Unser Bayern

Pfalzgraf und Herzog Wilhelm von Birkenfeld-Gelnhausen, ab 1799 Herzog in Bayern; der Maler des um 1792 entstandenen Porträts ist unbekannt. (Foto: Wittelsbacher Ausgleichsfonds München)

24.04.2015

Der Traum vom eigenen Hof

Ein Wittelsbacher im Schatten: Wilhelm in Bayern hoffte, dass Napoleon ihm zu mehr Eigenständigkeit verhelfen könnte

Als 1799 Kurfürst Karl Theodor starb, lebten im Hause Wittelsbach gerade noch zwei erwachsene Männer, die beide der Nebenlinie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld angehörten: der neue Kurfürst Max IV. Joseph und ein entfernter Verwandter aus einem Seitenzweig der Zweibrücken-Birkenfelder, für den angesichts des bei den pfälzischen Wittelsbachern sehr weit getriebenen Teilungsprinzips nicht einmal ein eigenes Kleinfürstentum mehr hatte ausgewiesen werden können. Als Mini-Residenz besaß diese Linie ein Haus in der Reichsstadt Gelnhausen im heutigen Hessen; ihre Angehörigen lebten von einer schmächtigen Apanage und vom Sold in fremden Militärdiensten. Der gemeinsame Stammvater der beiden Zweige war Pfalzgraf Christian I. von Birkenfeld-Bischweiler gewesen, der von 1598 bis 1654 gelebt hatte. Er war Max Josephs Ur-Urgroßvater und der Ur-Großvater des heute weitestgehend vergessenen Pfalzgrafen Wilhelm von Birkenfeld. Dieser Wittelsbacher war am 10. November 1752 und damit etwa vier Jahre vor Max Joseph geboren worden, hatte nach dem Muster seiner Vorfahren die militärische Laufbahn eingeschlagen und war von Karl Theodor, der ihn 1778 aus Mannheim nach München mitnahm, zum kurpfalzbayerischen Generalleutnant ernannt worden. Die politische Rolle als Repräsentant des erbberechtigten Familienzweiges in Bayern erwies sich aber alsbald als sehr heikel, denn die Pfalz-Zweibrücker opponierten gegen die Tauschpläne Karl Theodors mit Österreich. Wilhelms Heirat mit Pfalzgräfin Maria Anna, der Schwester des damals regierenden Herzogs von Zweibrücken und seines jüngeren Bruders Max Joseph nahm Karl Theodor zum willkommenen Anlass, den Aufpasser der Zweibrücker auf elegante Weise aus München abzuschieben: Er machte dem jungen Paar das Wohnrecht in der Landshuter Stadtresidenz zum Geschenk. Wilhelm aber zog in den folgenden Jahren zusammen mit Angehörigen der bayerisch-patriotischen Opposition ein Informationsnetzwerk auf, um sich über die politischen Vorgänge in München und anderswo auf dem Laufenden halten zu lassen, wobei er von einem offenbar lebenslangen Faible für Heimlichtuerei und konspiratives Handeln befallen war. So ließ er sich von 1788 bis 1792 unter einer Augsburger Deckadresse von einem Beamten des kurfürstlichen Hofes berichten, der für die erwähnten Personen wiederum Decknamen gebrauchte; Kurfürst Karl Theodor etwa war der „Herr Hausmeister". Diese abschätzige Titulierung des Landesherrn könnte geradezu eine Art Retourkutsche gewesen sein, denn die kurfürstlichen Behörden verweigerten Wilhelm, offenbar auf allerhöchste Anweisung, den von ihm beanspruchten Herzogstitel: sei es als „Herzog von Bayern" oder wenigstens als „Herzog von Pfalz-Birkenfeld" – sie blieben hartnäckig bei „Pfalzgraf". Dies war eine bewusste und dazu unhistorische Brüskierung, hatten doch alle Wittelsbacher, auch die der pfälzischen Linie, seit 1180 den bayerischen Herzogstitel geführt, egal ob sie tatsächlich in Bayern regierten oder nicht. Beigelegt wurde der Titelstreit erst dadurch, dass Max Joseph nach seinem Herrschaftsantritt als Kurfürst seinem Schwager am 1. Juni 1799 den Titel „Herzog in Bayern" verlieh. Mit dem Tod Karl Theodors am 16. Februar 1799 schien die Stunde Wilhelms gekommen: Max Joseph hatte ihn durch eine geheime Urkunde vom 28. April 1795 für den Erbfall als Statthalter bis zur eigenen Ankunft in München bevollmächtigt. In den drei Tagen jedoch, in denen er diese Funktion ausübte, unterlief Wilhelm ein Fehler, der für Bayern beinahe sehr gefährlich geworden wäre. Die beiden Schwäger hatten durch einen am 12. Juni 1795 ausgefertigten Anhang zu der erwähnten Urkunde vereinbart, dass die Errichtung einer bayerischen „Zunge" des Malteserordens sofort rückgängig zu machen sei. Die Ordensprovinz und ihre „Kommenden" genannten Pfründen waren erst von Karl Theodor gegründet worden – auf der Grundlage der Besitzungen des 1773 aufgehobenen Jesuitenordens und zwecks Versorgung seiner unehelichen Söhne sowie adeliger Günstlinge. Den Unterhalt der vorher von den Jesuiten getragenen bayerischen Gymnasien hatte man dabei den bayerischen Klöstern aufgehalst. Entsprechend unbeliebt waren die neuen Malteserritter selbst beim Klerus, zumal die ganze Operation als Produkt der Mätressenwirtschaft des Landesherrn mit einem moralischen Makel behaftet war. Wilhelms Aufhebungsdekret war somit sehr populär. Nicht bedacht hatte er aber eine außenpolitische Komplikation: Nachdem nämlich Napoleon Bonaparte 1798 Malta erobert und der Ordensgroßmeister kurz darauf sein Amt niedergelegt hatte, ließ sich der etwas exzentrische Zar