Unser Bayern

Ausschnitt aus einem Pamphlet des Münchner Hofarztes Alexander Seitz aus dem Jahr 1521; es ist wohl die erste deutschsprachige Druckversion der Sintflutprophetie überhaupt. Die komplette Ansicht des Blattes sehen Sie im Text. (Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

24.03.2016

Apokalypse im Zeichen des Fisches

Hochwasser, Kampf um die Kaiserkrone und um Religionen: Um 1500 grassierte in Bayern die Sintflutprophetie

Er versucht die Augen aufzureißen: Ist es nur ein Alptraum oder Realität? Lange kämpft er, wälzt sich hin und her, spricht gegen das schockierende Bild an. Dann fährt er verschwitzt auf, zittert am ganzen Leib, kommt nicht recht zur Besinnung. Doch das Gesicht lässt ihn einfach nicht los. Er schließt noch einmal die Augen und horcht. Wieder das entsetzliche Rauschen der herabstürzenden Wassermassen, wieder die weite, leere flache Landschaft und wieder dieser blassgelbliche bis bläuliche, zum Horizont aufgehellte Himmel. Davor das Unfassbare: Wie eine Bombe donnert eine gewaltige Wassersäule auf die Erde und formt sich zu einem explodierenden riesigen, blauen Pilz. Winzige, spinnwebenartige Wasserstrahlen sprühen nach oben. Doch das eigentliche Unheil spielt sich weiter unten ab: Gewaltige Flutwellen bewegen sich den Horizont entlang nach links und rechts, nicht jedoch zum Betrachter. Davor einzelne, eher verloren in der wüstenähnlichen Landschaft stehende Bäume. Schemenhaft deuten sich Silhouetten von Städten und Dörfern an. Einige liegen auf einer Landzunge, andere an den Ufern eines riesigen, unwirklichen, fast meerartigen Sees. In der Ferne, kündigt sich neues Unheil an: Langsam, fast zeitlupenhaft brechen zwölf weitere wässrige, tiefblaue Säulen vom Himmel – manche stehen unmittelbar vor dem Aufprall.

Seelenfenster öffnen

So könnte es gewesen sein, als der schon damals berühmte Nürnberger Grafiker und Maler Albrecht Dürer (1471 bis 1528) am Morgen des 8. Juni 1525 aus dem Schlaf erwachte. Auch im Wachzustand ließen ihn die Bilder nicht mehr los. Sein Herz war gepresst, beherrscht von dieser unergründlichen Macht, von dieser allumfassenden Angst. Ein starker innerer Druck quälte ihn. Er musste sein Seelenfenster öffnen: das Gesicht malen, es beschreiben. Rasch griff er zu Pinsel und Schreibfeder und notierte darunter: „Im schlaff hab ich dis gesicht gesehen wie vill großer wassern vom himell fiehlen ... aber do ich am morgen auff stund malet ich hier oben wie ichs gesehen het.“ Auf 30 mal 42,5 Zentimetern breitete er noch einmal alles aus, was er geträumt hatte: auf dickem Papier, in feinen Aquarelllasuren, mehr Fläche als Raum, mehr Symbol als Perspektive.

Mystiker mit dem Pinsel?

Dürer: ein Mystiker mit dem Pinsel? Vor den Zeitgenossen wohl nicht. Für sie war er in erster Linie der Malerfürst, einer der reichsten Männer der Norimberga mit freundschaftlichen Beziehungen zu den Großen der Welt. Und wie beurteilten sie das „Traumgesicht“? Die wenigsten von ihnen dürften das Aquarell gekannt haben, und wenn doch, hätten sie die Botschaft wohl verstanden. Was Dürer träumte und malte, war damals Tagesgespräch, „gemein sag“ und vielleicht auch „gemeiner troum“: Die Prophezeiung einer allumfassenden Apokalypse, einer furchtbaren Sintflut am Ende aller Zeiten. Was denkt der heutige Betrachter beim Anblick des „Traumgesichts“? Wie erfasst er den dazugehörigen Subtext? „Unwillkürlich kommen“ einem „die Bilder des verheerenden Tsunamis und der Atomkatastrophe in Japan in den Sinn“, schrieb Hans Kratzer am 27. März 2011 in der Süddeutschen Zeitung. Der Super-Gau im mitteljapanischen Atomkraftwerk Fukushima: Apokalyptische Szenen an den Ufern eines unendlichen Meeres, ausgelöst durch das schwerste Seebeben der japanischen Geschichte. Doch hinter die Silhouetten des Unheils schoben sich ältere, nicht weniger angsteinflößende Bilder. Der SZ-Autor hatte auch einen Blick in die Münchner Neue Zeitung vom 19. August 1946 geworfen: Fotos von Hiroshima nach dem Atombombenabwurf und daneben das „Traumgesicht“ Dürers. Für Kratzer bestand kein Zweifel: Dürer hatte nichts anderes gemalt als den Weltuntergang in Gestalt eines gewaltigen nuklearen Infernos.

