sie Übermenschen, wohl aber, als seien sie Überjournalisten, wahre publizistische Tugendbolde, dem Zuschauer unermüdlich zu Diensten und objektiv bis zum Gehtnichtmehr. Solche Beteuerungen, verbunden mit hoheitlichem Gehabe, sollen den Konsumenten dafür entschädigen, dass es ihm verwehrt ist, die Programme einfach abzubestellen.
Sigmar Gabriel sollte sich rechtfertigen – na und?
Die Politiker wiederum, die so nett sind zu ARD und ZDF, erwarten sich von beiden eine Gegenleistung. Vor allem möchten sie hin und wieder auftreten dürfen, ist doch Nichtbeachtung vernichtender als die vernichtendste Kritik. Zum zweiten möchten sie ernst genommen werden, sehr ernst sogar und ungeheuer wichtig. Zum dritten wollen sie Lob, jedoch – bitte Vorsicht – kein plumpes. Da die beiden Anstalten und die bekanntesten Parteien nicht hinter dem Mond leben, bedarf es zu dieser Gegenleistung keiner Absprachen. Großmächte wissen von vornherein, was sie einander schuldig sind.
Wie schnell der Verhaltenskodex verletzt werden kann, zeigt Horst Seehofers Kritik an Marietta Slomka, die im ZDF nicht ihm, wohl aber seinem allerneuesten Freund Sigmar Gabriel ein paar Fragen gestellt hat. Eine verfassungsrechtliche wurde wiederholt und aus gegebenem Anlass abermals artikuliert. Da Slomka wohl annahm, sie sei im Studio und nicht im Mädchenpensionat, fiel sie dem SPD-Vorsitzenden sogar ins Wort. Bald nach der Sendung sagte Seehofer, Gabriel sei „wie so ein Schulbub“ behandelt worden. Nun, das glaubt wohl der CSU-Vorsitzende selber nicht, dass sich der SPD-Vorsitzende wie ein solcher behandeln ließe.
Über den SPD-Mitgliederentscheid hätte man auch eine Sondersendung bringen können
Noch seltsamer war der Tadel, den Seehofer diese Woche im Spiegel-Interview äußerte: „Sigmar Gabriel musste sich minutenlang für den SPD-Mitgliederentscheid rechtfertigen.“ Na und? Da der Entscheid eine Novität in der Geschichte der Bundesrepublik ist, hätte ihm durchaus eine halbe Stunde gewidmet werden können. Und wenn die sozialdemokratische Premiere, wie Seehofer in einem zweiten Satz meinte, „in einer Demokratie mehr Demokratie“ bedeutet, dann hätte die Angelegenheit eine Sondersendung verdient. Außerdem ist Rechtfertigung für Politiker Pflicht, gegenüber den Parteifreunden wie gegenüber den Wählern.
Ganz allgemein wünschte der Ministerpräsident den Journalisten „mehr Selbstkritik“. Ein vernünftiger Wunsch, auch ein berechtigter und doch in gewisser Weise ein hinterhältiger. Wer an sich selbst Kritik übt, verschont damit andere, zum Beispiel die CSU und ihren obersten Repräsentanten. Da sich die Empfehlung, selbstkritisch zu sein, aber immer gut anhört, hat der Partei- und Regierungschef wieder einmal einen Beweis seiner Schläue geliefert. Für einen wie ihn ist „die Presse“ eine Gegebenheit wie die Bevölkerungsstruktur, die Preisentwicklung oder die Gewerkschaften, ein ständiges Problem, aus dem der Profi das Beste zu machen versucht. Deshalb sitzt Seehofer ja im Verwaltungsrat des ZDF. Da kann es denn passieren, dass eine Fernsehjournalistin gerade recht kommt, um dem Boss der SPD eine kleine Liebenswürdigkeit zu erweisen, und zwar eine bequeme zulasten Dritter.
(Roswin Finkenzeller)
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