Unser Bayern

„Der Schönste der Schönen“, wie ihn eine Zeitung überschwänglich würdigte: Josef Hacker, ein schneidiger Bursch aus Ettenhausen, war ein wenig zu langsam, als er beim Wildern ertappt wurde. Er starb durch einen Kopfschuss. (Foto: Bildersammlung Schleching 2005)

23.09.2016

Der„Wildeste der Wilden“

Dem Andenken eines Wilderers: Kasperltehater um das Josef-Hacker-Gedächtnisschießen in Schleching

Kein anderes Delikt hat in Bayern die Gemüter so erhitzt, so viele Legenden und Helden produziert, so konträre Rechtsauslegung zwischen Obrigkeit und Untertanen erfahren und dabei soviel Schweiß, Blut und Tränen fließen lassen, wie die Wilderei. Die Protagonisten dieser Spezies, der Bayerische Hiasl und der Wildschütz Georg Jennerwein sind noch heute weit bekannte Persönlichkeiten, personifizierte sich doch in ihnen die Unbeugsamkeit des Einzelnen vor der Obrigkeit, die andere ebenso gerne gezeigt hätten, aber nicht den Mut hatten diese umzusetzen. Doch nicht nur das 18. oder 19. Jahrhundert produzierte Helden der Berge, so das weit verbreitete Klischée, nein, auch im 20. Jahrhundert flammten die Konflikte zwischen Obrigkeit, also den Forsthütern und den Schwarzgehern massiv auf. Einen besonderen Brennpunkt dieser Art bildete der Chiemgau und dort vor allem die Gemeinde Schleching. Die Berichte des Forstamtes Marquartstein-West über „Jagdfrevel“ im hinteren Achental aus dem beginnenden 20. Jahrhundert lassen aus der Sicht des Forstamtes keinen Zweifel an den Problemen, die über die Jahre hinweg auftraten.

Wildernde Soldaten

Besonders nahmen die Fälle im Dezember 1918 zu, als im Achental ein Grenzschutzbataillon stationiert wurde – es handelte sich um das Grenzschutzbataillon 8 mit Wachen in Reit im Winkl und Schleching. Dessen Soldaten nützten intensiv die Waldnähe zur Wilderei. So erlegten die Wilderer im Dezember 1918 zwei Rehe, zwei Rehkitze, einen jungen und einen starken Hirsch sowie eine Gams. Ein Reh wurde in einer Schlinge erdrosselt aufgefunden. Das waren aber nur die Fälle, bei denen das erlegte Wild sichergestellt werden konnte. Nach Abzug des Bataillons verblieben in der Bevölkerung zahlreiche Militärgewehre, die nicht abgeliefert worden waren und somit auch zum Wildern verwendet werden konnten. Am 17. Oktober 1919 kam es, wie es kommen musste, nämlich zu einem blutigen Zusammentreffen eines Wilderers mit einem staatlichen Jäger.

Tödlicher Kopfschuss

An diesem Tag traf der zum Forst- und Jagdschutz verwendete Waldarbeiter Jakob Bietsch aus Schleching nachmittags um halb 4 im Distrikt Brunnerholz mit einem Wilderer zusammen, der im Gesicht unkenntlich gemacht und mit einem Militärgewehr ausgerüstet war. Bietsch rief den Wilderer auf kurze Entfernung hin an, die Hände über den Kopf zu heben, was dieser aber nicht tat, sondern vielmehr sein Gewehr auf Bietsch anlegte. Doch dieser war schneller und schoss den Wilderer nieder; der Kopfschuss war tödlich. Bietsch verließ den Tatort und begab sich nach Grassau zur Gendarmeriestation, um den Vorfall zu melden. Tags darauf gingen zwei Gendarmeriebeamte von Grassau und andere Personen zusammen mit Bietsch an den Tatort, wo sie den Toten noch unverändert vorfanden und ihn als den ledigen Arbeiter Josef Hacker von Ettenhausen identifizierten (Hacker wurde am 27. September 1895 in Reit im Winkl geboren und ist bei Zieheltern in Schleching-Ettenhausen aufgewachsen).

