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1849 ist Wagner in den Dresdener Maiaufstand verwickelt – er muss schleunigst seine Sachen packen. In den folgenden Jahrzehnten ist er ein Reisender, lebt viele Jahre in Zürich, reist aber des öfteren nach Paris und Venedig. Deutschen Boden darf er erst nach einer Teilamnestie durch den sächsischen König im Jahr 1860 wieder betreten. (Foto: SZPhoto)

26.04.2013

Der verdrängte Revolutionär

Richard Wagner zum 200. Geburtstag: Ein Unbehauster, der eine andere Weltordnung wollte

Festmusik zur Eröffnung? Da wird bevorzugt Richard Wagners Vorspiel zu den Meistersingern von Nürnberg gewählt: Fröhlich füllig auftrumpfend, einfach zu genießen. Den wenigsten, vor allem nicht den sich selbst und ihre jeweilige „Tat" Feiernden ist bewusst, was und wen diese Musik und das Werk insgesamt feiern: ein funktionierendes Gemeinwesen ohne Regierung, ohne politische Institutionen; ein Gemeinwesen, in dem Künstler, nämlich durchweg bürgerliche Meistersinger, die oberste Instanz für alles darstellen; in dem Kunstregeln die Maßstäbe setzen. Nichts von Adel, Kirchenoberen, Parteiführern oder Staat. Genau das ist der herausfordernd utopische Gegenentwurf Wagners zur vorhandenen Welt. Radikal falsch also, die „Heil!"-Rufe auf der Festwiese wie in Deutschlands „braunen Jahren" mit Reichsparteitags-Aufmärschen und „deutschem Gruß" auf der Bühne gleich zu setzen. Da wird vielmehr der Schustermeister, Dichter und Sänger Hans Sachs gefeiert, dessen Schlussansprache in der Feststellung gipfelt: „Zerging in Dunst das Heil’ge Röm’sche Reich, uns bliebe gleich die heil’ge deutsche Kunst!" Das ist eine Absage an alle Politik, speziell an jene, die Wagner und sein Werk über 100 Jahr lang zu Staatszwecken missbraucht hat – aber auch an viele heutige Festspielgäste, die sich in Wagner sonnen. Und: So wäre Wagner auch zu inszenieren. Revolutionärer Denker Diese Einstellung Richard Wagners ist aus zwei prägenden Einflüssen erwachsen: Der junge Richard wird in die gesellschaftspolitisch brodelnde Zeit des Vormärz hineingeboren (22. Mai 1813). Er erlebt, wie liberale Denker als Demagogen verfolgt und mundtot gemacht werden, vielfach in miserablen Kerkern vegetieren. Er erlebt die Revolution von 1830/31 mit. Er leidet in den Pariser Jahren von 1839 bis 1842 bitterste Not und schreibt erstmals: „Geld ist das Fluchwort, was alles Edle vernichtet." Er liest enorm viel – und speziell „systemkritische" Literatur, also die Bücher der Frühsozialisten und Radikaldemokraten, dazu Hegel und Ludwig Feuerbachs Religionskritik. In den Dresdner Jahren wird der Dirigent, Komponist, Schriftsteller und Musikdirektor im Königlich Sächsischen Hoforchester August Röckel sein engster und intellektuell zentraler Freund: dieser ist ein überzeugter Sozialist, der Wagner mit den Grundideen von Karl Marx vertraut macht. Der revolutionäre Architekt Gottfried Semper stößt hinzu. Sie alle verkehren mit „Dr.Schwarz": Das ist der Anarchist Michael Bakunin, der auf langen Elbspaziergängen Wagners politische Haltung wesentlich mitprägt. All das sind keine „Jugendsünden". Nicht einmal das gerne als Revision und „Rückkehr in den Schoß der Religion" gedeutete Finalwerk 1843 hat Richard Wagner als Königlich Sächsischer Hofkapellmeister erstmals eine solide Anstellung. Gerade als höchster Musikbeamter des Hofes will er alles reformieren. Seine Reden im radikalen „Dresdner Vaterlandsverein", seine Reformschriften und revolutionären Aufrufe in den linksradikalen Mit der blutigen Niederschlagung der Revolution verliert Richard Wagner alles. Steckbrieflich gesucht, muss er unter Pseudonym fliehen. Zwölf Jahre Exil bis zur Amnestierung 1862 folgen... (Wolf-Dieter Peter) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der April-Ausgabe von Unser Bayern! Parsifal darf als Beleg angeführt werden: Wagner hat zwar die humanen Leistungen von Christentum, Buddhismus und anderer Weltreligionen anerkannt, doch der neue Gralskönig Parsifal singt als letztes über das bislang elitär gehätschelte Heiligtum: „Nicht soll der mehr verschlossen sein, enthüllet den Gral, öffnet den Schrein!" Also auch zuletzt noch: Öffnung, Teilhabe, Demokratisierung.Volksblättern sind erhalten. Als die Revolution von 1848 auch Dresden erfasst, gehört Wagner zu den führenden Köpfen und agiert mittendrin: als Posten auf dem Turm der Kreuzkirche meldet er Bewegungen der feindlichen Truppen, wird von Querschläger fast verwundet, verteilt revolutionäre Flugblätter, ermuntert mit seinem Redetalent die Aufständischen und führt kleine Kampfgruppen an. Das ist kein jugendlich Überschäumender mehr, sondern ein über 35-jähriger „A-Promi" der deutschen Kunstszene, gewissermaßen ein real tätiger „Radikaler im Öffentlichen Dienst".

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