Unser Bayern

1910 gründete Philipp Rosenthal sen. eine Kunstabteilung für Ziergefäße und figürliches Porzellan. Leiter wurde Julius Vilhelm Guldbrandsen (1869 bis 1960), der 1909 von der Königlichen Porzellanmanufaktur Kopenhagen nach Selb gekommen war. Anfangs entstanden vor allem Figuren nach Modellen des Münchner Bildhauers Ferdinand Liebermann – so auch die „Tempelweihe“ (1913, Ausschnitt). (Foto: Rosenthal Archiv)

01.09.2016

Baumeister eines Mythos'

Schillernd und erfolgreich: Philipp sen. und Philip jun. Rosenthal kreierten die erste Weltmarke in der Porzellanbranche

Vom Tellerwäscher zum Großunternehmer –  diese sprichwörtlich legendäre Karriere legte Philipp Rosenthal (1855 bis 1937) hin. Der Sohn des Porzellanhändlers Abraham Rosenthal in Werl (Nordrhein-Westfalen) und dessen Frau Emilie wanderte nach seiner Ausbildung im Betrieb des Vaters mit 18 Jahren in die USA aus. Nach Hilfsarbeiten als Laufbursche und Tellerwäscher in New York landete er bei einer Porzellanimportfirma in Detroit. Mit feinem Gespür für den Zeitgeschmack fiel ihm bald auf, dass bemaltes Porzellan, wie es in Amerika gewünscht wurde, dort nicht zu haben war. Also kehrte er 1879 nach Deutschland zurück und eröffnete in Werl eine Werkstatt für Porzellanmalerei. Gemeinsam mit Bruder Max erwarb er 1880 Schloss Erkersreuth bei Selb in Oberfranken und fing dort ganz klein mit Porzellanmalerei an. Das Weißporzellan bezog man von Hutschenreuther in Selb.

Ruheplätzchen für Zigarren

Der erste Verkaufsschlager war ein Aschenbecher, das „Ruheplätzchen für brennende Cigarren“; damit hatte man wohl den Zeitgeschmack ins kitschige Herz getroffen. Eine gute Zigarre gehörte damals zum Prestige. Auch Philipp Rosenthal war dem blauen Dunst nicht abgeneigt und hatte die zündende Idee zu diesem durchschlagenden ersten Erfolg. Schon bald hatte die Manufaktur sich so vergrößert, dass das Unternehmen nach Selb verlegt wurde. 1891 eröffnete Rosenthal dort eine eigene Fabrik. Er erweiterte das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft und wandelte es 1897 in die Philipp Rosenthal & Co. AG. Als erster im Bereich der Porzellanindustrie signierte er jedes Produkt mit seinem Namenszug – dieser wurde ein Markenzeichen.

Faible für die Kunst

Philipp Rosenthal hatte ein Faible für die Kunst. 1910 gründete er als erster bayerischer Privatunternehmer eine Abteilung für Dekorationsgefäße und figürliches Porzellan. Unter der Leitung von Julius Wilhelm Gulbrandsen von der Königlichen Porzellanmanufaktur Kopenhagen entstanden Figuren nach Modellen des Münchner Bildhauers Ferdinand Liebermann, von denen einige schon in den Anfangsjahren in limitierter Serie produziert wurden. Später kam dazu das weiße „Kunstprogramm“ hinzu, für das Karl Röhrig den „Zeitungsleser“ entwarf. Philip jun. führte mit den Rosenthal-Studiohäusern diese Ambitionen in den 1960er Jahren weiter. Ein nächster großer Erfolg gelang dem firmengründer 1916 mit der ersten Geschirrform in weißer Ausführung: die Serie „Maria“, benannt nach Rosenthals 35 Jahre jüngerer zweiten Frau Maria Franck, wurde eine der umfangreichsten und meistverkauften Geschirrformen, ein Klassiker bis heute. 1929 konnte der mit dem Ehrendoktortitel ausgezeichnete Geheimrat Rosenthal das 50-jähriges Firmenjubiläum feiern. Der Grandseigneur trat auch in der Fabrik immer elegant gekleidet auf.  Er hatte eine ausgesprochene Vorliebe für Pferde und den Reitsport, er fuhr selbst mit einem Vierspänner. Dennoch war er, der sich für alles Neue begeisterte, einer der ersten Autofahrer Europas. Wie es sich damals für einen Fabrikbesitzer gehörte, engagierte er standesgemäß einen Chauffeur und wagte schon um die Jahrhundertwende mit der ganzen Familie die damals noch abenteuerliche Reise nach Italien. Als Chef eines Konzerns mit inzwischen 7000 Mitarbeitern, galt er als eine der wichtigsten Unternehmer der deutschen Porzellanindustrie. Er umgab sich gern mit herausragenden Persönlichkeiten: mit Reichspräsident Friedrich Ebert oder Paul von Hindenburg. Als die Nazis an die Macht kamen, wagten sie es nicht, offen gegen d en jüdischstämmigen Katholiken Rosenthal vorzugehen, aus Rücksicht auf die Importkapazitäten und das Ansehen des prosperierenden Unternehmens.

