Politik

Die Flüchtlings-Obergrenze ist nötig, meint der scheidende Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, Martin Neumeyer. (Foto: dpa)

02.12.2016

"Wir werden ein Einwanderungsgesetz bekommen"

Martin Neumeyer (CSU) über seinen Abschied als Integrationsbeauftragter, eine Amnestieregelung für Flüchtlinge und die Fehler der Staatsregierung

Seit 20 Jahren beschäftigt sich Martin Neumeyer (CSU) mit dem Thema Integration. Lange Zeit wurde er dafür schief angeschaut, seit der Flüchtlingskrise erhält er sogar Morddrohungen. Im November wechselte er als Landrat nach Kelheim. Im BSZ-Interview zieht er nach acht Jahren als Integrationsbeauftragter Bilanz. BSZ: Herr Neumeyer, Ihr Chef Horst Seehofer sagte, Sie hätten sich „weit über das erwartbare Maß hinaus“ um die Integration verdient gemacht. Lob kam regelmäßig auch von der Opposition. Hätten Sie Ihr Amt auch als Landrat gern behalten?
Martin Neumeyer: Die Entscheidung, die Stelle des Integrationsbeauftragten nach meinem Amtsantritt als Landrat in Kelheim neu zu besetzen, ist die des Ministerpräsidenten – das akzeptiere ich. Ich habe die Aufgabe mit Leidenschaft und Herzblut erledigt und hänge immer noch sehr daran. Landrat zu sein ist aber auch eine sehr bedeutende und reizvolle Aufgabe.

BSZ: Ihre Aufgabe war es, die Staatsregierung bei der Integration zu beraten. Wo ist Ihnen das besonders gut gelungen, wo mussten Sie eine gewisse Beratungsresistenz feststellen?

Neumeyer: Die Staatsregierung war nicht beratungsresistent. Aber das Thema Integration wurde am Anfang nicht ernst genommen. Gleichwohl möchte ich hervorheben, dass die Landtagspräsidentin Barbara Stamm das Thema Integration und mich von Anfang an unterstützt hat. Sie hat gleich zu Beginn gemerkt, wie wichtig Integration ist. Ansonsten haben mich viele als Exoten bezeichnet und gespottet, Integration sei kein Thema. Ich musste mir viele Sprüche anhören.

BSZ: Auch den von Ihnen ins Leben gerufenen Asylpreis haben zu Beginn alle abgelehnt.
Neumeyer: Ja, aber ich habe an meiner Idee festgehalten und war hier Vorreiter. Einige Jahre danach verleiht 2017 Bundeskanzlerin Angela Merkel zum ersten Mal den „Nationalen Integrationspreis“, mit dem sie das Engagement für die Integration von Flüchtlingen würdigt. Wir haben mit den Preisen, dem Integrationsrat, dem Dialog mit dem Islamrat, unseren Handlungsempfehlungen und speziellen Migrantentagen Spuren gelegt. Wir haben damit keine harten Fakten geschaffen, aber wir wollten die Menschen sensibilisieren. Nach acht Jahren als Integrationsbeauftragter kann ich sagen: Das Pilotprojekt ist gelungen.

BSZ: Islamhörig, unterwürfig, naiv: Sie mussten sich für Ihre Politik nicht nur auf rechtspopulistischen Webseiten viel Kritik gefallen lassen. Manche haben sogar Ihre private E-Mail-Adresse veröffentlicht. Wurden Sie bedroht?

Neumeyer: Ich bekam Morddrohungen. Manche drohten, mein Haus abzufackeln. Irgendwann habe ich Anzeige erstattet. Alle Mitarbeiter im Büro haben vorsorglich ihre Fingerabdrücke abgegeben – man weiß nie, was kommt. Bei manchen Veranstaltungen hatte ich Polizeischutz. Ich habe mich aber nie gefürchtet. Jetzt, wo nicht mehr so viele Flüchtlinge kommen, ist das Thema nicht mehr so stark im Bewusstsein. Dennoch muss man die Menschen bei diesem Thema ernst nehmen.

