Politik

Junge Frauen spielen in der Neonazi-Szene eine aktive und militante Rolle – und stehen auch bei Aufmärschen in vorderster Reihe. (Foto: dpa)

28.11.2014

"Von wegen braune Betthäschen"

Die Rechtsextremismusexpertin Heike Radvan im Interview über weibliche Neonazis, die Motivation der Frauen und die Gründe, weshalb sie unterschätzt werden

Rechtsextremismus wird häufig als männliches Phänomen wahrgenommen. Doch rechtsextreme Frauen sind längst keine Seltenheit, sagt die promovierte Erziehungswissenschaftlerin Heike Radvan. Im Gegenteil: Neonazis setzten verstärkt auf vermeintlich harmlos wirkende Frauen, um an die Mitte der Gesellschaft anzudocken. Manche unterwandern sogar Kindergärten.
BSZ: Frau Radvan, bei Neonazis denken die meisten an junge, gewaltbereite Männer mit Glatze. Wie hoch ist der Frauenanteil?
Heike Radvan: Seit den 1980er-Jahren steigt der Anteil von Frauen in rechten Gruppierungen. Auf der Einstellungsebene gibt es keine geschlechtsspezifischen signifikanten Unterschiede. Frauen sind ebenso rassistisch und antisemitisch wie Männer. Bis zu 30 Prozent der Mitglieder in rechtsextremen Parteien sind Frauen. Und etwa ein Drittel der für rechtsextreme Parteien abgegebenen Stimmen stammen von Frauen. Neuere Untersuchungen gehen allerdings davon aus, dass sich der Wählerinnenanteil heute auf 40 Prozent erhöht hat.

BSZ: Wie sieht es bei rechtsextremen Gewalttaten aus?
Radvan: 90 Prozent werden zwar von Männern begangen. Übersehen wird aber viel zu oft, was sich vor einer Tat abgespielt hat. Frauen konstruieren zum Beispiel sexuelle Übergriffe von Ausländern – es sind dann aber die Männer, die zuschlagen. Rechtsextremismus ist kein rein männliches Problem. Hier besteht ein großes Wahrnehmungsdefizit.

BSZ: Woher kommt das?
Radvan: Die meisten von uns wachsen mit den stereotypen Bildern auf, dass Frauen friedliebender sind und politisch weniger interessiert. Dabei war auch im Nationalsozialismus die Beteiligung von Frauen sehr breit. Sie haben Staat und Ideologie mitgetragen. Thematisiert wurde das aber sehr spät.

BSZ: Pflegt die Neonazi-Szene aber nicht auch selbst ein sehr altmodisches Frauenbild?
Radvan: Im modernen Extremismus können Frauen durchaus Kameradschaftsführerinnen und rechte Vordenkerinnen sein. Die Modernisierung der Gesellschaft macht nicht vor Neonazis halt. Neben der traditionellen Mutterrolle sind rechte Frauen heute zum Beispiel in Kommunalparlamenten oder im Internet aktiv. Der Rechtsextremismus ist nach wie vor sehr patriarchal geprägt und hat ein sehr biologistisches Rollenverständnis, aber es gibt ein breites Angebot an Funktionen, die Frauen einnehmen können.

"Die Darstellung von Beate Zschäpe im Zuge der Prozesseröffnung war sehr stark sexualisierend"

BSZ: Was aber motiviert Frauen und Mädchen, in solch eine patriarchalische Szene einzusteigen?
Radvan: Darauf gibt es nicht die eine Antwort. Als Pädagogin frage ich danach, was es ihnen bringt. Ein rechtes Weltbild bietet eine Aufwertung: Als deutsche, arische Frau bin ich höherwertig als alle, die nicht als zugehörig angesehen werden. Das ist ein ganz zentrales Motiv. Aber auch das Milieu, aus dem sie kommen, spielt eine Rolle. Wird im Elternhaus relativierend über den Nationalsozialismus gesprochen oder  werden rassistische Vorurteile gepflegt, kann das den Weg in die rechte Szene ebnen. Aber auch das Lifestyleangebot in rechten Szenen spricht einige Mädchen an – die Möglichkeit, sich politisch zu engagieren. Und auch die Anerkennung als Mutter und ein festgezurrtes Frauen- und Männerbild kann in einer modernen, als unübersichtlich wahrgenommenen Welt Orientierung bieten.