Paul von Russland von den Rittern in Polen und dem heutigen Weißrussland und der Ukraine zum Großmeister wählen. Obwohl dies kirchenrechtlich in mehrfacher Hinsicht illegal war, fand er international Anerkennung als „Großmeister de facto". Russische Truppen aber standen im Zuge des Zweiten Koalitionskriegs in Oberitalien und der Schweiz – und die drohte der Zar nun nach Bayern zu beordern, während er den kurfürstlichen Gesandten in St. Petersburg des Landes verwies. Max Joseph, der die Brisanz der Angelegenheit zunächst genausowenig durchschaut hatte wie sein Schwager, bat den ihm bekannten Prinzen Alexander von Württemberg, einen Schwager des Zaren, um Vermittlung. Zu dessen Besänftigung sollte eine hochrangige bayerische Delegation in die russische Hauptstadt reisen, um dort quasi als Entschuldigung eine Huldigung der bayerischen Malteserritter zu überbringen. Zugleich wurden Verhandlungen über ein Bündnis und eine Heirat zwischen dem älteren Sohn Max Josephs, dem späteren König Ludwig I., und einer russischen Großfürstin in Aussicht gestellt. Als Delegationsleiter wurde ausgerechnet Herzog Wilhelm ausersehen. Der konnte darin natürlich nur einen Versuch sehen, ihn doch noch zum Sündenbock zu stempeln. Aber mit der Begründung, es sei eine Person von so hohem Rang erforderlich, dass der Zar aus Gründen der höfischen Etikette persönliche Gespräche nicht verweigern könne, überzeugte man den Widerstrebenden. Die Reise ins ferne St. Petersburg verlief dann so erfolgreich, dass Wilhelm am 1. Oktober 1799 den Vertrag von Gatschina unterzeichnen konnte, der aus drei Hauptpunkten bestand: Der Malteserorden wurde wiederhergestellt, wobei aber der Großprior der bayerischen Zunge künftig stets aus dem Haus Wittelsbach sein sollte. Russland schloss mit Bayern ein Bündnis – offiziell gegen Frankreich, was aber unausgesprochen auch Schutz gegen Österreich verhieß, und Erbprinz Ludwig wurde mit der Zarentochter Katharina verlobt. Nach Hause zurückgekehrt, wurde Wilhelm an die Spitze eines Truppenkorps gestellt, das die Oberpfalz gegen die anrückenden Franzosen verteidigen sollte – was auch gelang auch, weil die Oberpfalz in der französischen Strategie keine Rolle spielte. Es sollte die letzte militärische Verwendung Wilhelms bleiben. Die Ursache dafür lag in einem Zerwürfnis mit jenem Mann, der bis 1817 die Politik Bayern bestimmen sollte: Maximilian von Montgelas. Die Ursachen der Feindschaft zwischen beiden Männer sind weitgehend im Dunkeln. Vielleicht hat der Minister im Schwager des Kurfürsten einfach einen Rivalen gesehen und alles daran gesetzt, ihn anzuschwärzen. Dass Montgelas noch in seinen nach 1817 niedergeschriebenen Denkwürdigkeiten den Vertrag von Gatschina und Wilhelms instruktionsgemäß defensive Strategie in der Oberpfalz scharf angreift, spricht dafür. An sachlichen Konflikten gab es jedenfalls zwei. Der erste betraf die eigenen Ansprüche Wilhelms. Gemäß eines 1783 zwischen den beiden Zweigen des Hauses Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld vereinbarten Erbvertrages hatte er einen Anspruch auf die pfälzischen, unter französischer Souveränität stehenden Grafschaften Lützelstein und Rappoltstein im Elsass. Durch die Französische Revolution waren diese für die Wittelsbacher verloren. Doch glaubte Wilhelm, aufgrund des Friedens von Lunéville von 1801 einen Entschädigungsanspruch zu haben und dachte an das 1803 Bayern zugesprochene Fürststift Kempten. Schließlich einigte man sich auf das als letzten Rest der rheinischen Besitzungen der Wittelsbacher bei Bayern verbliebene Herzogtum Berg mit der Hauptstadt Düsseldorf. Dieses wurde Wilhelm „unter den nämlichen Bedingungen übergeben …, welche bei den zugesichert gewesenen oberrheinischen Herrschaften und Aemtern unter französischer Souveränität statt gehabt hätten." Die Landeshoheit sollte also bei Max Joseph verbleiben, die innere Verwaltung und die Gerichtsbarkeit aber dem Herzog unterstehen. Der zweite Streitpunkt betraf die von Montgelas betriebene Klostersäkularisation, die Wilhelm zumindest in der radikalen Form, wie sie 1802/03 in Bayern durchgeführt wurde, missbilligte. Er schrieb dazu: „Auch der Mann in der Kutte ist Bürger und Mensch und hat in dieser zweyfachen Eigenschaft nicht nur seine Pflichten, deren Erfüllung der Staat von ihm fordern kann, sondern auch eben sowohl seine Rechte, in deren Genuß ihn der Staat zu schüzen verbunden und keineswegs befugt ist, dieselben nach Willkühr zu verlezen." Jahre später notierte er sich – ganz offenbar mit einer gewissen Befriedigung – er habe erfahren, dass die Klostersäkularisation dem Staat nur 5,4 Millionen Gulden eingebracht habe – weniger als ein 1799 von Wilhelm gebilligtes Projekt einer von den Klöstern aufzubringenden Zwangsanleihe... (Gerhard Immler) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Aprilausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 17 vom 24. April 2015)

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