Atomares Armageddon?

Dürer als Visionär des atomaren „Armageddon“? Seit Anbruch des Nuklearzeitalters häuften sich solche Interpretationen des Aquarells. Vor den Augen des heutigen Betrachters erscheint etwas, vom Gehirn hineinprojiziert und den Rahmen des realen Bildes sprengend: Vergleichbar einer überdimensionalen Fata Morgana erweitert sich die Wassersäule in der Wüste zu einem gewaltigen Atompilz, der das gesamte Firmament ausfüllt. Halluzination oder selektive Wahrnehmung? Möglicherweise beides. Die fallenden Wasser vom Himmel, das „windige Brausen“ beim Aufprall, die gewaltige Springflut, das Spritzen – alles wechselt auf einmal die Bewegungsrichtung: Von unten nach oben und nicht von oben nach unten. Auch Materie, Farbe und Temperatur des „Gesichts“ verändern sich, erscheinen nicht wässrig, sondern staubig, nicht blau, sondern schwarz, nicht kalt, sondern heiß.
„In diesem Jar 1524 wird ein Position der Planeten eintreten, die gar bemerkenswert und wunderlich erscheinet. Es werden 20 kleine, mittlere und große Conjunctiones auftreten von denen 16 ein wässrigen Zeichen habend. Sie zeigend an, dass nahebald der ganzen Welt, Gegend des Himmel, Königreichen, Provinzen, Staaten, Würdenträger, Vieh und Meeresgetier und all Bewohner auf Erden ein unzweifelhaft Veränderong haben werden“. Nachlesen konnte man diese Prognose erstmals in dem 1499 in Ulm publizierten Almanach nova plurimis annis venturis inservienta. Der Kalender stammte aus den Federn von Johannes Stöffler und Georg Pflaum, beide waren prominente Vertreter der damaligen Astronomie und Astrologie. Den nüchternen Leser von heute mögen solche Verheißungen kaum beeindrucken, und wenn ja, dann wohl auf andere Weise als die Menschen um 1500. Eine andere Lesart der Texte, die Symbolhaftigkeit der Wörter und Sätze, allen voran die Vieldeutigkeit der prophezeiten Veränderungen riefen damals Angst und Ungewissheit hervor. „Veränderung“ stand als Chiffre für Unordnung, für Zwietracht und Krieg sowie all die Übel und Heimsuchungen, die der sündhaften Menschheit drohten, wenn sie nicht zu Buße und Umkehr bereit war.

