Unser Bayern

Tausende von Bänden zu allen Themen der Landwirtschaft und auch zur Hauswirtschaft kann man in der Agrarhistorischen Bibliothek entdecken. (Foto: HdbL)

21.02.2014

Bauern im Frack und ihre Schätze

In der Agrarhistorische Bibliothek in Herrsching findet sich Schrifttum zu landwirtschaftlichen Fragen aus 500 Jahren

Dass das Haus der bayerischen Landwirtschaft in Herrsching eine renommierte Einrichtung ist, steht außer Frage. Der Veranstaltungskalender des Tagungszentrums ist dicht gefüllt, und die regelmäßig stattfindenden Fortbildungen und Seminare für Landwirtinnen und Landwirte sind stark nachgefragt. Dass der holzverkleidete Bau unweit des idyllischen Ammerseeufers aber auch einen „Schatz" in sich birgt, wissen nur Experten: In einem kleinen Raum unter der Dachschräge befindet sich eine agrarhistorische Bibliothek mit rund 22 000 Bänden, die ihresgleichen sucht. Wer in diese Bibliothek geht, kann einen Streifzug durch die bäuerliche Welt längst vergangener Tage machen. Das älteste Buch der Agrarhistorischen Bibliothek hat beinahe 500 Jahre überdauert, andere Bände stammen aus dem 17. Jahrhundert, die meisten aus dem 19. Jahrhundert. Woher kommen alle diese Bücher? Der Ursprung dieser Bibliothek liegt in München vor mehr als 200 Jahren. „Mehrere Gutsbesitzer und Freunde der Landwirthschaft" hatten im Dezember 1809 bei König Maximilian I. Josef „allerhöchsten Beifall erhalten", als sie ihm den Gründungsentwurf zu einem Landwirtschaftlichen Verein in Bayern vorlegten. Der König genehmig­te den Entwurf im Oktober 1910. Die 60 Vereinsgründer waren jedoch keine Bauern, die tagsüber ihre Felder bestellen mussten, sondern adelige Grundeigentümer, hohe Staatsbeamte sowie Mitglieder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Ihnen ging es um die „Belebung und Emporbringung der Landwirtschaft" im Sinn hatten. Darunter waren hochrangige Persönlichkeiten wie Carl Freiherr von Closen, Ludwig Graf von Arco oder Clemens Graf von Törring-Seefeld, Akademiker" wie der Agrarwissenschaftler Max Schönleutner, der Botaniker Franz Paula von Schrank oder Anton Will, der erste Leiter der Tierarzneischule in München. Nach Ende der Grundherren-Herrschaft und der Ablösung der Dreifelderwirtschaft wollten die Vereinsgründer „in sämtlichen Theilen des Königreichs Bayern" die Intensivierung der Feldernutzung und Viehhaltung vorantreiben. Dazu sollten „Entdeckungen und Erfindungen auf dem Gebiete der Landwirtschaft und der damit in nächster Verbindung stehenden Gewerbe" möglichst schnell kundgetan werden. An erster Stelle sollte dies über eine vereinseigene Zeitschrift erfolgen. Tatsächlich erschien am 1. Januar 1811 erstmals das Wochenblatt des landwirtschaftlichen Vereins, das sich unter seinem Chefredakteur Joseph von Hazzi zu einem offenen Forum für alle Fragen rund um die Landwirtschaft entwickelte. Das Münchner Vereinslokal wurde eine regelrechte Informationszentrale. Neue Maschinen und Geräte wurden dort zur Schau gestellt, und man richtete eine Bibliothek ein, um „wichtige und gemeinnützige Schriften für die Land- und Stadtwirtschaft" bereitzuhalten. Die Vereinsmitglieder wurden schon bei der Vereinsgründung angehalten, nützliche Bücher „umsonst oder gegen Bezahlung" zur Verfügung zu stellen. Zunächst hatte der Verein nur übergangsweise verschiedene Räumlichkeiten in der Münchner Innenstadt angemietet. 