Unser Bayern

Welcher Baron von Hoheneck diese Besuchskarte abgab, „um Abschied zu nehmen“, lässt sich nicht mehr feststellen. (Foto: Jan Kopp)

24.07.2015

Die Ehre gibt sich ...

Ungehobener Tresorschatz im Staatsarchiv München: Die Sammlung von Visitenkarten der Baronin Keßling

Wer denkt, in Archiven würden nur alte Akten verwahrt, der irrt gewaltig. Archive sind mämlich eine wahre Fundgrube nicht nur für historische Forschungen. Manchmal sind darin sogar Entdeckungen kulturgeschichtlicher Art zu machen – wie im Staatsarchiv München. Dort findet sich im alten Tresorschrank ein unscheinbares Kuvert mit dem handschriftlichen Vermerk: „Biedermeier Visitenkarten, Fleißbildchen u. a. Nachlaß Baronin Keßling, Schloss Wildenberg (1967)“. Darin: eine bunte Mischung von Besagtem und hinreißenden Glückwunschbilletts. Es handelt sich um keinen geschlossenen Bestand, sondern um Einzelstücke aus unterschiedlichen Zeiten, die nur zum Teil zusammengehören. Einige Reste ganzer Bögen von Fleißbildchen stammen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die übrigen Blättchen aus der Zeit um 1800. Und diese sind der eigentliche Schatz: Neben verschiedenen Glückwunschkärtchen gehören dazu vor allem 21 Visitenkarten. Sie stammen nämlich nicht von „irgendwem“, sondern tragen wohlklingende Namen, vor allem aus dem bayerischen Hochadel. Gleichzeitig zieren einige Visitenkarten entzückende Kupferstiche. Diese Art von Visitenkarten hatte ihre Blütezeit etwa zwischen 1780 und 1815. Die Kärtchen haben wenig gemein mit unseren heutigen Ausführungen, die gleich eine ganze Litanei von Kontaktdaten enthalten. Auf den historischen Karten, von denen etliche den Weg in Kupferstichkabinette gefunden haben, steht lediglich der Name, meist sogar nur der Nachname und der Titel (in adeligem Understatement gerne in Kurzfassung) – was eine Zuordnung aus heutiger Sicht nicht gerade erleichtert. In seltenen Ausnahmen helfen Amtsbezeichnungen oder ein militärischer Rang. Seinerzeit waren weitere Angaben nicht von Nöten, da die Karten im wahrsten Sinne des Wortes als Visiten- oder Besuchskarten, wie sie auch genannt wurden, dienten. Man stattete einem Verwandten, einem Freund, einer Bekannten oder einem Kollegen einen Besuch ab, häufig unangekündigt, und händigte an der Tür einem Diener seine Karte aus. Dieser brachte sie seiner Herrschaft, die dann entschied, ob sie den Gast zu empfangen geruhte oder nicht. Manchmal wurden die Kärtchen auch nur abgegeben (möglicherweise durch den eigenen Bediensteten), um zu signalisieren: Ich war hier, habe an Sie gedacht. Dies tat man besonders gerne vor Anlässen wie Neujahr oder anderen Festivitäten. So kam im Laufe der Zeit eine Fülle von Visitenkarten zusammen, so viele, dass das Praktische Wochenblatt für alle Hausfrauen 1894 zur „Verwertung alter Besuchskarten“ gar riet: „Man zerzupft die Karten in ganz kleine Stückchen (Zupfen empfiehlt sich mehr, als mit der Schere schneiden, damit keine scharfen Kanten entstehen) und füllt damit kleine Kopfkissen.“ Die Visitenkarten im Staatsarchiv München sind Gott sei Dank nicht zerzupft worden – doch verdanken wir ihr Überleben ebenfalls einer Zweitverwendung: Sie wurden gewissermaßen als Karteikärtchen rückseitig zu Unterrichtszwecken beschrieben. In französischer und deutscher Sprache finden sich Gedichte, historische Daten und vor allem Lebensweisheiten darauf – so zum Beispiel: „Ritterlich religieuse galanterie und Weltbürgerlicher Kunstsinn sollten, meiner Meinung nach, als zum feinen Umgange mit den Menschen gehörig, das höchste Ideal aller Pädagogik seyn.“ Stilistisch lassen sich sowohl die Visitenkarten als auch die Glückwunschbilletts auf die 1790er und die ersten Jahre des 19. Jahrhunderts eingrenzen. Dies bestätigen auch die wenigen Datierungen.
Hinter fast jedem der Namen auf den Kärtchen verbirgt sich eine Geschichte. Wer waren die Gäste? Und vor allem: Wer hat sie bekommen? Um die Antwort darauf vorweg zu nehmen: Die einstige Besitzerin der Blättchen war Baronin Therese von Perfall, geborene Gräfin Preying (1765 bis 1807); über ihre Ur-Ur-Enkelin Alix von Kesling (1889 bis 1967) gelangte die Sammlung ins Staatsarchiv München. Auf die Spur der einstigen Besitzerin „La Baronne de Perfall neé Comtesse Preysing“, wie auf einer mit Eichenlaub verzierten Visitenkarte steht, führen vor allem die Glückwunschschreiben. Da ist unter anderem ein typisches Kärtchen des ausgehenden 18. Jahrhunderts mit einer Silhouette, vermutlich die Beschenkte selbst. „Mit meinem zärtlichsten Gefühle, Geliebte, wall’ ich Dir am Ziele des überlebten Jahres zu. O Du, zur Freude mir gegeben! Mein Wunsch ist, Dein zufriednes Leben; denn wer beglückt mich sonst, als Du.