Europa hat gewählt. Demnächst geht es für die Abgeordneten wieder an die Arbeit: Eines der Kernthemen ist die Verhandlung einer Transatlantischen Freihandelszone zwischen der EU und den USA (TTIP). Handelskammern und Wissenschaftler fordern mehr Transparenz – und eine Diskussion fernab von Chlorhühnchen und Genmais.
Die Unternehmen freuen sich drüber, Verbraucherschützer eher weniger: So nennt BMW-Vorstand Harald Krüger das geplante Handelsabkommen überfällig: „Wir haben hohe Zollschranken und unterschiedliche Standards, wie Crash-Tests, in den USA und in Europa“, sagte Krüger kürzlich im Rahmen einer Diskussionsrunde der bayerischen Staatskanzlei. Für die Konzerne, aber auch für mittelständische Zulieferer hat das laut Krüger zwei Folgen: einerseits hohe Kosten für Zoll und doppelte Zulassungsverfahren in der EU und den USA. Andererseits eine lange Dauer für die Zulassungen und damit zeitliche Verzögerungen in der Entwicklung.
Unternehmer oder Vorstände, die offen Position für das Handelsabkommen zwischen Europa und den USA beziehen, sind rar geworden. Die Bayerische Staatszeitung bat fünf Mittelständler um einen Kommentar zum TTIP, keiner wollte sich äußern. Der Grund liegt auf der Hand: Die diskutierten Inhalte des Handelsabkommens sind kaum bekannt. So fand auch die fünfte Verhandlungsrunde zum TTIP letzte Woche im US-Bundesstaat Virginia unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Eberhard Sasse, Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags, nennt diese Geheimhaltung inakzeptabel: „Die Verhandlungen müssen transparent sein“, fordert Sasse. Die breite Akzeptanz des Abkommens in der Bevölkerung sei Voraussetzung für den Erfolg.
Abstriche beim Verbraucherschutz will keiner
Seit Langem äußern Verbraucherschutzorganisationen Bedenken, dass im Rahmen der Verhandlungen Standards bei Lebensmitteln gesenkt werden könnten: Chlorhühnchen und Genmais sind damit als mögliche Importgüter aus den USA zum Symbol des TTIP geworden. Auch hier appelliert Sasse an die die Verhandlungsparteien: „Das Freihandelsabkommen darf nicht zu Abstrichen bei den hohen europäischen Standards im Verbraucher-, Umwelt- und Arbeitsschutz führen.“
Eine aktuelle Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags zeigt: Mehr als 60 Prozent der außenwirtschaftlich aktiven Unternehmen erachten eine Übereinkunft im Sinne des Handelsabkommens für wichtig oder sehr wichtig. Dass besonders Bayern von einem offenen Handel profitiert, zeigen Untersuchungen der Industrie- und Handelskammern in Bayern: Schon heute betragen die Exporte Bayerns, gemessen an der Bruttowertschöpfung, über 35 Prozent.
Positiver Nebeneffekt könnte sein, dass die Produktvielfalt steigt
Gabriel Felbermayr, Leiter des Zentrums für Außenwirtschaft am Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, hat die Effekte eines Handelsabkommens auf den Arbeitsmarkt errechnet: „Wir gehen davon aus, dass das TTIP rund 160 000 neue Arbeitsplätze in Deutschland bringen könnte“, sagt Felbermayr. Vor allem für Mittelständler sieht er Chancen: „Unternehmen, die heute wegen hoher Handelskosten und aufwendiger Zulassungsverfahren ihre Produkte noch nicht in den USA verkaufen, profitieren von einem Freihandelsabkommen.“ Auch für die Verbraucher gebe es positive Effekte: nämlich „mehr Wettbewerb, der in der Regel zu niedrigeren Preisen führt. Außerdem gibt es einen Gewinn an Produktvielfalt“, so Felbermayr.
Die positiven Effekte des TTIP sieht auch der bayerische CSU-Europaabgeordnete Albert Deß. Er wehrt sich aber gegen Angleichungen bei Verbraucher- und Umweltstandards: „Die Kommission muss im Rahmen der Verhandlungen auf den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt achten. Auch die europäischen Qualitäts- und Herkunftsschutzbezeichnungen sind nicht verhandelbar“, sagt Deß. Die fränkische SPD-Europaabgeordnete Kerstin Westphal geht noch weiter: „Ich lehne ein Abkommen ab, das unsere europäischen Standards absenkt.“ Das Abkommen sei derzeit nicht akzeptabel, das EU-Parlament habe ein Veto-Recht und müsse dieses nutzen, so Westphal. Auch die Grünen lehnen das TTIP ab.
Dass das Abkommen oft auf die mögliche Absenkung von Umwelt-
standards reduziert wird, ärgert den ifo-Ökonomen Gabriel Felbermayr: „Übergreifende einheitliche Standards wird es nicht geben“, prognostiziert er. Chancen auf eine schnelle Annäherung sieht er im verarbeitenden Gewerbe, vor allem im Maschinenbau oder der Autoproduktion: „Ein Auto, das in Deutschland als sicher getestet wird, sollte auch in den USA sicher sein – und umgekehrt“, sagt Felbermayr. (Felix Scheidl)
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