1824 kaufte er schließlich Grund und Boden in der Türkenstraße. Auf dem vier Tagwerk großen Grundstück mit Versuchsfeldern wurde ein mehrstöckiges Gebäude errichtet, das Platz bot u. a. für einen Versammlungsraum, eine Gerätesammlung und eine Bibliothek. Schon damals bestand diese aus etwa 3000 internationalen Werken und knapp 70 verschiedenen Wochen- und Regierungsblättern. Alles war in einem systematischen Katalog verzeichnet. Vereinsmitglieder und auswärtige Besucher konnten das Lesezimmer täglich nutzen. Im Januar 1836 war im Wochenblatt, das nun unter der Bezeichnung Centralblatt des landwirtschaftlichen Vereins firmierte, nachzulesen, dass das Vereinslokal in der Türkenstraße „die Woche hindurch zahlreich von Oekonomen, Stadt- und Landbewohnern, fremden Ausländern und Freunden der Landwirtschaft besucht [ward], welche Alles, besonders die zahlreichen Maschinen und Modelle-Sammlungen, die große kostbare Bibliothek, dann das ganze schöne Innere des Gebäudes und so bedeutende Gartenwesen mit großem Interesse besichtigten, und den Ort mit allgemeiner Zufriedenheit verliessen." Anfangs war die Bibliothek eine strenge Präsenzbibliothek. Ab 1849 durften Vereinsmitglieder bis zu drei Bücher für die Dauer von sechs Wochen ausleihen. Die Bücher wurden in der Folge in ganz Bayern verschickt. Wer sich ein Buch entlieh und außerhalb Oberbayerns wohnte, benötigte aber einen oberbayerischen Bürgen. Im Laufe der Jahre wurden immer mehr Bücher bereitgestellt. 1870 waren es knapp 5000, 1888 über 6000. Indes: Zu dieser Zeit hatte der Landwirtschaftliche Verein bereits an Bedeutung verloren. Die Bauern fühlten sich in patriotischen Bauernvereinen besser vertreten als im Club der „Bauern im Frack", wie man seit der Vereinsgründung spottete. Gleichwohl bestand der Verein fort und damit auch seine Bibliothek. Aufgelöst wurde er erst nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933. Die Bücher der Vereinsbibliothek gelangten in den Besitz des nationalsozialistischen Reichsnährstands. Nach Kriegsende wurde das Bibliothekskonvolut, das die Kriegswirren unbeschädigt überstanden hatte, geteilt: Der jüngere Teil kam in das neu entstandene bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der andere ältere Teil kam zum Bayerischen Bauernverband. Als dieser schließlich Mitte der 1970er Jahre in Herrsching das Haus der bayerischen Landwirtschaft eröffnete, wurde die Büchersammlung dort zunächst im Keller, dann unter dem Dach untergebracht. Mit der Zeit wuchs der Bestand beträchtlich. Eine Erweiterung in besonderem Umfang erfuhr er im Jahr 2005, als die rund 2500 Bücher des leidenschaftlichen Büchersammlers und diplomierten Landwirts Hugo Tillmann aus Berlin hinzukamen. Heute befinden sich in Herrsching rund 22 000 Bücher, die einen Überblick über die Agrarhistorie von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart liefern. Dicht an dicht stehen die Bücher in den Regalen. Ganz unterschiedliche Formate, lederne Buchrücken mit Goldeindruck, Bücher, die dringend zum Buchbinder müssten, Enzyklopädien und pfundschwere Wälzer neben handlichen Kalendern in Gebetbuchgröße. Es geht um Ackerbau und Viehzucht, um Garten- und Gemüsebau, um Bienenzucht, um das Forst- und Jagdwesen, um landwirtschaftliche Geräte und Maschinen. Man findet dort auch Gesetzestexte und Lehrbücher der Mathematik, Physik und Chemie. Daneben Periodica wie das Landwirtschaftliche Wochenblatt und sämtliche anderen Schriften des Landwirtschaftlichen Vereins.  