Politik

Die 73-jährige Politologin Ursula Männle ist die erste Frau an der Spitze der Hanns-Seidel-Stiftung. Sie saß lange Jahre für die CSU im Landtag und auch im Bundestag. (Foto: BSZ)

19.01.2017

"Wir wollen stärker rausgehen zu den Menschen"

Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, über ihre Arbeitsbilanz nach knapp drei Jahren, die Herausforderungen der Flüchtlingspolitik und Schikanen des Auslands

Im Kreis der politischen Stiftungen zählt die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) zu den kleinen: Die Zuschüsse des Bundes orientieren sich am Abschneiden bei der Bundestagswahl. Da hat’s die nur in Bayern antretende CSU schwerer als andere. Die Arbeitsbilanz der HSS kann sich dennoch sehen lassen: Seit ihrer Gründung hat sie 43 000 Seminare abgehalten, sie unterhält Büros in mehr als 60 Ländern. Jetzt feiert die Stiftung 50-jähriges Jubiläum. BSZ: Frau Männle, was sind für Sie die Highlights der 50-jährigen Stiftungsgeschichte?
Ursula Männle:  Dazu gehört sicher, wie positiv wir uns nach den äußerst bescheidenen Anfängen entwickelt haben: Vor 50 Jahren nahm die Stiftung ihre Arbeit in einem Schwabinger Wohnzimmer auf. Seit 2001 haben wir eine wunderbare zentrumsnahe Repräsentanz mit 260 Beschäftigten und einem Jahresbudget von 64 Millionen Euro. Zu den Highlights zählt auch, dass es uns vor 42 Jahren gelungen ist, uns im malerischen Wildbad Kreuth einzumieten. Und dass wir uns den Erwerb von Kloster Banz als oberfränkische Außenstelle leisten konnten. BSZ:  Aus Wildbad Kreuth wurden Sie vertrieben, weil die Eigentümer deutlich mehr Miete wollten. Haben Sie Ersatz gefunden?
Männle: Wir haben gar nicht nach einem neuen Tagungsgebäude gesucht. Sondern nehmen die veränderte Situation zum Anlass, dem Trend zur Regionalisierung Rechnung zu tragen: Es ist nicht mehr so wie früher, dass die Leute für einen fünftägigen Bildungsurlaub in ein Tagungszentrum reisen wollen. Gefragt sind zunehmend kürzere Angebote vor Ort. Dafür mieten wir uns dann zum Beispiel in Hotels mit Seminarräumen ein oder für Jugend-Seminare auch mal in Jugendherbergen, die ja in der Regel sehr schön sind. Sehr gut laufen seit einiger Zeit auch Einzelvorträge mit anschließender Podiumsdiskussion. Zum Beispiel hatten wir eine Reihe zum Thema Rente, die in kleineren Städten stattgefunden hat. So etwas wollen wir in Zukunft verstärkt anbieten.

BSZ:
Was waren die beliebtesten Projekte der letzten Zeit?
Männle: Unsere Angebote zum Thema Flüchtlinge und Integration. Da haben wir eine Riesen-Nachfrage. Und wir sind in diesem Bereich echt gut! Zum Beispiel bieten wir eine Broschüre an mit dem Titel „Ich zeige dir meine Stadt“. Darin erklären wir, wie der Alltag und das Miteinander in Deutschland funktionieren. Also zum Beispiel im Straßenverkehr, wie eine Ampel funktioniert, dass die auch für Radfahrer gilt oder dass man in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Fahrkarte braucht. Es wird auch erklärt, welche Rechte eingetragene Lebenspartner haben, was ein Sportverein ist und was Religionsfreiheit bedeutet. Diese Broschüre war so beliebt, wir sind mit dem Nachdrucken gar nicht mehr nachgekommen. Inzwischen verwenden Schulen sie sogar im Unterricht.

"Die Arbeit für Nichtregierungsorganisationen ist in einigen Ländern schwieriger geworden"

BSZ: Als Stiftung sind Sie auch zuständig für Politikberatung. Welchen Rat würden Sie den politisch Verantwortlichen geben beim Thema Flüchtlingspolitik?
Männle: Es wäre wichtig, dass wir mehr miteinander reden. Vor allem in der Kommunalpolitik sollten sich die Verantwortlichen stärker vernetzen, weil jeder vom anderen lernen kann. Es muss ja beim Thema Flüchtlinge nicht jede Kommune das Rad neu erfinden. Das ist das eine. Das andere ist, dass Landespolitiker mehr rausgehen müssen, auf die Leute zugehen und ihnen zuhören müssen. Viele Bürger haben den Eindruck, sie werden nicht gehört, ihre Bedürfnisse werden nicht beachtet. Dabei geht es zunächst gar nicht darum, dass ein Politiker immer gleich eine Lösung hat, wenn Bürger ihre Ängste äußern. Es ist schon viel gewonnen, wenn man ihnen zuhört und mal sagt: Ich verstehe eure Befürchtungen, und wir arbeiten daran, euch zu helfen. BSZ: Beim Thema Integration gab es zuletzt viel Streit. Oft ging es dabei um die Leitkultur. Wie stehen Sie zu diesem Begriff?
Männle: Ich meine, alle politischen Akteure wünschen sich, dass Flüchtlinge die Gepflogenheiten ihres Gastlandes achten und befolgen. Die Inhalte sind wichtig, die Frage also, was konkret unter Leitkultur verstanden wird. Darüber besteht weitgehend Konsens. Von daher verstehe ich den Streit um den Begriff als solchen nicht. Grundsätzlich wünsche ich mir, dass man wieder einen gemeinsamen Weg in der Flüchtlingspolitik findet.

