Politik

Arbeiten dürfen Asylbewerber frühestens nach 3 Monaten - und dann auch erst mal nur, wenn kein Deutscher oder EU-Bürger für den Job zur Verfügung steht. (Foto: dpa)

22.10.2015

Vorurteil oder Tatsache?

Es sind jede Menge Gerüchte zu Flüchtlingen im Umlauf: Angeblich nehmen sie anderen die Jobs weg, bedrohen die Sicherheit im Land und überfordern die Republik. Was sagen die Fakten?

Rechtsextreme und Fremdenfeinde hetzen lautstark gegen Asylbewerber. Aber auch andere warnen vor einer Überforderung des Landes durch die wachsenden Flüchtlingszahlen - und vor angeblich bösen Folgen für Sicherheit und Wohlstand. Es kursieren zahlreiche Vorurteile und Gerüchte. Ein Blick auf die Fakten: Nehmen Flüchtlinge Arbeitsplätze in Deutschland weg?
Asylbewerber dürfen zunächst gar nicht in Deutschland arbeiten. In den ersten drei Monaten ist ihnen das komplett verwehrt. Erst nach 15 Monaten fällt zudem die "Vorrangprüfung": Steht ein Deutscher oder ein EU-Bürger für den Job zur Verfügung, bekommen Asylbewerber keine Beschäftigungserlaubnis. Die Arbeitgeber fordern eine Senkung dieser Fristen - denn der Bedarf an Arbeitskräften ist groß. Allerdings haben die Betroffenen auch aus anderen Gründen oft Schwierigkeiten, einen Job zu finden. So fehlen ihnen oft in Deutschland anerkannte Qualifikationen und Abschlüsse. Dabei herrscht in vielen Berufsgruppen Fachkräftemangel, etwa in technischen oder Pflegeberufen. Mehr als ein Drittel der Betriebe fürchtet laut einer Umfrage dadurch Wettbewerbsverluste. Unterm Strich sind Arbeitskräfte aus dem Ausland nach offiziellen Prognosen durchaus nötig für Deutschland. So würde die Zahl der Menschen, die für den Jobmarkt in Betracht kommen, laut Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) ohne Einwanderung von derzeit 45 Millionen Menschen bis zum Jahr 2050 auf unter 29 Millionen sinken. Ausländer in Deutschland zahlen laut einer Studie im Schnitt 3300 Euro mehr Steuern und Sozialabgaben als sie staatliche Leistungen erhalten. Überfordert der Zustrom von Flüchtlingen die Bundesrepublik?
Laut offizieller Prognose werden in diesem Jahr insgesamt rund 800 000 Asylbewerber in Deutschland erwartet. Inoffizielle Schätzungen liegen deutlich darüber. Die Flüchtlingszahlen sind in den vergangenen Jahren und Monaten rasant gestiegen und liegen nun so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. EU-weit ist Deutschland das Hauptzielland für Flüchtlinge. Ins Verhältnis zur Einwohnerzahl gesetzt, nehmen andere EU-Staaten wie Schweden allerdings mehr Asylbewerber auf. Und Staaten aus der Region rund um das Bürgerkriegsland Syrien - wie die Türkei, Jordanien oder Libanon - sind ohnehin weit stärker von den großen Flüchtlingsbewegungen betroffen. Deutschland ist eine der größten Wirtschaftsmächte der Welt. Die Zahl der erwarteten 800 000 Asylbewerber macht weniger als ein Prozent der Einwohnerzahl (zusammen dann mehr als 81 Millionen Menschen) in der Bundesrepublik aus. Und: Nur ein Teil der Flüchtlinge - der Bund rechnet mit 40 Prozent - bleibt. Die restlichen Asylbewerber werden nicht als schutzbedürftig anerkannt und müssen das Land wieder verlassen. Nach Ansicht von Experten sind die großen Probleme bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen vor allem deshalb entstanden, weil der Staat zu spät auf die steigenden Zahlen reagiert hat. Gibt es eine erhöhte Kriminalität unter Flüchtlingen?
"Es gibt keine Zahlen, die dieses Vorurteil bestätigen würden", sagt Jörg Radek, der Vizevorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Allerdings hält er die Lebensbedingungen vieler Flüchtlinge, etwa das Arbeitsverbot und die damit einhergehende Langeweile, für einen Faktor, der Kriminalität begünstigen kann. "Das trifft aber auch für Deutsche zu", meint Radek. Allerdings rechnet er mit zunehmenden Spannungen dadurch, dass Asylbewerber nun noch länger auf engstem Raum in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Angesichts der unklaren Faktenlage und der vielen Gerüchte zu Kriminalität unter Flüchtlingen lässt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) dazu nun ein eigenes Lagebild erstellen, das belastbare Zahlen liefern soll. Studien zufolge fallen erwachsene Einwanderer generell nicht vermehrt durch Straftaten auf. Bekommen Asylbewerber mehr Unterstützung als Langzeitarbeitslose?
Eher weniger, obwohl das Bundesverfassungsgericht 2012 entschieden hat, dass gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht verstoßen werden darf. Deshalb müssten Leistungen für Asylbewerber etwa auf das Niveau von Sozialhilfeempfängern und Hartz-IV-Beziehern angehoben werden. Derzeit bekommen Asylbewerber in den ersten 15 Monaten vor allem Sachleistungen und ein Taschengeld. Alleinstehende erhalten 143 Euro im Monat. Erwachsene, die als Partner einen Haushalt teilen, bekommen jeweils 129 Euro. Wer sonst noch im Haushalt lebt, bekommt 113 Euro. Und für Kinder stehen den Familien je nach Alter zwischen 85 und 92 Euro zu. Nach Angaben des paritätischen Wohlfahrtsverbandes liegen die Sach- und Geldleistungen zusammen bei einem Flüchtling etwa zehn Prozent unter den Hartz-IV-Regelsätzen. Anfang November soll eine Gesetzesänderung in Kraft treten, wonach Asylbewerber - solange sie in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen - möglichst nur noch Sachleistungen bekommen. Ist ein Flüchtling länger als 15 Monate im Land, stehen ihm bei Bedürftigkeit Leistungen auf dem Niveau der Sozialhilfe zu. Damit erhält ein alleinstehender Asylbewerber etwa 392 Euro. Außerdem werden - wie bei Hartz-IV-Empfängern - Wohnkosten erstattet. (dpa)

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