Politik

Paul Kirchhof sieht in einer Kommunalsteuer viele Vorteile. (Foto: dapd)

12.11.2010

"Wegen niedrigerer Gebühren zieht niemand um"

Der Steuerrechtler Paul Kirchhof über den Schäuble-Vorschlag, eine Kommunalsteuer einzuführen, um den klammen Gemeinden mehr finanziellen Handlungsspielraum zu eröffnen

BSZ: Herr Kirchhof, Städte und Gemeinden stöhnen ob ihrer Finanznot. Verspräche eine Kommunalsteuer Linderung?
Kirchhof:  Die geplante Kommunalsteuer ist meines Erachtens der richtige Weg, um den Gemeinden wieder Finanzautonomie zu geben. Die Gemeinden leiden darunter, dass sie auf der Einnahmeseite geringe Entscheidungsräume haben und auf der Ausgabenseite vor allem im sozialen Bereich durch Bundesrecht vorbestimmt sind. Deshalb kann das Ziel nur lauten: Wir müssen einen finanziellen Gestaltungsraum für die Gemeinden erschließen – und da weist die geplante Kommunalsteuer als Zuschlag zur Einkommensteuer den richtigen Weg. BSZ:  Welche Kommunen würden davon besonders profitieren?
Kirchhof: Alle Kommunen. Denn es bedeutet mehr Demokratie vor Ort. Wenn die kommunale Finanzausstattung künftig abhängt von einer Entscheidung des Gemeinderats über den Hebesatz eines Zuschlags zur Einkommensteuer, dann kann der Bürgermeister seinen Bürgern doch klarmachen: Wollt ihr bessere Schulen, dann müsst ihr einen Punkt mehr bezahlen, wollt ihr einen Punkt sparen, gibt es eben nicht so gute Schulen. Das gleiche gilt bei Zukunftsprojekten wie einem neuen Stadion oder einem neuen Theater. Damit wäre vor Ort wieder greifbar, dass der Staat als Wohltäter nur das geben kann, was er vorher als Übeltäter von den Bürgern genommen hat. Das führt zu einem neuen Rechtsverständnis zwischen Einwohner und Gemeinde. Die Menschen können wieder mehr mitentscheiden und fühlten sich mehr zugehörig. BSZ:  Verschärft dieses Modell nicht die Gegensätze zwischen armen und reichen Gemeinden? Letztere könnten mit niedrigeren Hebesätzen operieren.
Kirchhof:  Das glaube ich nicht. Schon heute gibt es ja Unterschiede bei den Gebühren und Beiträgen. Wegen niedrigerer Gebühren zieht aber niemand in den Nachbarort um. Eine große Wanderungsbewegung zwischen den Gemeinden wegen unterschiedlicher Hebesätze muss man wohl nicht erwarten. Aber ganz grundsätzlich: Es gehört zum Wesen der Demokratie, dass es Verschiedenheiten gibt. Man braucht keine eigenen Wahlen und keinen eigenen Gemeinderat, wenn im Ergebnis überall dasselbe herauskommt. Ich meine sogar, dass die ärmeren Gemeinden eine Chance haben, im Dialog mit ihren Bürgern ihre Situation zu verbessern. Die reicheren Gemeinden haben ihre Bürger daran gewöhnt, dass sie höhere Leistungen erbringen. Sie können dann nicht einfach auf Nulltarif gehen, weil ihre Bürger dann unzufrieden würden. BSZ: Die Wirklichkeit lehrt aber, dass es doch Steuerflucht gibt, zum Beispiel in die Schweiz. Warum also nicht in den Nachbarort?
Kirchhof:  Weil das Steuergefälle zwischen den Gemeinden nicht so groß sein wird wie das zur Schweiz. Die Vorteile des Schweizer Steuerrechts nutzen ja auch nur ganz wenige Wohlbegüterte mit sehr hohen Einkommen. Das kann man nicht auf den Alltagsfall in Deutschland übertragen. BSZ:  Wäre es gerecht und verfassungsrechtlich zulässig, wenn ein Bürger in der Stadt A weniger Steuern zahlen muss als in der Stadt B?
Kirchhof:  Ja. Die Aufgliederung eines Bundesstaates in Länder hat zur Folge, dass jedes Land in seinem Parlament autonom eine Belastungsentscheidung für seine Bürger treffen kann, die anders ist als im Nachbarland. Gleiches gilt für Gemeinderäte.

