Politik

Schön wär’s schon, im Freistaat mitzuregieren, sagt Margarete Bause: „Das würde Bayern gut tun.“ (Foto: dpa)

14.10.2016

"Wir sind keine Sponti-Partei mehr"

Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause über das 30-jährige Landtagsjubiläum ihrer Partei, frühe Kämpfe mit der CSU und die Frage schwarz-grüner Koalitionen in Bayern

Die 57-jährige Soziologin zog 1986 das erste Mal in den Landtag ein. Sie zählt damit zu den erfahrensten Grünen-Abgeordneten. Nach einer 13-jährigen Parlamentspause kehrte sie 2003 zurück und stieg sogleich zur Fraktionschefin auf. Im kommenden Jahr will die in München lebende Bause für den Bundestag kandidieren.

BSZ: Frau Bause, vor 30 Jahren sind Sie mit den Grünen zum ersten Mal in den Landtag eingezogen. Da gehen Sie ja schon als Zeitzeugin durch!
Bause: Ja, damit muss ich klarkommen.

BSZ: Woran erinnern Sie sich noch aus diesen Tagen?
Bause: Es war ein Kulturschock. Für uns – und für die CSU. Für die CSU-Kollegen waren Frauen, die kein Blatt vor den Mund nehmen, etwas völlig Ungewohntes. Entsprechend aggressiv waren in vielen Fällen auch die Reaktionen. Das ist mir damals sehr unter die Haut gegangen. An der Spitze stand da natürlich Franz Josef Strauß, der sich zeit seines Lebens nicht damit abfinden konnte, dass die Grünen als ganz normale demokratische Kraft im Landtag sitzen.

BSZ: Da scheint sich bei der CSU in den vergangenen 30 Jahren viel getan zu haben, wo sie jetzt beim Thema Flüchtlinge die Frauenrechte so sehr betont.
Bause: Da muss ich manchmal schon schmunzeln. Ich hatte Ende der 80er Jahre den Antrag eingebracht, auch Frauen bei der Schutzpolizei in Bayern zuzulassen. Die CSU lehnte das damals mit der Begründung ab, der Dienst mit der Waffe verstoße gegen die Würde der Frau. Heute fordert die CSU von Flüchtlingen vehement ein, Frauen als Polizistinnen zu akzeptieren. Da sieht man, wie sehr sich die Gesellschaft in den vergangenen 30 Jahren verändert hat und sich die CSU verändern musste. Ich nehme für uns Grüne in Anspruch, diesen Modernisierungsprozess vehement vorangetrieben zu haben.

BSZ: Mit dem Abstand von 30 Jahren: Sind die Grünen heute das, was sie den anderen damals vorgeworfen haben – nämlich etabliert zu sein?
Bause: Natürlich sind die Grünen nach 30 Jahren im Parlament eine etablierte Partei. Wir waren im Bund und sind demnächst in elf Ländern an Regierungen beteiligt, wir stellen in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten – da können wir nicht die gleichen sein wie vor 30 Jahren. Es würde nicht für uns sprechen, wenn wir auf dem damaligen Stand stehengeblieben wären.

"Wir weichen keiner Auseinandersetzung aus. Wir müssen heute sogar wieder für Dinge kämpfen, die eigentlich schon selbstverständlich waren."

BSZ: Die Grünen im Landtag waren 1986 ein bunter Haufen, kampferprobt am Wackersdorfer Bauzaun, ausgestattet mit klaren Feindbildern. Vermissen Sie das Spontane, das Brodelnde, das Extreme manchmal?
Bause: Nein, weil wir trotzdem immer noch diejenigen sind, die die kritischen Themen aufgreifen und die kämpfen. Wer außer uns tritt denn eindeutig gegen Obergrenzen, Grenzschließungen und Inhumanität in der Flüchtlingspolitik ein? Wir weichen keiner Auseinandersetzung aus. Wir müssen heute sogar wieder für Dinge kämpfen, die eigentlich schon selbstverständlich waren. Wir müssen Erreichtes verteidigen, zum Beispiel bei den Rechten von Minderheiten oder bei der doppelten Staatsbürgerschaft.