Volksauflauf bei der Beerdigung

Die Beerdigung Hackers im Schlechinger Friedhof geriet zu einem wahren Volksauflauf, dessen Sprengkraft der damalige Pfarrer Johann Nepomuk Wörnzhofer sehr wohl erkannte und in seiner Grabrede auch einzudämmen versuchte: „Ich weiß nicht, was euer Inneres bewegt hat, da ihr vor ihm standet und mit banger Scheu ihm ins Antlitz sahet: Sollten es aber Gedanken gewesen sein, die sich aussprechen lassen mit den Worten: Aug um Aug, und Zahn um Zahn – dann bitte und beschwöre ich euch im Namen eures Freundes, lasset von diesem Gedanken. Inwieweit ein Mensch Schuld tragen mag an diesem Unglück, überlasset das Urteil und das Gericht dem, der alles weiß und alles kennt und der einst gesprochen hat: „Mein ist die Rache“. Lasset diesen unglückseligen Bluttag des letzten Freitags den ersten, aber auch den letzten sein in unserer Gemeinde!“ Neben dem angemahnten himmlischen Gericht erfolgte ein sehr weltliches Verfahren gegen Bietsch vor dem Schwurgericht München I, das mit einer Einstellung endete, da Bietsch Notwehr zugebilligt wurde.

Volkeszorn

Allerdings halfen Bietsch weder der priesterliche Hinweis auf die kommende himmlische Gerechtigkeit noch der weltliche Unschuldsbeweis, denn der Zorn und die Anfeindung von Hackers Kameraden waren ihm gewiss: Er konnte sich als Forstgehilfe in Schleching nicht mehr halten und ließ sich nach Aschau im Chiemgau versetzen. Das brachte allerdings keine entscheidende Verbesserung, so dass er schließlich sogar in Vorarlberg seinem Beruf nachging. Auch seinen Eltern erging es nicht besser. Den Drohungen, dass man ihr Haus in Flammen aufgehen lassen werde, verlieh man Nachdruck, indem man sämtliche Fensterscheiben einwarf. Die Eltern verkauften ihr Anwesen und zogen aus dem Achental. Die Freunde und Kameraden von Hacker veranstalteten fortan jedes Jahr zu seinem Gedenktag ein Gedenkschießen. Es bestand darin, dass nach Eintritt der Dunkelheit auf den Höhen rings um Schleching eine größere Anzahl von Schüssen aus Militärgewehren und Böllern abgegeben wurde.

Dem Forstrat platzt der Kragen

Dies stellte für die Amtsinhaber der Außenforstamtmannsstelle Schleching prinzipiell auch kein Problem dar, bis im Jahr 1930 dem damaligen Inhaber Forstrat Gruschwitz der Kragen platzte. In diesem Jahr war es in der Staatsjagd in Schleching zu vermehrten Wildereifällen gekommen. Allein vom 4. August bis Anfang Oktober wurden zwölf ungeklärte Schussabgaben registriert, die er Wilderern zurechnete. Und am 21. September 1930 wurde im Dalsengebiet ein Hirsch geschossen, man ließ ihn in Teilen an Ort und Stelle liegen. Tags darauf wurden von der Gendarmerie-Station Grassau die Bauernsöhne Engelbert Pletschacher vom Knogler-Bauern und Joseph Sigl vom Schwaiger in Wagrain als Täter festgestellt. Das Wildbret hatten sie im Turbinenhaus des Sägewerks von Bürgermeister Aigner versteckt, da es sich dort tagelang frisch halte. Kaum zehn Tage später wurde in der Staatswaldabteilung Höhenstein der Aufbruch eines Hochwildes gefunden. Die Spuren führten bis an das Forstamtsgebäude in Schleching, wo der Schweißhund die Witterung verlor.