"Unterschiede gehören zur Demokratie"

BSZ: Hielten Sie, um Verwerfungen zu vermeiden, alternativ eine Regionalsteuer für zusammenhängende Wirtschaftsräume für sinnvoll?
Kirchhof:  Nein. Kommunale Autonomie bedeutet auch, dass es die Gemeinde A besser macht als die Gemeinde B. In einer Demokratie hat der Bürger dann die Möglichkeit, den Bürgermeister oder die Gemeinderatsmehrheit je nach deren politischer Leistung abzuwählen. Das Finanzwesen wird helfen, dass sich Demokratie vor Ort wieder aktiviert. BSZ: Führt eine neue Steuer wie die Kommunalsteuer überhaupt zu Steuervereinfachung?
Kirchhof: Ja, wenn sie im Ergebnis dazu führt, dass die Gewerbesteuer mittelfristig durch den kommunalen Zuschlag auf die Einkommensteuer ersetzt wird. Die Gewerbesteuer hat ihre innere Rechtfertigung verloren. Sie ist heute keine Abgabe zur Erschließung von Gewerbegebieten mehr, wofür sie ursprünglich eingeführt worden war. Heute nutzen alle Einwohner die Infrastrukturleistungen der Gemeinde. Trotz des heftigen Beharrens der Städte und Gemeinden müssen wir feststellen, dass die Unterscheidung zwischen gewerblichen und anderen Einkünften nicht mehr in unsere Zeit passt. Wenn wir die Gewerbesteuer durch eine Steuer auf die Einkommen der Einwohner ersetzen, dann haben wir ein großes Maß an Plausibilität, Verständlichkeit und einfacher Handhabbarkeit dazugewonnen. Ein größerer Verwaltungsaufwand entsteht dadurch nicht, denn die Einkommensteuer wird ja ohnehin erhoben.

"Der Staat muss schlanker werden"

BSZ: Aber Sie sagen selbst, es ist ein Zuschlag. Das bedeutet Mehrbelastung für die Bürger!
Kirchhof: Das muss nicht sein. Wenn sich an der Gesamtsumme des Steueraufkommens für Bund, Länder und Gemeinden nichts ändert, sondern nur die Verteilung anders geregelt wird, entsteht grundsätzlich keine Mehrbelastung. Man kann die Reform verbinden mit dem Nachdenken über die Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden. Der Staat muss schlanker und damit kraftvoller werden und dann die Bürger steuerlich entlasten. BSZ: Bayerns Städtetagspräsident Schaidinger hat berechnet, dass er in seiner Heimatstadt Regensburg von jedem Steuerzahler 2000 Euro im Jahr mehr verlangen müsste, um den Wegfall der Gewerbesteuer zu kompensieren. Lassen sich in diesem Umfang überhaupt Staatsaufgaben abbauen, um eine Mehrbelastung der Bürger zu vermeiden?
Kirchhof: Die Gewerbesteuer soll nicht ersatzlos entfallen, sondern in eine Zuschlagsteuer integriert werden. Die Änderungen im Steueraufkommen bleiben dann undramatisch. BSZ: Sollte der kommunale Steuerzuschlag scheitern, welche Möglichkeiten sehen Sie, um die Kommunalfinanzen dennoch auf eine solidere Basis zu stellen?
Kirchhof:  Es führt kein Weg daran vorbei, den Gemeinden ein Stück mehr Steuerautonomie zu geben. Im Rahmen des Grundkonzepts, das vor allem Einkommen und Umsätze und daneben Erbschaften und den Verbrauch von Ressourcen besteuert, bleibt für die Gemeinden nur die Möglichkeit, sich in eigener Belastungsentscheidung an der Einkommensteuer zu beteiligen.
(Interview: Jürgen Umlauft )

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