BSZ: Verloren gegangen ist den Grünen aber die Lust an Sponti-Aktionen. Zum Beispiel: der schwarze Filz am Landtagspult des Ministerpräsidenten oder der Zettelregen von der Besuchertribüne ins Plenum. Warum gibt es so etwas nicht mehr?
Bause: Jede Zeit hat ihre Aktionsformen. Wir liefern auch heute noch die passenden Bilder zu unseren Argumenten. Aber wir sind keine Sponti-Partei mehr. Das würde bei einer Partei, die in vielen Ländern in Regierungsverantwortung ist, ein bisschen lächerlich wirken. Mir ist in der heutigen Politik ohnehin oft zu viel Bauchgefühl und Show dabei. Wir Grüne wollen leidenschaftliche Politik machen und die Auseinandersetzung mit Vernunft führen.

"Wenn es vor 20 oder 30 Jahren schon einen virtuellen Shitstorm gegeben hätte, dann hätten wir Grüne manchen nur schwer überlebt"

BSZ: Liegt es auch an den Möglichkeiten von Facebook, Twitter und Youtube, die gerade die Grünen für ihre Kommunikation intensiv nutzen, dass die Bedeutung der Straße und der öffentlichen Aktion verloren gegangen ist?
Bause: Natürlich hat sich der Politikbetrieb dadurch grundlegend geändert. Wenn es vor 20 oder 30 Jahren schon einen virtuellen Shitstorm gegeben hätte, dann hätten wir Grüne manchen nur schwer überlebt. Man muss heute schon eine klare Haltung und eine profunde Argumentation haben, um im vor allem aus dem rechten Lager gut organisierten Gegenwind bestehen zu können. Auf der anderen Seite lassen sich Kampagnen viel leichter organisieren als früher. Das kann heute schneller und wirkungsvoller geschehen als früher mit Briefe verschicken und auf die Straße gehen.

BSZ: Franz Josef Strauß hat die Grünen vor 30 Jahren nicht zu Staatsempfängen eingeladen, Horst Seehofer bittet Sie heute mitunter zu vertraulichen Gesprächen in die Staatskanzlei. Ist das neuer Stil oder neues Kalkül?
Bause: Strauß war eine Figur seiner Zeit, sein Demokratieverständnis wäre heute wohl nicht mehr vermittelbar. Wenn Seehofer uns heute zu Gesprächen einlädt, vollzieht er nur eine Praxis nach, die in anderen Bundesländern längst gang und gäbe ist. Eigentlich sollte das demokratischer Standard sein. Die CSU hat da aber immer noch Nachholbedarf.

BSZ: Wie sehr schmerzt es, den Erfolg eigener Ideen mangels Regierungsbeteiligung oft der CSU überlassen zu müssen?
Bause: Unser politisches Wirken war daran ausgerichtet, gesellschaftliche Mehrheiten für unsere Anliegen zu organisieren. Das hat dann den Druck auf die CSU erhöht, ihre Positionen zu ändern. Natürlich würden wir lieber selber gestalten, weil es dann auch schneller und weniger widersprüchlich gehen würde. Aber viele Bereiche, von denen Bayern auch wirtschaftlich profitiert wie von der Zuwanderung, dem Ausbau der Umwelttechnologie, der Gentechnikfreiheit, da waren wir Grüne die Vorreiter. Damit haben wir das gute Leben in Bayern befördert.

BSZ: Nach Lage der Dinge könnte die CSU 2018 wieder einen Koalitionspartner brauchen. Wären die Grünen bereit?
Bause: Ich sehe die Entwicklung innerhalb der CSU derzeit sehr kritisch. Die Scharfmacher haben beim Thema Flüchtlinge und Zuwanderung die Oberhand, die sozialen und liberalen Stimmen sind fast nicht mehr zu hören. Solange die CSU mit einem sich rassistisch äußernden Herrn Scheuer und einem Sozialneid schürenden Herrn Söder versucht, der AfD den Rang abzulaufen, sehe ich für eine gedeihliche Zusammenarbeit ganz große Probleme. Wir Grüne sind regierungsfähig, wir müssen aber nicht um jeden Preis regieren.

BSZ: Aber schön wär’s schon, oder?
Bause: Ja – und es würde Bayern gut tun.
(Interview: Jürgen Umlauft)

Kommentare (1)

  1. otto regensbacher am 16.10.2016
    Wenn wir die grünen Gutmenschen nicht hätten, dann wäre Bayern längst untergegangen....
    Aber eines muss man der Obergrünen Bause lassen, sie ist eine begnadete Selbstdarstellerin. Dennoch wird sie uns im Bayerischen Landtag kaum fehlen, wenn sie der erhofften "großen Kariere" wegen in den BT nach Berlin wechselt!
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