BSZ: Die meisten Flüchtlinge gelangen über Bayern nach Deutschland. Dennoch hat der Freistaat im Gegensatz zu anderen Bundesländern nur einen Integrationsbeauftragten und kein Integrationsministerium. Warum?
Neumeyer: Am Anfang war ich auch ein großer Fan davon. Da Integration aber so viele einzelne Ministerien und Fachbereiche betrifft, ist es mit einem Integrationsbeauftragten leichter. Als Hauptamtlicher wäre es sicher noch einfacher gewesen. Der wäre aber wiederum auch abhängiger gewesen. Unabhängigkeit heißt, auch kritisch mit dem Thema umzugehen. Auf Bundesebene gibt es auch kein Integrationsministerium. In Bayern hat das Sozialministerium den Anhang Integration.

BSZ: Nach Andreas Scheuers Aussage über den „ministrierenden Senegalesen“ haben Sie seinen Satz verteidigt: Wenn Empathie entstehe, werde es umso schwieriger, Flüchtlinge wieder zurückzuführen.
Neumeyer: Wenn Menschen länger da sind, einen Beruf haben, sich integrieren, die Sprache beherrschen oder im Helferkreis aktiv sind, entstehen Gefühle. Man hätte das verhindern können, wenn man die Menschen schneller zurückgeführt hätte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat aber nicht so schnell reagiert, wie wir es gern gehabt hätten. Manche Fälle wurden seit Jahren nicht behandelt.

„Das eine ist das christliche Herz, es muss aber auch der Verstand eingeschaltet werden“

BSZ: Empfinden Sie es als richtig, diese gut integrierten Flüchtlinge wieder abzuschieben?
Neumeyer: Ich habe vor Jahren einen Antrag gestellt, ob man eine Amnestie gewähren könnte, um ihnen die Chance zu geben, hier bleiben zu können – natürlich nicht für die Kriminellen. Das war aber damals nicht en vogue und ist seit der Flüchtlingskrise umso schwieriger.

BSZ: Bayern legt das Integrationsgesetz des Bundes sehr restriktiv aus, weshalb selbst Flüchtlinge, die eine Ausbildung angefangen oder geplant haben, von Abschiebung bedroht sind.
Neumeyer: Bayern legt das Gesetz strikter aus und liegt bei den Rückführungen vorne. Bremen hat überhaupt keine Flüchtlinge abgeschoben. Das ist sicher auch nicht richtig. Wenn manche machen, was sie wollen, brauchen wir keine Gesetze. Bei Abschiebungen gibt es sicher Härtefälle. Zum Beispiel bei denen, die über fünf, sechs Jahre in Deutschland leben und gut integriert sind. Sie kommen zwar aus sicheren Herkunftsländern, aber sind eben schon so lange da. Viele Betriebe würden sie gern behalten.

BSZ: Obwohl Wirtschaftsvertreter schon lange für ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte werben, halten Sie die bestehenden Regelungen für ausreichend. Sind 3000 bewilligte Blue Cards für Akademiker im letzten Jahr in Bayern angesichts des Fachkräftemangels wirklich genug?

Neumeyer: Wir werden ein Einwanderungsgesetz bekommen – weil es notwendig ist, zu regeln, welche und wie viel Zuwanderung Deutschland braucht. Mit der Blue Card gibt es schon eine gewisse Öffnung. Wir müssen aber ehrlicherweise auch sagen, dass jährlich 400 000 Arbeitsmigranten kommen. Hinzu kommen eine Million Zuwanderer aus der Europäischen Union. Und letztes Jahr noch mal knapp eine Million Flüchtlinge. Es wäre besser gewesen, wir hätten schon ein Einwanderungsgesetz. Durch die Flüchtlingskrise müssen wir jetzt aber erst über das Integrationsgesetz reden. Wenn Erdo(g)an hustet, ist Europa krank.