Blühendes Geschäft mit Vorhersagen

So blühte das Geschäft der Astrologie. War erst einmal eine Vorhersage in Umlauf, erwachte fast automatisch die Nachfrage nach weiteren, präziseren Prognosen. Höchsten Ansehens erfreuten sich die Sterndeuter vor allem dort, wo über die Zukunft gestritten und entschieden wurde: An den Fürsten- und Königshöfen, im Tross des Kaisers oder an der Kurie in Rom. Das Wissen über die Zukunft war ein Politikum allererster Ordnung, aber auch Zeitvertreib – oder „Kurzweil“ wie der Volksmund sagte. Gerade in unglücklichen Zeiten erwachte das Interesse am Rat der Gelehrten und Pseudogelehrten. Oft blieben die Grenzen zwischen Expertise und Scharlatanerie fließend und auch den Unterschied zwischen Astronomie und Astrologie kannte man noch nicht. Mal war mehr die Vorausberechnung der Planetenbahnen gefragt, mal mehr die Kunst der Horoskopie, meistens jedoch beides. „Astra regunt hominem, sed deus regit astra“: „Die Sterne regieren das menschliche Schicksal, doch Gott regiert die Sterne“. Viele Zeitgenossen kannten diesen Spruch, in keinem Kalender durfte er fehlen. Gottes Offenbarung und der Einfluss der Sterne schlossen sich nicht aus – rechtfertigten die Planetenexperten ihr Tun. Seit Jahrhunderten lehrte die Kirche die Zulässigkeit der Astrologie soweit sie sich auf die „astrologia naturalis“ beschränkte. An erster Stelle standen die Wirkungen auf das Wettergeschehen, auf die Meere und auf die Kontinente. Ausgenommen von solchen Einflüssen blieben die Zufälligkeiten, die „contingentia“ des menschlichen und irdischen Schicksals. Nach christlicher Auffassung lag das Los des Einzelnen nicht in den Sternen, sondern allein in der Hand Gottes. Gottvertrauen und Geburtshoroskope schlossen sich gegenseitig aus, zumindest in der Theorie. Und doch gab es fast keinen Renaissancepapst, fast keinen Renaissancebischof und fast keinen Renaissancefürsten, der nicht an die Abhängigkeit des individuellen Schicksals von den Planeten glaubte. Nach mittelalterlicher Denktradition wurden sintflutartige Regenfälle in Verbindung mit Hochwasserkatastrophen als Vorzeichen des nahenden Weltendes gedeutet. Als Italien um 1500 von einer ganzen Serie von Überflutungen heimgesucht wurde, lebten solche Vorstellungen wieder auf. Ganz vorne stand Luca Gaurico, Mathematicus, astrologischer Ratgeber zahlreicher italienischer Stadttyrannen und schon zu Lebzeiten als „Fürst der Sterndeuter“ gefeiert. In seinem Almanach auf das Jahr 1501 konkretisierte er die von Stöffler verheißenen „groß verändrungen“ im Sinn einer universalen Sinnflutkatastrophe. In den folgenden Jahren wiederholte er seine Unheilsprognose, ehe sich ab 1519 ein wahrer Strom von Sintflutdrucken über die Apenninhalbinsel ergoss. Mehr denn je erregte die Frage nach der Zukunft die Gemüter, denn auch politisch spitzte sich die Lage zu. Erst im Januar 1519 war Kaiser Maximilian I. gestorben und die Christenheit auf einmal ohne Haupt. Ein Nachfolger stand noch nicht fest, denn das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, zu dem auch Teile Italiens gehörten, war eine Wahlmonarchie. Sollte König Franz I. von Frankreich künftiger Kaiser werden oder Maximilians Enkel, der junge König Karl I. von Spanien? Der eine war ein Valois, der andere ein Habsburger. Seit Jahrzehnten kämpften beide Dynastien um die Vorherrschaft im politisch zerrissenen Italien, doch eine endgültige Entscheidung lag weiterhin in der Ferne. Als Karl von Habsburg am 28. Juni 1519 in Augsburg zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewählt wurde, hielt er sich noch im fernen Spanien auf. Hoch flogen die Erwartungen in ganz Europa. Bereits im Vorfeld der Kaiserwahlen kursierten zahlreiche Kaiserprophetien und auch die alte Friedrich-Sage lebte wieder auf. Karl wurde als neuer Friedrich gepriesen, der nach der Vernichtung aller inneren und äußeren Feinde den irdischen Frieden bringen und zum Ende der Zeiten die Krone am Ölberg niederlegen werde. Eine anderes Pamphlet erschien im gleichen Jahr in München, die Prophetie eines „Hochgelerten mayster Alofresant“: Der „unüberwindtlichist König Karl von Hyspani“, ein „frumer heiliger man“ werde „kirchen und geistlichkeit“ reformieren und die gesamte Christianitas erneuern... (Martin Hille) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Märzausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 12 vom 24. März 2016) Abbildung:
Pamphlet des Münchner Hofarztes Alexander Seitz aus dem Jahr 1521; es ist wohl die erste deutschsprachige Druckversion der Sintflutprophetie überhaupt. (Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

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