Politik

Eine kaputte Fensterscheibe in Ansbach am Ort des Anschlags. (Foto: dpa)

27.07.2016

Warnung vor "spektakulärem Selbstmord"

Hätten die Sicherheitsbehörden früher auf den Selbstmordattentäter von Ansbach aufmerksam werden müssen? Seine psychischen Probleme waren bekannt. Jetzt ist ein Gutachten aufgetaucht, das ein neues Licht auf die Vorgeschichte wirft

Hätten die Sicherheitsbehörden früher auf den Selbstmordattentäter von Ansbach aufmerksam werden müssen? Seine psychischen Probleme waren bekannt. Jetzt ist ein Gutachten aufgetaucht, das ein neues Licht auf die Vorgeschichte wirft.

Ein psychologischer Gutachter hat bei dem Bombenattentäter von Ansbach bereits vor eineinhalb Jahren einen aufsehenerregenden Suizid für möglich gehalten. Die Expertise war dem Flüchtlings-Bundesamt und der Ausländerbehörde bekannt. Konsequenzen wurden offenbar jedoch nicht gezogen.

Wie krank war der Täter?
Der Syrer war wegen Depressionen und Suizidversuchen - er hatte sich die Arme geritzt - in psychiatrischer Behandlung im Bezirksklinikum Ansbach. Gegenüber den Ärzten sprach er offen über seine Suizid-Gedanken. Zudem hatte der Mann von einem Raketenangriff auf sein Haus in Aleppo berichtet, bei dem er Metallsplitter in Armen und Beinen davongetragen habe.

Was steht in dem Gutachten?
Im Auftrag einer Flüchtlings-Hilfsorganisation verfasste ein Therapeut im Februar 2015 ein psychiatrisches Gutachten über den 27-Jährigen, das später in dessen Asyl-Gerichtsverfahren vorgelegt wurde. Der Gutachter schrieb darin, der Syrer sei ein "extremer Geist", und es sei ihm "durchaus zuzutrauen, dass er selbst seinen Selbstmord noch spektakulär in Szene setzt". Er habe nach dem Tod seiner Frau und seines sechs Monate alten Sohnes in Syrien "nichts mehr zu verlieren". Im Fall einer Abschiebung nach Bulgarien drohe "hochgradige, akute Suizidgefahr".

Was bedeutete seine Traumatisierung für das Abschiebeverfahren?
Aufgrund des Gutachtens und Attesten, die der Syrer in seinem Asyl-Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Ansbach vorlegte, sah das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihn als reiseunfähig und nahm die Abschiebeanordnung nach Bulgarien zurück. Hier hatte der Mann bereits im Jahr 2013 einen Schutzstatus erhalten. Nach der Einstellung des Gerichtsverfahrens Ende Februar 2015 sprach die Ausländerbehörde dem 27-Jährigen eine Duldung aus.

War das das letzte Wort?
Nein. Im März 2016 bat die Behörde das BAMF dann, die Abschiebung des Mannes nach Bulgarien nochmals zu prüfen. Nachdem sich der Syrer dazu nicht mehr geäußert hatte, forderte das Bundesamt den 27-Jährigen im Juli erneut zur Ausreise auf und drohte ihm mit Abschiebung.

Wer hatte Kenntnis von dem psychologischen Gutachten?
Durch das Gerichtsverfahren hatten sowohl das BAMF als auch die Ausländerbehörde der Stadt Ansbach Kenntnis von dem Gutachten. Ob auch die Sicherheitsbehörden einen Hinweis erhielten, ist noch unklar. "Das ist Gegenstand der Aufklärung", sagte am Mittwoch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.

Müssen solche sicherheitsrelevanten Erkenntnisse nicht grundsätzlich vom BAMF oder von den Ausländerbehörden an die Sicherheitsbehörden weitergegeben werden?
Auch das ist nicht klar. Das Bundesinnenministerium prüft derzeit, ob es eine Sicherheitslücke gibt, die möglicherweise im Datenschutz begründet ist. Es werde derzeit "mit Hochdruck geprüft", ob datenschutzrechtliche Gründe einer Informationspflicht entgegenstehen, sagte der Sprecher.

Sind Ärzte und Gutachter verpflichtet, Informationen über Patienten weiterzugeben, wenn eine Gefahr für die Allgemeinheit zu befürchten ist?
Grundsätzlich ist die ärztliche Schweigepflicht in den Berufsordnungen geklärt. Damit einher geht das im Strafgesetzbuch geschützte Patientengeheimnis (Paragraf 203 Strafgesetzbuch). Ausnahmen sind zulässig, wenn andere Rechtsinteressen wichtiger werden können, etwa bei Gefahr für Leib, Leben und Freiheit der eigenen Person oder anderer (Paragraf 34 Strafgesetzbuch) oder zur Abwendung schwerer Verbrechen (Paragraf 138 Strafgesetzbuch). Ein Beispiel: Der Arzt darf dem Sexualpartner eines Patienten dessen HIV-Infektion mitteilen, wenn dieser das nicht selbst aus freien Stücken tun will. (dpa)

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