"Wir kümmern uns auch um Frauenförderung im Ausland"


BSZ: Die Hanns-Seidel-Stiftung unterhält Büros in über 60 Ländern weltweit. Was bringt das konkret?
Männle:
Unsere Auslandsrepräsentanzen sind von unschätzbarem Vorteil: So können wir sehr stark mitwirken an der politischen Entwicklung eines Landes. Zum Beispiel haben wir in Tunesien bei der Diskussion um die neue Verfassung von 2014 beratend mitgewirkt. In der Folge wurden wir angefragt, ob wir hinsichtlich der Frauenförderung nicht unseren Beitrag leisten könnten, um bei der Umsetzung der paritätischen Beteiligung von Männern und Frauen vor allem in den kommunalen Parlamenten zu helfen. Wir bieten zahlreiche Seminare hierzu an und haben auf diesem Weg bereits Hunderte von Frauen auf die Übernahme kommunalpolitischer Verantwortung vorbereitet. Zwölf der Kandidatinnen konnten im November 2016 sogar nach Bayern reisen, um sich bei Kommunalpolitikerinnen vor Ort zu informieren. Die haben dann zum Beispiel die grüne Bürgermeisterin Susanna Tausenfreund in Pullach besucht. Unser Mitarbeiter in Marokko kümmert sich beispielsweise ebenfalls sehr stark um die dortige Frauenförderung. Auch in Tansania läuft ein Frauenprojekt. Aber natürlich gibt es neben der Frauenförderung zahllose andere Bereiche, in denen wir versuchen, die Politik im Ausland zum Besseren zu wenden. Die Angebote hängen immer davon ab, was ein Land braucht.

BSZ: Ist eine Expansion der Auslandsrepräsentanzen geplant?
Männle: Eigentlich war ein Büro in der Türkei geplant. Dazu hatten wir vergangenes Jahr die entsprechenden Unterlagen eingebracht, drei Wochen vor dem Putschversuch, der das Land noch immer in Atem hält. Der Ball liegt nun in Ankara. Ganz allgemein ist es so, dass die internationale Arbeit für Stiftungen schwieriger geworden ist. Immer mehr Länder legen Nichtregierungsorganisationen Steine in den Weg. Leider sind es immer die Länder, die Nachhilfe in Demokratie gut gebrauchen könnten: China, Pakistan, Russland, Ägypten. Diese Länder fürchten den Einfluss von außen und schotten sich zunehmend ab. Zum Beispiel können wir seit einem Jahr in Ägypten kaum mehr arbeiten, weil ein neues Gesetz die Rechte von Nichtregierungsorganisationen beschneidet. Und im russischen St. Petersburg mussten Kollegen der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung hinnehmen, dass Regierungsmitarbeiter einfach die Computer mitgenommen haben.

BSZ: In Europa ist die Hanns-Seidel-Stiftung kaum präsent. Es gibt Büros in Brüssel und in Osteuropa. Soll das so bleiben?
Männle: Nein. Wir müssen uns viel stärker um Europa kümmern! Das spannendste Thema ist doch die Zukunft Europas, die Frage, ob das gemeinsame Europa gerettet werden kann. Das betrifft die Finanz-, Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik. Wir sollten hier gerade die westeuropäischen Länder wieder stärker in den Blick nehmen. Herausforderungen wie der Brexit, die Lage in Italien oder die kommenden Wahlen in Frankreich legen dies nahe. Grundsätzlich wollen wir unseren Beitrag dazu leisten, den europäischen Gedanken in ganz Europa wieder zu stärken.

BSZ: Sie amtieren seit Mai 2014 als Stiftungsvorsitzende. Was ist anders geworden unter Ihrer Führung?
Männle: Es gibt mehr Teamwork. Das war mir von Anfang an sehr wichtig. Auch, dass man abteilungsübergreifend denkt. Das gestaltet sich nicht ganz einfach, aber es gelingt zunehmend. Zum Beispiel haben wir beim Thema Integration gemeinsame Projekte entwickelt und auf den Weg gebracht. Das freut mich. Das will ich fortsetzen. In diesem Jahr diskutieren wir außerdem eine neue Satzung, in der Aufgaben neu verteilt werden. Ich bin überzeugt davon, dass man über veränderte Strukturen viel erreichen kann.
(Interview: Waltraud Taschner )

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