BSZ: Heuer sind rund 150 000 Flüchtlinge in Bayern angekommen, das entspricht dem Niveau der 1990er-Jahre in Deutschland. Warum hält die CSU dennoch so vehement an der Obergrenzen-Forderung von 200 000 fest?
Neumeyer: Es werden heuer mehr als 200 000 kommen. Außerdem ist die Obergrenze nicht nur eine Idee der CSU: Italien hat sie, Österreich und Dänemark. Ob 200 000 oder 210 000 – man muss die Messlatte so legen, dass das Land die Zuwanderung verkraften kann. Wir müssen die Menschen ja auch integrieren. Allein wegen der Kosten, die für Bund und Kommunen für die Flüchtlingsarbeit entstehen, muss man eine Grenze setzen. Das eine ist das christliche Herz, es muss aber auch der Verstand eingeschaltet werden.

BSZ: Obwohl Bildung ein Grundrecht ist, zeigt ein Lagebericht, dass in Deutschland zehntausende Kinder in Erstaufnahmeeinrichtungen monatelang vom Regelschulbesuch ausgeschlossen werden.
Neumeyer: Bayern steht in diesem Bereich gut dar – das höre ich auch von den Helferkreisen. Es ist nicht einfach, Übergangsklassen, Sprachförderklassen und Infrastruktur zu schaffen. Nach drei Monaten steht aber jedem Kind der Schulbesuch zu. Natürlich können wir uns verbessern, aber das muss auch organisiert werden und benötigt Zeit. Wir können also zufrieden sein, auch wenn wir bei Weitem noch nicht am Ende sind.

BSZ: Ihre Kollegin, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz (SPD), lehnt ein pauschales Verbot von Kinderehen ab. Durch die Aufhebung der Ehe würden Mütter Unterhalts- und Erbansprüche verlieren.

Neumeyer: Kinderehe ist Kinderehe. Und jede ist eine zu viel. Sonst opfern wir unsere Werte. Wenn ein 14-jähriges Mädchen verheiratet ist, macht sie das mit Sicherheit nicht freiwillig, sondern folgt Eltern, Verwandten oder kulturellen Traditionen. Es kann nicht sein, dass ein Mädchen nach dem Motto „Sie braucht den Schutz des Mannes“ in die Ehe gezwungen wird. Man muss ein Kind Kind sein lassen. Wenn finanzielle Abhängigkeiten bestehen, muss man das durch den Sozialstaat regeln, nicht durch einen Mann. Ich hoffe, dass Heiko Maas und Aydan Özoguz einen vernünftigen Gesetzestext schreiben.

BSZ: Bis Sie im März aus dem Amt scheiden, wollen Sie noch einige Projekte zu Ende bringen. Welche?
Neumeyer: Aktuell führen wir eine Werteabfrage auf Facebook durch. Ich möchte erfahren, was den Menschen in Bayern wirklich wichtig ist, was uns zusammenhält, und ich möchte den Dialog zwischen Bürgern und Politik stärken. Die Ergebnisse der Umfrage werden auch in die Arbeit des Bayerischen Integrationsrates einfließen, der sich derzeit mit dem Thema Werte- und Demokratieerziehung für alle beschäftigt. Am 7. Januar werden wir außerdem einen Film zu Charlie Hebdo im Landtag aufführen. Anschließend wollen wir mit Vertretern des Satiremagazins Titanic über Pressefreiheit und Karrikaturenfreiheit diskutieren.

BSZ: Welche Themen hinterlassen Sie Ihrer Nachfolgerin Kerstin Schreyer?
Neumeyer: Die Herausforderung mit dem Islam wird das größte Thema sein. Vom Kopftuch über Burka, getrennte Hallenbädernutzung bis zum Essverhalten. Dabei geht es nicht darum, dass Muslime auf ihre Religion und Kultur verzichten. Vielmehr geht es darum, und das ist entscheidend, ihre Religion und Kultur mit den Gesetzen, Regeln und Werten in unserem Land in Einklang zu bringen.

BSZ: Und welche Tipps werden Sie ihr bei der Amtsübergabe geben?
Neumeyer: Jeder Ratschlag ist auch ein Schlag – daher gebe ich keinen. Das setzt den anderen nur unter Druck. Ich halte mich an Frank Sinatra: „I did it my way“ – und das wünsche ich allen anderen auch. (Interview: David Lohmann)

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