BSZ: Im Zusammenhang mit Beate Zschäpe und dem NSU-Prozess schrieben Zeitungen schon mal vom braunen Betthäschen. Ärgert Sie das?
Radvan: Ja, die Darstellung von Beate Zschäpe im Zuge der Prozesseröffnung war sehr stark sexualisierend. Wer mit wem – das wurde thematisiert. Was sie wirklich zu verantworten hatte, darauf wurde weniger geschaut. Damit aber geht eine Verharmlosung einher.

BSZ: Zschäpe selbst setzt auf die Rolle der Freundin, die keine Ahnung hatte. Wie schätzen Sie das ein?
Radvan: Ich glaube, dass Zschäpe hier sehr strategisch vorgeht. Viele Frauen in der rechten Szene geben bewusst ein Bild ab, das sie als nicht rechtsextrem erscheinen lässt. Man weiß aber, dass Zschäpe bereits als Jugendliche sehr gewaltbereit und rassistisch war. Auch hatte sie in den Wohnungen verschiedene Waffen, teilweise an den Wänden oder trug sie bei sich. Männer werden in solchen Zusammenhängen oft als Waffennarren bezeichnet. Im Zusammenhang mit Zschäpe aber taucht dieser Begriff interessanterweise nicht auf.

BSZ: War Zschäpe nicht auch diejenige, die die bürgerliche Fassade nach außen pflegte?
Radvan: Ja, das ist ja auch genau die Wirkung, die Neonazis heute sehr bewusst einsetzen. Die NPD fordert seit einigen Jahren junge Frauen dazu auf, soziale Berufe zu ergreifen. Und wir beobachten, dass zunehmend Frauen Demos anmelden. Sie nutzen dabei ganz gezielt das gesellschaftliche Bild von der friedfertigen Frau. Die Gesellschaft muss sich also die Frage stellen, was unsere Stereotypen für Auswirkungen haben. Bei Zschäpe hat man lange an der Realität vorbeigeblickt. In dieser Hinsicht haben auch Polizei und Verfassungsschutz versagt.

"Rechtsextreme versuchen, an die Mitte der Gesellschaft anzuschließen und haben dafür  Frauen als strategisches Potenzial entdeckt"


BSZ: Die bayerische NPD-Vize-Vorsitzende wurde mit ihrem Theater Hollerbusch sogar zu Veranstaltungen vom Kreisjugendamt und in Kindergärten eingeladen. Ist Sigrid Schüßler also eine typische Vertreterin dieser Strategie?
Radvan: Ja, Rechtsextreme versuchen, an die Mitte der Gesellschaft anzuschließen und haben dafür  Frauen als strategisches Potenzial entdeckt. Neonazis instrumentalisieren auch bestimmte Themen. Zum Beispiel sexuellen Missbrauch. Rechte Frauen übernehmen hier die Position der besorgten Mutter, um neue Sympathisantinnen zu gewinnen. Und es gibt mittlerweile überregional mehrere Fälle, in denen rechtsextrem engagierte Frauen als Fachkräfte in Jugendzentren und Kitas tätig waren. Andere lassen sich in Elternbeiräte wählen. Die Strategie ist, Anschluss zu finden an die Gesellschaft, um die eigene Ideologie hineinzubringen.

BSZ: Wie sollte man damit umgehen?
Radvan: Das Wichtigste ist, hinzuhören und bestimmte Äußerungen, die sich beim genauen Hinsehen als rassistisch erweisen könnten, zum Beispiel über das Flüchtlingsheim um die Ecke, nicht stehen zu lassen. Das passiert aber oft nicht.

BSZ: Manche Regionen erleben einen gezielten Zuzug von Neonazis. Ist das ein ostdeutsches Phänomen?
Radvan: Nein, keineswegs. Solche Siedlungsstrategien gibt es überall – auch in Bayern. In einigen Regionen gibt es deshalb aktuell massive Probleme. Wenn es darum geht, die Dominanz über einzelne Dörfer zu bekommen, spielen auch wieder Frauen eine entscheidende Rolle.
(Interview: Angelika Kahl) (Foto: Heike Radvan leitet bei der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus; privat)

Kommentare (1)

  1. Roland am 28.11.2014
    Das Problem ist dioch auch, dass die Rechtsextremen in den Untergrund
    verschwunden (worden) sind!
    Hier ist eine gutbürgerliche Familie ein guter Deckmantel.
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