Firmenchef entmündigt

Dennoch legte Rosenthal 1934 freiwillig den Vorstandsvorsitz in der Aktiengesellschaft nieder. Ein wohl gesonnener Direktor und auch der bayerische Innenminister setzten sich dafür ein, die Firma und Rosenthal als Person vom Judenboykott zu verschonen. Doch bald boten sich familieninterne Intrigen an, den Firmengründer vom Sockel zu heben. Seine Absicht, den nicht von den Rassegesetzen betroffenen Stiefsohn Udo Franck-Rosenthal mit Vollmachten zu versehen und als Statthalter seiner Interessen einzusetzen, brachte die Töchter aus erster Ehe, Klara und Anna auf den Plan, die um ihr Erbe fürchteten. Die Söhne von Tochter Anna beantragten bei Gericht die Entmündigung des Großvaters. Als Rosenthal den Stiefsohn Udo in den Vorstand hieven wollte, schlossen sich auch die Vorstandsmitglieder dem Antrag der Söhne an. 1936 wurde der damals 81-jährige Firmengründer entmündigt und unter Vormundschaft gestellt. In einem von seinen Gegnern beim damaligen Leiter der Münchner Psychiatrischen und Nervenklinik beantragten Gutachten wurde bescheinigt, dass Rosenthal bereits seit dem 12. März 1934 aufgrund einer altersbedingten Geistestrübung fortlaufend geschäftsunfähig gewesen sei. So konnten auch weiter zurückliegende, bindende Entschlüsse des Generaldirektors für nichtig erklärt werden. 1950 trat Philip Rosenthal jun. (1916 bis 2001) in das väterliche Unternehmen ein. Der Sohn aus der zweiten Ehe Philipp Rosenthals sen. mit Maria Franck hatte wegen der jüdischen Wurzeln des Vaters mit seiner Familie 1934 nach England emigrieren müssen. Nach dem Besuch des St. Laurence Colleges promovierte er in Oxford zum Master of Arts in Philosophie, Politik und Wirtschaftswissenschaften – durchaus seinen eigenen Interessen und denen des Unternehmens gemäß. Mit Kriegsausbruch meldete er sich zur französischen Fremdenlegion in Algier. In seinem Buch Einmal Legionär schreibt er über das Leben in der Fremdenlegion, das sich für ihn weniger als Abenteuer denn als lästiger Dienst erwiesen hatte; 1942 kam er nach mehreren Fluchtversuchen zurück nach England. Er versuchte sich in diversen Jobs als Sprachlehrer und Journalist und war dann im Foreign Office tätig. Nach seinem Eintritt in die Rosenthal AG wurde er 1952 Leiter der Designabteilung. Seinem Gespür für Produkte, Zeitgeist und Markt und seinem Elan ist es zu verdanken, dass die Rosenthal AG zu einem Inbegriff modernen Designs wurde. Er revolutionierte die Porzellanindustrie, entstaubte das biedere Dekor und brachte mit der Rosenthal-Studiolinie frischen Wind auf die Tische deutscher Ess- und Wohnzimmer. Form und Funktion wurden von Philip Rosenthal neu interpretiert.

Namhafte Künstler verpflichtet

Die Liebe zum Dolce vita und zu Frauen, aber auch zur Kunst hatte er von seinem Vater übernommen und war überzeugt vom ästhetischen Mehrwert im täglichen Leben des Menschen. Seinen Hang zur Kunst machte er nun dem Unternehmen dienstbar, arbeitete mit Designern und Künstlern wie Richard Latham, Tapio Wirkkala, Bjorn Wiinblad, Emilio Pucci, Henry Moore, Lucio Fontana und Salvador Dalí zusammen und verführte sie zur Arbeit mit Porzellan. Dazu war manchmal einige Überredungskunst in Form finanzieller Anreize vonnöten, etwa bei Salvador Dalí. Auf Vermittlung des kunstinteressierten leitenden Mitarbeiters Peter Littmann kam der Kontakt zu Andy Warhol zustande. Der Künstler kam mit seinem Manager und Galeristen 1980 nach Selb, um Philip Rosenthal zu porträtieren und fotografierte ihn auf Schloss Erkersreuth. Das Porträt mit Zigarre entstand dann in Warhols „factory“ und wurde später auf einer Porzellanbildplatte umgesetzt. Rosenthal brachte seinen hohen Anspruch an Qualität auch in den Firmengebäuden zum Ausdruck. Er holte sich Walter Gropius für den Bau des neuen Rosenthal Firmensitzes, Friedensreich Hundertwasser setzte Zeichen mit einer Ökologie-Kunst-Schöpfung und ließ seine „Baummieter“ in das Verwaltungsgebäude einziehen, Otto Piene gestaltete die Außenfassade der Rosenthal-Halle in den Farben des Regenbogens... (Ines Kohl) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Juni-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 25 vom 24. Juni 2016) Abbildungen (Fotos: Rosenthal Archiv):
Stets elegant, auch wenn er seine Fabrik in Selb besuchte: Geheimrat Philipp Rosenthal sen. Der „Zeitungsleser“ (Entwurf von Karl Röhrig, 1926) ist ein Beispiel für das weiß belassene „Kunstprogramm“. Philip Rosenthal jun. war Unternehmer und SPD-Politiker – und beherrschte das Savoir vivre. Dazu gehörte eine gute Zigarre. Typisch für die Marke Rosenthal wurde die Zusammenarbeit mit vielen Künstlern. Hier das Unikat „Suomi-Objekt 3“ von 1976: Der Formentwurf zur Kaffekanne stammt von Timo Sarpaneva, fürs Dekor zeichnete Salvador Dali verantwortlich.

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