Eine Bäuerin verplappert sich

Die Tat konnte durch ein Kuriosum aufgeklärt werden: Am 27. September 1930 nahm der Tinten- und Kreidefabrikant Kronberger aus Prien eine Bäuerin in seinem Kraftwagen von Schleching nach Prien per Anhalter mit. Während der Fahrt bot ihm die Frau, die sich als Knoglerbäuerin Anna Pletschacher zu erkennen gab, Wildbret in größeren Mengen an und bestellte ihn am 4. Oktober nach Schleching, wo er sich das Wildbret abholen könne. Sie erwähnte dabei, dass sie ungeheuer viel Wildbret habe, da der Wilderer, der das schieße, ein guter Schütze sei und die beiden Amtsförster in seinem Elternhaus wohnten. Kronberger kam bereits einen Tag vor dem angegebenen Termin nach Schleching und erstattete Forstrat Gruschwitz eine Mitteilung darüber. Daraufhin begab er sich zur Knoglerbäuerin, die ihn zum Einödhof in Donau bestellte, wo er das Fleisch am Abend in Empfang nehmen könne. Nachdem Kronberger den Förster und die Gendarmeriestation Grassau informiert hatte, wurde der Wilderer Mathias Genghammer, Schmiedbauer aus Schleching, festgenommen. Verhaftet wurden auch Anna Pletschacher sowie der Zimmerer Georg Schwaiger aus Schleching wegen Beihilfe, da er beim Abtransport des Hirsches mit Hand angelegt haben dürfte. Diese Ereignisse zeigten den Behörden ein gut organisiertes Netz von gewerbsmäßiger Wilderei und Absatzwegen. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass nicht etwa Arbeitslose oder schlechtbezahlte Arbeiter wilderten, sondern in erster Linie die Söhne der wohlhabenden Familien. Die Konsequenz zur Deeskalation dieser Situation konnte nach amtlicher Auffassung nur in einer umfassenden Entwaffnung der Ortschaften Mettenham, Schleching und Ettenhausen und der Haftbarmachung der Wilderer und der Hehler im Zivilprozesswege sein. In einer Besprechung im Bezirksamt Traunstein am 14. Oktober unter Beteiligung der Staatsanwaltschaft Traunstein und des Forstamts Marquartstein-West erfuhr der Plan eine konkrete Umsetzung: Zum Wildereigedächtnisschießen für Josef Hacker am 17. Oktober 1930 sollten diesmal ... (Christoph Bachmann)

Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Septemberausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 38 vom 23. September 2016)

Abbildung:
Dort, wo der tödliche Schuss den Wilderer niederstreckte, steht noch heute eine Gedenktafel; gestaltet hat sie der Kunstmaler Toni Blank aus Unterwössen. (Foto: Sigi Hell) Unbekannte haben 1993 Joseph Hackers Todestages gedacht, indem sie an seinem Grab eine tote Gams aufhängten. (Foto: Bildersammlung Schleching 2005)

Kommentare (1)

  1. Loire-Schiffer am 13.05.2017
    Seit einigen Jahren bin ich mit unserem Stammbaum "DER HACKER-STAMM " beschäftigt. Bei meinen Nachforschungen bin ich auf den Beitrag in der "Bayerische Staatszeitung" gestossen.
    Der Hacker-Sepp ist der Bruder meiner Mutter, Anna Düring-Hacker, die in der Schweiz gelebt hat. Sie konnte uns 8 Kindern immer wieder die Geschichten ihres Bruders Sepp erzählen, nicht ohne ihre Tränen zu unterdrücken. Ich möchte ihnen zu ihrem Beitrag vom 23.09.1916 gratulieren, und hoffe dass sie die
    Rubrik " UNSER BAYERN " noch weiter mit interessanten Beiträgen bestücken.
    Mein Zuhause ist ein Boot in Frankreich und werde nun öfters ihre Beiträge UNSER BAYERN besuchen.
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