Politik

In vielen bayerischen Landkreisen wartet man sonntags vergeblich auf einen Bus. (Foto: dpa)

09.02.2018

Wenn der letzte Bus weg ist

Hunderttausende sitzen de facto in ihren Dörfern fest. Auf dem Land fahren vielerorts fast keine Busse und Bahnen

Wer mit dem öffentlichen Nahverkehr in den Bayerischen Wald fahren will, erlebt oft eine böse Überraschung. Selbst prosperierende Gemeinden mit mehreren Tausend Einwohnern sind die meiste Zeit nur mit dem Taxi zu erreichen. „In weiten Teilen Ostbayerns ist die ÖPNV-Anbindung auf dem Land oft katastrophal“, sagt der renommierte Verkehrsforscher Heiner Monheim von der Uni Trier der Staatszeitung.

Vor allem der Bayerische Wald und das niederbayerische Land seien betroffen. Im Landkreis Straubing-Bogen etwa fährt sonntags kein Bus, und werktags gibt es nur eine Handvoll Schulbusse – auch in den Ferien geht fast nichts. Bahnstrecken gibt es ohnehin nur sehr wenige in der Region. Und auch anderswo im Freistaat wie im Landkreis Main-Spessart oder dem Landkreis Rosenheim steht es schlecht um den Nahverkehr.

Wer mit dem Linienbus in die Stadt will, kann mancherorts erst am frühen Vormittag in der Stadt sein – vielen Arbeitgebern ist das zu spät. Wer auf dem Land lebt und wie viele Deutsche Überstunden machen muss, für den ist ein fahrbarer Untersatz ohnehin unverzichtbar – zu groß ist das Risiko, den letzten Bus zu verpassen.

Bayern ist kein Einzelfall: In den meisten anderen Bundesländern sieht es auf dem Land allerdings nicht viel besser aus als im Freistaat. „Die Anbindung mit Bus und Bahn auf dem Land ist in Deutschland vielerorts extrem schlecht oder de facto nicht vorhanden“, erklärt Thomas Mager, Vorstandsmitglied des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Mobilitätsforscher Monheim verweist darauf, dass sich der öffentliche Nahverkehr in vielen Regionen „auf ein rudimentäres Restangebot für Schüler“ beschränke.

In vielen europäischen Ländern wie Frankreich, den Niederlanden, Skandinavien, Österreich und der Schweiz ist der öffentliche Nahverkehr auf dem Land laut Monheim weit besser ausgebaut als hierzulande. So würden bei den Eidgenossen auf die Einwohnerzahl gerechnet vier- bis sechsmal so viele Menschen Busse und Bahnen nutzen als in Deutschland. Dort gebe es selbst auf dem Land „ein attraktives Bus- und Bahnnetz“.

Söders Zeitplan: Bis 2050 soll alles besser werden

Zu den von den Regierenden vergessenen Landbewohnern zählen neben Alten, Kranken und Behinderten vor allem arme Menschen, die sich kein Fahrzeug leisten können – und Flüchtlinge.
Doch auch Arme in der Stadt verlieren durch die verfehlte Verkehrspolitik. Immer mehr Menschen ziehen aus den ländlichen Regionen weg. Viele Städte platzen dagegen aus allen Nähten. Vor allem wegen steigender Mieten sind im München mittlerweile 17 Prozent der Menschen armutsgefährdet. Auf dem Land ist das Wohnen oft günstig. Doch der Traum von den eigenen vier Wänden ist ohne Auto nicht realisierbar.

Fatal für die Klimabilanz: Zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid mehr als 1990 pustete der deutsche Verkehr 2017 in die Atmosphäre. Während die Bundesrepublik im Namen des Klimaschutzes die energetische Sanierung in den Stadtwohnungen mit Milliardensummen vorantreibt und so die Mieten weiter verteuert, ist aus der von Berlin propagierten Verkehrswende ein einziges Verkehrsversagen geworden.

Beim seit vielen Jahren CSU-geführten Bundesverkehrsministerium heißt es, Ziel der Bundesregierung sei es, „eine bedarfsgerechte Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen zu sichern“. Mag sein – passiert ist aber nicht viel.

Einer der bundesweiten Vorreiter in Sachen ÖPNV-Förderung ist das schwarz-grün regierte Baden-Württemberg. Dort bauten Land und Kommunen zuletzt nicht nur den Busverkehr deutlich aus, es gibt auch Pläne für die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken. Über Jahrzehnte hinweg wurde das deutsche Bahnnetz ausgedünnt. Auch in Bayern: „Im Freistaat legte der Bund in den 1960er- bis 1980er-Jahren viele Strecken im ländlichen Raum still“, erläutert ein für Bayern zuständiger Sprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn. Da sei nur auf die Rentabilität geschaut worden.

Immerhin trieb Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zuletzt die Wiederinbetriebnahme mehrerer Bahnstrecken voran – so etwa in Franken, von Dombühl nach Dinkelsbühl.

Auch der designierte Ministerpräsident Markus Söder hat das Problem erkannt. Allerdings hat er keinen allzu ambitionierten Zeitplan. „Wir wollen die komplette Planung zum ÖPNV der Zukunft“, sagte der CSU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl Mitte Januar. Ziel müsse es sein, den ÖPNV bis 2050 nicht nur digital vollständig zu vernetzen und mit WLAN auszustatten, sondern auch eine einheitliche Ticketstruktur und einheitliche Fahrpläne zu ermöglichen. Geduld ist also gefragt. Denn vor allem beim Ausbau der Bahnverbindungen sind oft jahrelange Vorlaufzeiten zu beachten.

Ärgerlich ist auch: Noch immer sind viele Bahnstrecken nur eingleisig befahrbar und nicht selten in erbärmlichem Zustand. Dass es auch anders geht, zeigt die Schweiz: 100 Prozent der Bahnstrecken sind elektrifiziert, selbst Dörfer verfügen oft über einen Bahnanschluss. „Jede Ortschaft mit mehr als 200 Einwohnern hat dort den gesetzlichen Anspruch auf einen Bahn-, Bus- oder Seilbahnanschluss“, erläutert VCD-Mann Mager.

Verkehrsexperte Monheim fordert für deutsche Dörfer eine Anbindung im Stunden-Takt. Eine Kleinstadt mit 5000 bis 15 000 Einwohnern sollte einen Orts- oder Stadtbus alle 20 bis 30 Minuten fahren lassen. (Tobias Lill)

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