Politik

V-Mann in der rechten Szene: V steht für Vertrauen – davon kann keine Rede sein, sagt Ex-Verfassungsschützer Ridder. (Foto: Getty)

19.04.2013

"Weg mit den V-Leuten"

Ex-Verfassungsschützer Winfried Ridder über das Versagen bei der Aufklärung der NSU-Morde, strukturelle Schwächen und notwendige Konsequenzen

Winfried Ridder war 20 Jahre lang Referatsleiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz und dort bis 1995  für die Informationen von V-Leuten verantwortlich. Heute fordert der 75-Jährige: „Das V-Männer-System gehört abgeschafft.“ Auch die mangelnde Zusammenarbeit mit der Polizei kritisiert er. Für ihn gehört die Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus ausschließlich in die Zuständigkeit der Polizei.
BSZ: Herr Ridder, was erwarten Sie sich vom NSU-Prozess?
RIDDER: Ich halte es persönlich für ganz wichtig, dass der Prozess nicht nur das Maß der Beteiligung der vier Angeklagten feststellt, sondern auch transparent macht, aus welchem Strukturmodell der Nationalsozialistische Untergrund bestand. Hier gibt es deutlichere Parallelen zur RAF, als das von den Ermittlungsbehörden gesehen wird. In beiden Fällen gab es eine Gruppe von wenigen Illegalen mit einem relativ großen Unterstützerkreis. BSZ: Ist es nicht umso erstaunlicher, dass der Verfassungsschutz versagt hat, obwohl er das Strukturmodell eigentlich hätte kennen müssen?
RIDDER: Wir wissen seit den 70er Jahren, dass es im rechtextremistischen Spektrum die Losung gibt: „Von den Linken lernen.“ Und es gab damals bereits die Diskussion über einen sich entwickelnden Rechtsterrorismus. Diesen haben die Sicherheitsbehörden aber nicht annähernd mit der Intensität wahrgenommen, wie sie es hätten tun müssen.

"Eine solche Analyseschwäche hätte ich niemals für möglich gehalten"

BSZ: Weil sie auf dem rechten Auge blind waren? Sie beschreiben in Ihrem Buch „Verfassung ohne Schutz“, wie Sie sich fast ein Disziplinarverfahren eingehandelt haben, weil Sie die Republikaner unter die Lupe nehmen wollten.
RIDDER: Ich kann mich mit dieser stereotypen Formel nicht ganz anfreunden, wie Sie sich denken können. Aber es hat nicht das Engagement und die Leidenschaft gegeben, diesen Personenkreis zu verfolgen, wie es gegen den linken Terrorismus der Fall war. Die wirklichen strukturellen Schwächen des Verfassungsschutzes liegen aber darin, dass es zu einem Zeitpunkt, als eindeutige Informationen über die Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung nach 1998 in Thüringen und Sachsen vorlagen, in einer Lageeinschätzung 2004 hieß, nach wie vor lägen keine erkennbaren Anhaltspunkte für die Existenz rechtsterroristischer Strukturen vor. Diese Grundeinschätzung hat bis ins Jahr 2010 fortgedauert. So eine Analyseschwäche des Verfassungsschutzes hätte ich niemals für möglich gehalten. BSZ: Was muss die Konsequenz sein?
RIDDER: Der Verfassungsschutz muss radikal umgebaut werden. Ein Reformkonzept muss eine wirkliche Antwort auf die strukturellen, analytischen, operativen und die handwerklichen Schwächen geben. BSZ: Gehen Ihnen die aktuellen Reformen nicht weit genug?
RIDDER: Nein, denn sie sind keine echte Antwort auf diese Schwächen. Seit über 40 Jahren haben wir einen Dualismus von Polizei und Verfassungsschutz in der Sicherheitsarchitektur. Die Erfahrungen aber zeigen, dass die Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus ausschließlich in die Zuständigkeit der Polizei fallen sollte. Ich weiß, dass es darüber aufgrund geschichtlicher Erfahrungen eine verfassungsrechtliche Diskussion gibt. Aber ich bin davon überzeugt, dass das so genannte Trennungsverbot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei im terroristischen Bereich keinen Sinn macht. Es ist doch überhaupt nicht nachvollziehbar, wie in Sachsen und Thüringen Polizei und Verfassungsschutz nicht nur nebeneinander gearbeitet haben, sondern punktuell absolut gegeneinander.

