Politik

Der "Mov'in"-Mitarbeiter Benjamin Deinert und die Flüchtlinge Sayreh, Mina und Maryam Faghiri beim Beratungsgespräch in Nürnberg. (Foto: dpa)

06.11.2014

Scheitern am Wohnungsmarkt

Mehr als 1600 Flüchtlinge in Bayern leben in einer Gemeinschaftsunterkunft, obwohl sie längst ausziehen dürften - ein Projekt hilft

Seit zwei Jahren sucht Sayreh für sich, ihre Mutter und die drei Geschwister nach einer bezahlbaren Wohnung in Nürnberg. Die Flüchtlinge aus Afghanistan haben eine Aufenthaltserlaubnis und die 21-jährige Sayreh spricht gut Deutsch. Auch ihre Geschwister und Mutter Sughra gehen zur Schule, machen eine Ausbildung oder einen Integrationskurs. In der Nürnberger Gemeinschaftsunterkunft müssen sie sich zu fünft zwei Zimmer teilen. Die Matratzen haben sie auf den Boden gelegt, denn sonst könnten sie sich gar nicht mehr bewegen. Längst dürften sie eigentlich aus der Sammelunterkunft ausziehen - doch sie finden einfach keine Wohnung.
So geht es vielen Asylbewerbern in Bayern. Nach Angaben des Sozialministeriums lebten Ende September mehr als 1600 Flüchtlinge in einer Gemeinschaftsunterkunft, obwohl sie auszugsberechtigt wären. Allein in Nürnberg sind es etwa 200. Doch sie scheitern am Wohnungsmarkt, hohen Maklerprovisionen oder Vermietern, die ihre Wohnungen nicht an Flüchtlinge abgeben wollen. Das Projekt "Mov'in" der Arbeiterwohlfahrt hilft Asylbewerbern in neun Städten in Bayern in die eigenen vier Wände. Bei der Suche müssen die Helfer jedoch oft einen langen Atem haben.

Ablehnung - "immer ohne Begründung"

Dringend bräuchten Sayreh und ihre Familie eine Wohnung, in der sich die jüngste Tochter Maryam bewegen kann. Die 15-Jährige sitzt im Rollstuhl. Die Gemeinschaftsunterkunft ist nicht behindertengerecht. "Wir fühlen uns sehr schlecht bei der Wohnungssuche", erzählt Sayreh. "Es ist eine große Herausforderung, denn die Wohnung muss groß und barrierefrei sein - und sie darf nicht zu teuer sein." Schon mehrere Wohnungen hat die Familie angesehen, doch entweder waren sie zu klein, nicht für Rollstuhlfahrer geeignet oder der Vermieter lehnte die Familie am Schluss ab. "Immer ohne Begründung", erzählt die 21-Jährige.
Benjamin Deinert von "Mov'in" erzählt, oft sei der Bezug von Sozialleistungen ein Hinderungsgrund für die Vermieter: "Sie haben die Befürchtung, dass die Miete nicht bezahlt wird. Doch das ist unbegründet. Ich habe noch nie gehört, dass das Sozialamt oder das Jobcenter die Miete nicht mehr bezahlt hat." Die erste Reaktion von Vermietern auf eine Anfrage sei meist: "Arbeiten die denn? Sprechen die denn Deutsch?" Offene Ablehnung gebe es fast nie. "Doch wenn einer sagt, sie melden sich, kommt eine Vermittlung fast nie zustande", erzählt der 32-jährige Sozialpädagoge.

Ehrenamtliche vermitteln Kontakt zu Vermietern

Die knapp 20 "Mov'in"-Mitarbeiter - fast alle Ehrenamtliche - beraten die Asylbewerber nicht nur bei der Wohnungssuche und vermitteln zwischen ihnen und den Vermietern. Sie klären die Flüchtlinge auch über die Rahmenbedingungen des Mietverhältnisses auf, sprechen mit ihnen den Vertrag durch und vermitteln Kenntnisse über Energiekosten und das richtige Verhalten in einer deutschen Mietwohnung - inklusive Mülltrennung und richtigem Lüften. "Es ist wichtig, dass der Vermieter weiß, das da noch jemand dahinter steht als Ansprechpartner", sagt Deinert.
Der Erfolg gibt ihm recht: Bereits 36 Haushalte mit insgesamt 82 Menschen konnte "Mov'in" in Nürnberg seit April 2013 vermitteln. Auf der Warteliste stehen derzeit weitere 50 Familien. "Fast jeden Tag kommen Leute zur Beratung", sagt Deinert.
Eine große Hilfe sei die Zusammenarbeit mit dem Nürnberger Immobilienunternehmen wbg. Deinert meldet dort Asylbewerber, für die er eine Wohnung sucht, und seine Ansprechpartnerin sucht Objekte, die passen könnten. "Auch immer mehr private Vermieter kommen auf uns zu, die helfen wollen und eventuelle Schwierigkeiten in Kauf nehmen", erzählt der 32-Jährige.
Abdi Warsame hat nach langer Suche für sich und seine Familie eine Wohnung gefunden. Er brauchte dafür vier Jahren und hat etwa 200 Besichtigungen hinter sich. "Immer kamen viele Leute zum Anschauen und immer wurden andere genommen", erzählt der 26-jährige ehemalige Profifußballer aus Somalia. "Gott sei Dank hat es jetzt geklappt." (Cathérine Simon, dpa)

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