Politik

Geraten immer öfter in Bedrängnis: Bayerns Polizeibeamte. Foto: dpa

08.01.2010

Wenn die Angst mit auf Streife geht

Die Gewalt gegen Polizisten im Freistaat nimmt dramatisch zu

Eigentlich klang alles nach einem Routineeinsatz. Mit einem Kollegen ist Max-Joseph Seemann im Juni 2006 bei einem Volksfest in der Nähe von Dorfen auf Streife, als der Funkspruch eingeht. Vor einem der Zelte gibt es Ärger, heißt es. Seemann sieht nach dem Rechten, wirft sich gleich nach seinem Eintreffen ins Getümmel und erteilt zwei Aggressoren einen Platzverweis. Die Situation scheint sich zu beruhigen. Doch dann kommt es zu der Attacke, unter der der Polizist noch heute leidet. Plötzlich springt ihm ein vorher völlig unbeteiligter Mann mit voller Wucht seitlich ins Sprunggelenk.
Der durchtrainierte Polizist geht zu Boden. Er krümmt sich vor Schmerzen – sein Sprunggelenk ist zertrümmert. In den folgenden Minuten ist er hilflos, ein schreckliches Gefühl für den Mann Mitte 30, der seit Jahren Kampfsport trainiert. Seemann weiß, jede Sekunde könnte der nächste Angriff folgen. Und er wäre chancenlos. Hinzu kommt der Spott. „Mehrere Jugendliche gingen vorbei, machten sich über mich lustig“, erinnert er sich. Kein Passant hilft. Seine Kollegen bringen schließlich die Situation unter Kontrolle, auch der Täter wird später dingfest gemacht.
Im Krankenhaus beginnt für Seemann eine Zeit der Ungewissheit. „Es hieß zunächst, ich würde behindert sein und müsste meinen Beruf aufgeben“, erinnert sich der Taufkirchener und ergänzt: „Wovon hätte meine Familie ohne meinen Job leben sollen?“ Fast eineinhalb Jahre wird er krankgeschrieben. In der Folgezeit fährt dann die Angst mit auf Streife. „Du bist nicht mehr der Alte, denkst oft daran, was alles hätte passieren können.“ Ein Gericht verurteilt seinen Angreifer zu einer 18-monatigen Haftstrafe auf Bewährung. „Zu lasch“, findet Seemann. Noch heute leidet er unter einer Arthrose im Gelenk.
Gezielte Attacken auf Polizisten sind im Freistaat längst keine Einzelfälle mehr. „Die Angriffe auf unsere Beamten haben dramatisch zugenommen“, sagt Harald Schneider, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Bayern. Früher sei bei einer Schlägerei meist schnell Ruhe eingekehrt, wenn die Polizei kam. Heute würden sich die rivalisierenden Gruppen beim Eintreffen der Streife immer öfter sogar verbünden und gemeinsam auf die Polizei losgehen. So etwa in Grafenreuth, wo sich laut Schneider Aussiedler aus den GUS-Staaten bei Prügeleien mehrfach mit eigentlich verfeindeten Amerikanern gegen die Sicherheitskräfte solidarisiert hätten.
Hermann Benker, Landeschef der kleineren Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), berichtet ebenfalls von einer „gesunkenen Hemmschwelle“ für Übergriffe gegen die staatliche Autorität. Dass die Berufsausübung für uniformierte Staatsdiener immer gefährlicher wird, zeigt auch die amtliche Statistik: Laut dem bayerischen Innenministerium stieg die Zahl der erfassten Übergriffe auf Vollstreckungsbeamte im Freistaat von 1999 bis 2008 um 27,5 Prozent auf 3552.