“ Unter diesen gedruckten Neujahrswunsch wurde handschriftlich angefügt: „Wünsche Deines aufrichtig liebenden Mannes Perfall.“ Lange wird sich die beglückwünschte Ehefrau jedoch nicht mehr seiner Liebe erfreut haben, denn bereits 1792 ist Max Josef von Perfall verstorben, sieben Jahre nach der Hochzeit. Noch in den 1790er Jahren schickte ihr ein (uns) unbekannter Galan die aus heutiger Sicht zumindest grenzwertige Annäherung, gedruckt auf hellgrüner Seide: „Schöne Wittwe, so alleine, so alleine geht es nicht. Ist’s nicht besser, wenn ein Männchen mit Dir oft ein Stündchen spricht? Ey, so gieb in diesem Jahre einem Männchen Deine Hand. Bist zu jung noch und zu munter zu den stillen Wittwenstand.“ Ob sich Therese von Perfall darüber gefreut hat oder nur peinlich berührt war, ist nicht überliefert. Aufgehoben hat sie das Kärtchen auf jeden Fall, aber den Witwenstand hat die damals Anfang-Dreißigjährige dennoch nicht aufgegeben. Unverfänglicher jdenfalls war ein undatierter handschriftlicher Glückwunsch mit kindlicher Verzierung von „ihrem Sie zärtlich lieben Sohn Emanuel Perfall“. Dieser 1786 geborene Sohn Emanuel Perfall auf Greifenberg (1786 bis 1854), später königlich bayerischer Kämmerer und Gutsbesitzer, sollte nicht nur der Vater des berühmten Münchner Intendanten Karl von Perfall werden, sondern auch von zwei weiteren Söhnen und der Tochter Adelheid, die 1849 Carl Freiherr von Kesling auf Wildenberg (Landkreis Kelheim) heiratete. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor, die wiederum nur Töchter hatten. Mit der unverheirateten Alix von Kesling, die am 24. April 1967 in Rottenburg verstarb und über die die kleine Sammlung ins Archiv gelangte, ist die Linie der Freiherren von Kesling schließlich erloschen. Ein kolorierter Stich mit einem Neujahrswunsch auf rosa Seide, der „an mein Dochter von Irem liebn Vatter Preysing“ geschrieben war, ist ebenfalls in der kleinen Sammlung verwahrt. Therese war die einzige Tochter von Graf Johann Sigmund von Preysing-Hohenaschau (1738 bis 1811) und seiner Frau Philippine, geborene Gräfin von Törring-Seefeld. Vom Vater Preysing stammt auch die künstlerisch bedeutendste Visitenkarte in diesem kleinen Konvolut: Kein geringerer als Johann Michael Mettenleiter hatte die Karte für den einstigen Statthalter von Ingolstadt geschaffen. Mit martialischen Gerätschaften scheint er die Landesfestung Ingolstadt wenigstens auf dem Papier verteidigt zu haben – „bis auch diese Mauern für fremde Zwecke untergiengen“, wie der Biograph Josef Ernst von Koch-Sternfeld 1827 festhielt und damit auf die Schleifung der Verteidigungsanlage durch Napoleons Truppen anspielte.
Johann Michael Mettenleiter (1765 bis 1853) aus einer Kupferstecherfamilie war seit 1782 in München ansässig. 1790 zum Hofkupferstecher ernannt, gilt der von Zeitgenossen als „bayerischer Chodowiecki“ bezeichnete, als der typische Vertreter der Münchner Buchillustration um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Er war Illustrator zahlreicher Kalender, unter anderem für Lorenz von Westenrieder, von Almanachen und anderen Schriften. Daneben stach, später lithografierte er Gebrauchsgraphik: Visitenkarten, Einladungen, Programme, Geschäftskarten und Etiketten. Jedes Kupferstichkabinett kann sich heute glücklich schätzen, wenn es Beispiele seiner Kunst besitzt, wie die Grapfische Sammlung in München... (Cornelia Oelwein) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Juli/August-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 30 vom 24. Juli 2015)

Kommentare (2)

  1. Altbgm. am 18.09.2015
    Mit Interesse habe ich den interessanten Artikel gelesen den mir bis jetzt unbekannte Person in den Briefkasten geworfen hat.
    Interessant vor allen Dingen da die Baronin Alice von Kessling bei uns in Wildenberg gelebt hatte und ich auch noch persönlich gekannt habe.Sie war eine umgängliche und volksnahe Frau.
    Sie hat ihr Vermögen in eine Stiftung verwandelt. Das Schloß Wildenberg steht zur Zeit leer und wartet auf eine Sanierung.
    Baronin v.Kessling ist in Pürkwang gleich hinter der Pfarrkirche St.Andreas in der Familiengruft beerdigt.
    Erwin Filser
    Altbgm. der Gemeinde Wildenberg
  2. MN am 29.07.2015
    Ein sehr schöner und interessanter Artikel. Zu Baron Hacke hätte ich eine Frage an die Autorin. Vielleicht könnte mir Frau Oelwein Ihre Mail-Adresse mitteilen?
    VG
    MN
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