Überhaupt hält die Bibliothek alles, was zum Landwirtschaftlichen Verein seit seiner Gründung an Akten und Protokollen vorhanden ist, bereit. Und das ist eine Menge: Rund 1800 Akten geben Einblick in das 19. Jahrhundert geben, als Bayern noch überwiegend agrarisch geprägt war. Das Findbuch zu diesem Archiv ist online abrufbar. Für den größten Teil des Bücherbestands der Bibliothek gilt das noch nicht. Bislang muss man noch Karteikarten zu Hilfe nehmen, um sich die Bücherschätze zu erschließen. Doch Katharina Höninger, eine der beiden Mitarbeiterinnen der Bibliothek, ist seit geraumer Zeit damit befasst, jedes einzelne Buch in die Hand zu nehmen, zu begutachten und in das Computersystem des Bibliotheksverbund Bayerns aufzunehmen. Die Arbeit ist freilich noch nicht abgeschlossen – wer derzeit im digitalen Verzeichnis noch nicht fündig wird, der sollte den Weg nach Herrsching nicht scheuen. Denn beim „klassischen" Stöbern und Schmökern im Bibliotheksbestand können sich ungeahnte Welten auftun. Da stößt man zum Beispiel auf das älteste Werk der Bibliothek, die Libri de re rustica. 1533 von Aldus Manutius in Venedig gedruckt, beinhalten die „Libri" lateinische Texte der antiken Schriftsteller Cato, Varro, Columella und Palladio zur Landwirtschaft. Ebenso aus dem 16. Jahrhundert stammt ein Kochbuch, das aufgrund seiner Einmaligkeit ganz besonderen Wert hat. Das Kochbuch des Balthasar Staindel aus Dillingen von 1556 vermittelt einen Eindruck über die Zubereitung der Speisen in einem gehobenen Haushalt der Renaissance; Staindel soll eine Zeit lang bei der Patrizierfamilie Fugger in Augsburg als Koch tätig gewesen sein. Von diesem auf Deutsch verfassten Buch hat das Haus der bayerischen Landwirtschaft sogar ein Faksimile anfertigen lassen. Wer darin liest, erfährt viel von Küchengeheimnissen, so auch über die Verwendung zum Beispiel von Ingwer, Koriander und Muskatnuss. Auch die ab dem 17. Jahrhundert verbreitete Hausväterliteratur, die allgemeine Ratschläge für Haus, Hof, Feld und Vieh bis hin zu Kochrezepten und Arzneimitteln für Mensch und Tier lieferte, entdeckt man in der Bibliothek. Wie zum Beispiel Johann Colers Hausbuch (1645) und die Georgica curiosa (1682) von Wolf Helmhardt von Hohberg. So manches Rezept in diesen Büchern mag dem Leser heute freilich mehr als sonderbar erscheinen: Mit „Katzenkraut" und „wildem Saffran" den „Bruch bei Frauen" zu behandeln, „Schneckenpulver" bei Kopfschmerzen zu gebrauchen oder sich die Hände mit Brennnesselsaft zu bestreichen, um damit besser Fische fangen zu können, sind einige der unzähligen Ratschläge der Georgica curiosa. Gar nicht abwegig sind dagegen andere Ausführungen Hohbergs wie beispielsweise die zum Anbau der damals neuen Kulturpflanze Kartoffel. Insgesamt dokumentiert das mit mehr als 1400 Seiten schon von seinem Gewicht her auffallende Buch Landleben und Alltagsgeschichte des 17. Jahrhunderts in einmaliger Weise. Es ist nicht verwunderlich, dass es sich sehr gut auf dem Buchmarkt behauptete – wegen seines hohen Preises konnten es sich vermutlich aber nur wohlhabende Gutshaushalte leisten. Anders das Noth und Hülfs-Büchlein für Bauersleute des Rudolf Zacharias Becker, Ende des 18. Jahrhunderts erstmals erschienen. Zu seiner Zeit war das bescheidene und handliche Buch unter den einfachen Landleuten ein Kassenschlager. In romanartiger Sprache schildert es Freud‘ und Leid der Einwohner der fiktiven Landgemeinde Mildheim und kombiniert die Geschichten mit Ratschlägen für den bäuerlichen Alltag. Ein