Politik

16.02.2018

Wenn aus Frust Aggression wird

Ausreisepflichtige Asylbewerber sind offenbar überdurchschnittlich kriminell – doch was kann der Staat dagegen tun?

Für den Richter des Landgerichts Traunstein war der Fall klar: Hamidullah M. hat die 38-jährige Mutter Farimah S. im April 2017 in Prien am Chiemsee vor den Augen von zweien ihrer Kinder mit 16 Messerstichen ermordet. Eines der Motive: Er sei wegen seiner geplanten Abschiebung frustriert gewesen. Das Gericht verhängte am vergangenen Freitag eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Nicht nur die Familie des Opfers fragt sich, wie es so weit kommen konnte. Wäre Farimah S. noch am Leben, wenn ihr Mörder nach der Zustellung des negativen Asylbescheids rasch abgeschoben worden wäre? Für Debatten über eine aus Sicht von Kritikern verfehlte Abschiebepolitik hatte im Herbst 2017 auch der Fall von Ilyas A. gesorgt. Er saß wegen Raub in Haft, bevor er laut Staatsanwaltschaft im Herbst 2017 in Berlin eine 60-Jährige ermordete. Trotz einer entsprechenden Ankündigung der Ausländerbehörde war er nicht abgeschoben worden.

Klar ist: Morde durch ablehnte Asylbewerber sind absolute Einzelfälle. Doch wer Pressemeldungen deutscher Polizei- oder Justizbehörden durchforstet, stößt schnell auf zahlreiche Fälle, in denen abgelehnte Flüchtlinge schwerer Straftaten verdächtigt werden. Seit vergangener Woche muss sich etwa ein abgelehnter 21-jähriger Asylbewerber aus Nigeria vor dem Münchner Landgericht verantworten. Er soll im Münchner Umland vier Frauen mit einem Messer bedroht und ausgeraubt haben.

Aber werden abgelehnte Asylbewerber häufiger kriminell als Einheimische oder Flüchtlinge mit klarer Bleibeperspektive? Und wenn ja, welche Rolle spielen möglicherweise Unsicherheit und Frustration? Umfassende Zahlen aus Deutschland zu der Problematik fehlen bislang – anders in den Niederlanden. Forscher verglichen für die Jahre 2006 und 2012, ob zwischen 1995 bis 1999 in das Land eingereiste Flüchtlinge häufiger zu Tatverdächtigen wurden als Niederländer ohne Migrationshintergrund.

Oft fehlen Pässe - ein Abschiebehindernis

Tatsächlich tauchten diese der Studie zufolge im Durchschnitt spürbar häufiger als Verdächtige auf. Rechnet man jedoch soziodemografische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Familienstand und das Haushaltseinkommen heraus, waren Flüchtlinge im Durchschnitt sogar etwas weniger kriminell. Die Studie untersuchte auch, welchen Status die bei der Polizei wegen mutmaßlicher Straftaten registrierten Asylbewerber hatten. Erfasst wurden dabei alle zwischen 1994 und 2004 in die Niederlande eingereisten Asylbewerber: Im Jahr 2004 waren von den zwischenzeitlich anerkannten Flüchtlingen 3,4 Prozent von der Polizei als Verdächtige registriert worden. Bei den abgelehnten Flüchtlingen waren es Schätzungen der Forscher zufolge mit 9,9 Prozent fast dreimal so viele.

Der Kriminologe Christian Walburg von der Uni Münster hält es für durchaus plausibel, dass die Kriminalität auch unter ausreisepflichtigen Flüchtlingen in Deutschland höher sei als unter anerkannten Asylbewerbern. Schließlich könne ein ablehnender Bescheid zu Frustration und Perspektivlosigkeit führen. „Die ständige Angst vor einer Abschiebung ist eine erhebliche psychische Belastung für die abgelehnten Asylbewerber“, sagt der Experte.

Doch wie viele kommen tatsächlich auf die schiefe Bahn? Zum Jahresende 2017 waren bundesweit knapp 229 000 Menschen als „ausreisepflichtig“ registriert, 23 704 davon im Freistaat. Neben abgelehnten Asylbewerbern waren darunter etwa Touristen, deren Visa abgelaufen waren oder straffällig gewordene Ausländer. Bundesweit sind nur 63 000 Menschen unmittelbar zur Ausreise verpflichtet und müssen eine Abschiebung fürchten – in Bayern sind es 9000. Die Übrigen haben eine Duldung erhalten.

Vier von zehn können beispielsweise nicht abgeschoben werden, weil keine Reisedokumente vorliegen. 30 Prozent sind Kinder und Jugendliche. Von den Ausreisepflichtigen ohne Duldung sind gut 29 000, also weniger als die Hälfte, abgelehnte Asylbewerber.

Auffällig ist der hohe Anteil an Nordafrikanern unter den Straftätern

Unter den vom BKA bundesweit registrierten Tatverdächtigen waren im Jahr 2016 fast 16 000, die den Aufenthaltsstatus „Duldung“ hatten – ein Teil dieser Delikte geht auf das Konto abgelehnter Asylbewerber. Zumeist ging es um Delikte wie Schwarzfahren oder Diebstahl, in fast 1700 Fällen jedoch gefährliche oder schwere Körperverletzung.

In der Praxis werden aber selbst ausreisepflichtige Kriminelle mitunter nicht abgeschoben: Bundesweit gab es 2017 gut 24 000 Abschiebungen – rund 3300 davon im Freistaat. Auffällig ist der hohe Anteil an Nordafrikanern unter den Straftätern und unter den abgelehnten Asylbewerbern.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer untersuchte die zwischen 2014 bis 2016 in Niedersachsen begangenen Straftaten. Ein Ergebnis: Wer gute Perspektiven hat, im Land zu bleiben – also etwa Syrer und Iraker – fiel im Durchschnitt deutlich weniger durch Gewalttaten auf als Asylsuchende aus Marokko, Algerien und Tunesien, die wie Pfeiffer betont, nur „eine geringe Bleibeperspektive haben“. Pfeiffer schlussfolgert: „Je stabiler die Bleibeperspektive ist, desto weniger Gewalt wenden die Menschen an.“

„Aus kriminalpräventiver Sicht wäre es sicher besser, die Phasen mit unsicherem Aufenthaltsstatus so kurz wie möglich zu halten“, sagt der Kriminologe Walburg. Menschen, die schon lange hier sind, aber nur geduldet sind, müsse man „eine feste Bleibeperspektive geben“. Und die anderen Geduldeten? Konsequenter abschieben, fordert die Deutsche Polizeigewerkschaft. Pfeiffer wiederum setzt auf freiwillige Rückkehrprogramme. Beides ist schwierig, wenn die Betroffenen erklären, sie hätten keinen Pass. (Tobias Lill)

Kommentare (1)

  1. alexander p. am 15.02.2018
    "Auffällig sind vor allem Nordafrikaner aus Marokko, Algerien und Tunesien." Komisch, dass so ein Artikel überhaupt erscheinen darf?

    Man frägt sich da, warum ausgerechnet Marokko und Tunesien?! Das sind doch bevorzugte Urlaubsländer von uns Europäern?! Gerade Marokko ist sehr "westlich" orientiert. Warum flüchten die Menschen von dort nach BRD? Ich schreib´s lieber nicht, denn das würde hier nicht veröffentlicht.......
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.