Neue Strukturen, altes Problem


BSZ: Aber nun gibt es das gemeinsame Extremismus- und Terrorismuszentrum, in dem Polizei und Nachrichtendienste zusammenarbeiten. Und der Präsident des bayerischen Verfassungsschutzes kündigte an, ein Sachgebiet mit fast 20 Leuten zur Beobachtung gewaltorientierter Rechtsextremisten aufzubauen.
RIDDER: Das sind Schritte in die richtige Richtung. Aber jetzt müsste auch gefragt werden, wie die Zusammenarbeit der neuen bayerischen Strukturen mit dem Zentrum, das im Bund angesiedelt ist, organisiert wird. BSZ: Das Abwehrzentrum ist eine Kommunikationsplattform ohne gesetzliche Grundlagen und Regeln.
RIDDER: Ja, und leider hat sich herausgestellt, dass das Abwehrzentrum offenkundig überhaupt nicht rechtzeitig über das informiert worden ist, was sich in Hessens Strafvollzuganstalten vollzogen hat... BSZ: Dort hat ein inhaftierter Rechtsextremist eine Organisation für Gefangene aufgebaut.
RIDDER: Und das Abwehrzentrum scheint erst unterrichtet worden zu sein, als alles schon geregelt war. BSZ: Das heißt also: Neue Strukturen, altes Problem?
RIDDER: So ist es. Ich würde deshalb dafür plädieren, unter dem Gesichtspunkt der Effizienz dieses Abwehrzentrum genau zu überprüfen. BSZ: In der Kritik steht auch das System der V-Männer. Sie waren Chefauswerter mit Verantwortung für die Informationen von „menschlichen Quellen“. Wie stehen Sie dazu?
RIDDER: Es gehört abgeschafft. Ich habe hier selbst einen Lernprozess durchmachen müssen. Im Bereich des Linksextremismus hatten wir nur sehr wenige Quellen, deshalb haben wir damals nicht die ganze Wucht des Problems erfahren. Im rechtsextremistischen Spektrum aber hat es eine Inflationierung des V-Leute-Systems gegeben, das überhaupt nicht mehr kontrollierbar war. Wenn es für den Staat gut ausging, haben die V-Leute beiden Seiten gedient. Wir müssen aber davon ausgehen, dass einige V-Leute nur auf der Seite des NSU standen. Es haben sich also mit staatlichen Mitteln extremistische und terroristische Strukturen entwickelt. BSZ: Innenminister Joachim Herrmann verweist aber auf die Notwendigkeit von V-Leuten. Ohne sie könnten bestimmte Straftaten nicht verhindert oder aufgeklärt werden.
RIDDER: Der neue Verbotsantrag gegen die NPD enthält ausdrücklich kein quellengeschütztes Material. Offenkundig geht es also ohne Informationen von V-Leuten. Und auch in dem Verfassungsbericht für 2012, den Herr Herrmann gerade vorgelegt hat, werden Sie keine quellengeschützten Informationen finden. Ebenso wenig in den Lageberichten des Bundes, an denen ich jahrelang mitgearbeitet habe. Man ist im terroristischen Kernbereich auf entsprechende Informationen angewiesen, hier sollte man statt eines traditionellen V-Mannes aber einen verdeckten Ermittler einsetzen, bei dem man ausschließen kann, dass er zwei Herren dient. Das wäre zwar sehr teuer. Aber würde man das bisherige V-Mann-System abschaffen, würde man in den Verfassungsschutzämtern erhebliche Ressourcen einsparen. Ich schätze, dass 25 bis 30 Prozent der Kapazitäten der Mitarbeiter in das V-Mann-Geschäft gehen. BSZ: Aber es gab doch auch Erfolge, beispielsweise den vereitelten Anschlag auf die Münchner Synagoge.
RIDDER: Dieses Argument kommt immer wieder. Und in der Tat spielte hier in dem Martin-Wiese-Komplex eine Quelle des bayerischen Verfassungsschutzes eine wichtige Rolle. Sieht man aber genauer hin, erkennt man auch, wie grenzwertig dieser Einsatz war. Gott sei Dank ist es damals durch entsprechende polizeiliche Maßnahmen zu einer Störung der Planungen gekommen. Aber wenn ich die vergangenen 40 Jahre überblicke, dann kann ich nur sagen: Die Risiken eines solchen V-Mann-Einsatzes überwiegen eindeutig die Chancen. Und diese Risiken sind nicht beherrschbar.
(Interview: Angelika Kahl)

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