Grund für seinen Erfolg lag auch darin, dass Textauszüge zuvor in landwirtschaftlichen Kalendern abgedruckt waren. Wenn auch die Landwirte von damals in der Regel nicht allzuviel lasen: Kalender waren weitverbreitet. Auch hiervon besitzt die Bibliothek zahlreiche Exemplare unterschiedlichster Herkunft. Besonders kurios zum Beispiel der National-Kalender für die deutschen Bundesländer [...] zum Unterricht und zum Vergnügen, der sich explizit an „Katholiken, Protestanten, Griechen und Russen" richtet. Ein Schwerpunkt der Herrschinger Büchersammlung liegt in Büchern und Schriften aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Und da bieten sich besonders viele Publikationen: Bibliotheksbesucher können sich in die Werke so bekannter Autoren wie Justus von Liebig oder Albrecht Daniel Thaer vertiefen – beide haben mit ihren Arbeiten die Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts revolutioniert. Aber auch weniger bekannte Autoren und Raritäten sind aufgestellt. Aus dem Jahr 1826 stammt das Lehrbuch des Seidenbaues für Deutschland und besonders für Baiern, das die damaligen Bemühungen widerspiegelt, die Seidenraupenzucht hierzulande zu etablieren. Der Autor ist interessanterweise Joseph von Hazzi, der schon erwähnte erste Chefredakteur des Landwirtschaftlichen Wochenblattes, der mit dem Buch seine Erfahrungen als „Vorstand der Seidenbau-Deputation in Bayern" zusammenfasste. Zum Staunen bringen einen beim Schmökern die monströsen Schweine und Rinder, die in einer Festschrift des „Generalkomités" des landwirtschaftlichen Vereins von 1832 zu sehen sind und das Züchtungsideal der Zeit repräsentieren. Eher unscheinbar wirken die unzähligen Bände der sogenannten Thaer-Bibliothek. Diese von dem Verleger Paul Parey 1875 begründete Schriftenreihe für den praktischen Landwirt war für den Verlag außerordentlich erfolgreich. Sie widmet sich jeweils kurzgefasst einem landwirtschaftlichen Thema und war für wenig Geld zu haben. Ganz anders – kostbar und schön anzuschauen – sind dagegen jene großformatigen Prachtbände, die in der Bibliothek unter der Rubrik „Obstbau" eingeordnet sind. Ein Beispiel ist das 1849 erschienene zweibändige Deutsche Obstcabinet nach Dittrich mit kunstvoll handkolorierten Zeichnungen, die auch heute nichts von ihrer Farbigkeit verloren haben und deutlich machen, welche Vielfalt an Obstsorten im 19. Jahrhundert herrschte. Nicht nur solchen bibliophilen Schätzen, sondern der gesamten Bibliothek wäre zu wünschen, dass sie – in Hinblick auf den konservatorischen Umgang mit ihnen, ebenso was die Nutzerfrequenz angeht – ein geeigneteres Domizil bekämen: größere, besser klimatisierte Räume, ein Lesezimmer, wie es dies zu den Anfangszeiten der Bibliothek in München einmal gab.
(Petra Raschke) Abbildungen (Fotos: HdbL): In der Bibliothek wird auch das Schrifttum des Landwirtschaftlichen Vereins aufbewahrt. Unter den Buchschätzen findet man manches Lehrbuch, das sich besonders an die adeligen Landbesitzer richtete. Vom Kochbuch des Balthasar Staindel aus Dillingen von 1556 hat das Haus der bayerischen Landwirtschaft ein Faksimile anfertigen lassen. Geradezu bibliophil sind viele Bücher mit lehrreichen Zeichnungen zur Botanik. Sehr schön lässt sich der wechselnde Zeitgeist nachvollziehen, der die landwirtschaftliche Produktion beflügelte. Man entdeckt zum Beispiel Visionen vom "Superschwein" schon vor gut 200 Jahren.

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