Politik

Allen Bürgern ab 16 Jahren wird ab diesem Sommer ein Organspendeausweis zugeschickt. (Foto: dapd)

09.03.2012

Zwischen Hoffen und Bangen

In Bayern warten immer mehr Menschen auf ein Spenderorgan – eine Reform soll die Situation entschärfen

Es ist ein trauriger Rekord. Seit zwei Jahren lebt die fünfjährige Lara in der Uniklinik Erlangen – angeschlossen an ein 100 Kilo schweres Kunstherz. Noch nie zuvor hat ein kleines Kind so lange mit einer Maschine überlebt, noch nie so lange auf eine Transplantation gewartet, sagt ihr Chirurg Robert Cesnjevar und betont: „Ich bin höchstens von einer Wartezeit von einem Jahr ausgegangen.“
Lara war drei Jahre alt, als sie am Herzen operiert wurde. Chronische Muskelschwäche. Seitdem wohnt ihre Mutter mir ihr in der Klinik. „Wenn es spät abends an der Tür klopft, denken wir oft: Jetzt haben sie das Herz“, erzählt die 43-Jährige. Bislang aber hat sich ihre Hoffnung nicht erfüllt.
Nicht nur Lara und ihre Familie führen ein Leben zwischen Hoffen und Bangen. In Deutschland warten mehr als 12 000 Menschen auf ein neues Organ. Pro Tag sterben mindestens drei Menschen, denen eine Organübertragung das Leben hätte retten können. In Bayern stehen 1749 Menschen auf der Warteliste für eine Organspende – 24 mehr als vor einem Jahr.


Jeder Bürger bekommt von der Krankenkasse Post


Schuld daran sind auch die Gesetze, meint Laras behandelnder Arzt Cesnjevar. In Deutschland muss man in eine Organspende aktiv einwilligen. Nur wenn ein Spendeausweis vorliegt oder zu Lebzeiten Angehörigen die Spendebereitschaft mitgeteilt worden ist, dürfen einem Hirntoten Organe entnommen werden. In  Spanien und Österreich beispielsweise gilt die Widerspruchsregelung. Das heißt, in diesen Ländern ist jeder Mensch automatisch Organspender, wenn er dagegen keinen Widerspruch einlegt. Die Konsequenz: In Spanien kommen auf eine Million Einwohner etwa 34 Organspender, in Deutschland sind es nur 14,7, in Bayern 15. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit abgeschlagen im unteren Drittel.
Seit mehr als 15 Jahren wird darüber debattiert, wie man die Spendenbereitschaft der Deutschen erhöhen könnte. Weniger als zehn Prozent besitzen laut Schätzungen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die bundesweite Koordinierungsstelle für Organspenden, einen Ausweis. „In den vergangenen 15 Jahren haben wir etwa eine halbe Milliarde Organspendeausweise verteilt“, sagt Thomas Breidenbach, geschäftsführender Arzt der DSO-Region Bayern der Staatszeitung. Gebracht habe das aber nichts. Jetzt gibt es neue Hoffnung: Die Bundesregierung wird im Sommer ein neues Organspendegesetz verabschieden – mit einer sogenannten Entscheidungslösung.
Künftig wird jeder Bürger ab 16 Jahren regelmäßig per Post von seiner Krankenkasse befragt, ob er einer Organspende zustimmt oder nicht. Dem Anschreiben soll direkt ein Organspendeausweis beiliegen, den man gegebenenfalls gleich ausfüllen kann. Breidenbach begrüßt die Entwicklung, weit genug geht sie ihm aber nicht. Denn einen Zwang zur Entscheidung gibt es nicht. „Ich habe die Sorge, dass sich nicht allzu viele tatsächlich äußern werden“, sagt er. „Ich befürchte, dass viele der Briefe ignoriert werden und im Müll landen.“ Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery sieht in der Reform ebenfalls nur einen ersten Schritt.
Auch Bayerns Gesundheitsminister Marcel Huber (CSU) hätte sich „die Einführung der Widerspruchsregelung gewünscht“, sagt er der BSZ. „Es ist aber wichtig, dass bei diesem sensiblen Thema eine Lösung gefunden wurde, die in einem breiten gesellschaftlichen Konsens steht.“ Und er ist durchaus optimistisch: „Wir erwarten uns von der Entscheidungslösung einen Anstieg der Spendenbereitschaft.“ Zusätzlich will Huber aber auch verstärkt auf Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit setzen.
Und die sind dringend nötig, darin sind sich alle Experten einig.  Als Spender kommt man nur infrage, wenn der Hirntod vor dem Herztod eintritt. Von den rund 400 000 Toten in den deutschen Kliniken jedes Jahr gilt das nur bei einem Prozent. Viele Menschen aber haben Angst, zweifeln, dass der Hirntod tatsächlich das Ende des Lebens bedeutet. Laut einer Umfrage der Bertelsmannstiftung und Barmer fürchten sogar 45 Prozent der Deutschen, dass die Ärzte nicht mehr mit vollem Einsatz um ihr Leben kämpfen, wenn sie  zu einer Spende bereit sind.


Experte befürchtet: Viele Briefe landen im Müll


Das sind Bedenken, die jeder Arzt natürlich zurückweist. „Und aus medizinischer Sicht gibt es keine sicherere Todesfeststellung als den Hirntod“, betont Breidenbach von der DSO. Der Münchner Herzchirurg Bruno Reichert, er hat in Deutschland die erste Herz-Lungen-Transplantation durchgeführt, bestätigt: „Keiner ist vom Hirntod je zurückgekommen.“
Umfragen zeigen: Im Bedarfsfall würden die meisten Menschen eine Organspende dankber annehmen. Doch wenn es darum geht, selbst zu spenden, überwiegen Angst und Verunsicherung. „Jetzt kommt es darauf an, wie die Neuerungen konkret ausgestaltet werden, wie viel Beratung es geben wird“, sagt Breidenbach. Im südbayerischen Raum beispielsweise gibt es bereits das Projekt „Schulen in die Transplantationszentren“, Schüler lernen vor Ort etwas über die Bedeutung der Organspende, erklärt Minister Huber. In diesem Jahr wird es auf Nordbayern erweitert.
Sieben Transplantationszentren gibt es in Bayern. Im vergangenen Jahr wurden dort 628 Organe von insgesamt 189 Spendern verpflanzt. Auch hier ist ein leichter Rückgang zum Vorjahr erkennbar. „Eine Vielzahl von Maßnahmen sind notwendig, damit die Anzahl der Organspender in einer Gesellschaft wächst“, sagt Breidenbach. „Dass es Möglichkeiten gibt, zeigen andere Länder. Aber auch die Zahl der Mitarbeiter der Organspendeorganisation spielt eine entscheidende Rolle.“ Während wir in Bayern gerade einmal neun Koordinatoren für 215 Krankenhäuser haben, sind dies in einer vergleichbaren Region in den USA oder Spanien etwa zehn Mal so viele“, kritisiert der Experte.
Die kleine Lara und ihre Familie hoffen indes weiter auf ein Spenderherz. Im April feiert das Mädchen seinen sechsten Geburtstag. Aber auch den wird es wohl in der Klinik verbringen müssen. (Angelika Kahl)

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