Bundesweit erstatteten Polizisten und Gerichtsvollzieher im vergangenen Jahr in 28 272 Fällen Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, fast ein Drittel mehr als noch zu Beginn des Jahrzehnts. Das Innenministerium schätzt, dass sich etwa neun von zehn Widerstandshandlungen gegen Polizisten richten. Eine getrennte Erfassung erfolgte bislang jedoch nicht. Schneider rechnet mit einer hohen Dunkelziffer. Denn nicht jeder Polizist erstattet Anzeige. „Das lohnt sich nicht immer“, sagt der GdP-Mann . Er geht deshalb von einem Anstieg um ein Drittel allein in den vergangenen drei Jahren aus. Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen soll nun Klärung bringen.
Sicher ist: Die Angriffe gegen die Ordnungshüter werden immer brutaler. Ein Mob von Kirmes-Gästen trat im Herbst 2007 bei einem baden-württembergischen Volksfest erbarmungslos auf einen längst am Boden liegenden schwer verletzten Beamten ein. Laut Christian Hof-stätter, Justiziar der GdP, der Polizisten, die Opfer von Gewalt wurden, vertritt, kommen die Schläger aus allen Schichten: „Egal ob Arzt oder Anwalt – da ist jede Berufsgruppe dabei.“ Laut GdP steigt insbesondere die Gewaltbereitschaft unter Schlachtenbummlern. In Aschaffenburg musste die Bundespolizei im August vergangenen Jahres einen Zug räumen, weil einige Fans des FC Bayern begonnen hatten, die Abteile zu zerlegen. Beim ersten Versuch, die Randalierer festzunehmen, attackierte die Meute die Polizisten. Drei Beamte wurden verletzt.
Nahm die Gewalt früher nur in der Stadt zu, ist heute auch das flache Land zunehmend betroffen. Das schafft neue Probleme. „Denn dort kommt ja nicht so schnell Verstärkung“, sagt DPolG-Chef Benker. Das bekam die Polizei vor eineinhalb Jahren auf einem Bürgerfest im Landkreis Schwandorf zu spüren: Ein 17- und ein 19-Jähriger sollen dort mehrere Jugendliche brutal verprügelt haben. Als Polizisten den 17-jährigen Schläger festnahmen, eskalierte die Situation: Einem lautstarken Mob von 100 Festbesuchern, angeführt von der Mutter des Aggressors, gelang es, den Jugendlichen gewaltsam aus dem Polizeigewahrsam zu befreien. Bilanz der nächtlichen Hatz: vier verletzte Beamte.
GdP-Mann Schneider, der auch für die SPD im Landtag sitzt, fordert deshalb härtere Strafen für die Angreifer. Unterstützung bekommt er von Seiten der Staatsregierung. „Es geht nicht, dass wie bislang für das Demolieren eines Polizeiautos eine höhere Strafe droht als für den Angriff auf einen Streifenbeamten“, kritisiert Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Herrmann setzt sich bei der Innenministerkonferenz seit Längerem für eine Anhebung der Höchststrafe bei Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte auf fünf Jahre ein. Widerstand kommt bislang noch von einigen SPD-Innenministern und von Teilen der Liberalen. Herrmann lässt sich jedoch nicht beirren. Das Bundesjustizministerium müsse nun möglichst rasch einen Gesetzesentwurf präsentieren. „Ich bin optimistisch, dass hier in den kommenden Monaten etwas passiert“, sagt er.
Polizeigewerkschafter kritisieren indes, dass der Freistaat die Gewaltopfer allzu oft im Stich gelassen habe. „Meinen Anwalt musste ich mir über die Gewerkschaft nehmen“, berichtet auch Polizist Seemann. Herrmann räumt ein, dass es hier in „der Vergangenheit in Einzelfällen Probleme gegeben hat“. Seit einer Richtlinienänderung im August 2009 sei dieses Problem allerdings gelöst. Seemann begrüßt die Ankündigung. „Schließlich halten wir den Kopf hin, wenn es brenzlig wird“, sagt der Beamte, der mittlerweile wieder als Polizist arbeiten kann.  Tobias Lill

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