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Meisterhafte Filigranarbeit aus Gold und Silber: Aber nicht der materielle Wert des Pfingstkranzls zählt, sondern die Verleihung als Zeichen tugendlichen Verhaltens. (Foto: Kurverwaltung Bad Kötzting)

25.05.2012

Eucharistische Prozession zu Pferd

600 Jahre Kötztinger Pfingstritt – Volkskundler gehen davon aus, dass der Umritt sogar noch älter ist


Alljährlich zum Pfingstmontag putzt sich Bad Kötzting im Landkreis Cham festlich heraus. Birken, Girlanden und Fahnen schmücken die Straßen. Böllerschüsse und Marschmusik wecken Bürger und Gäste früh am Morgen, bald darauf reihen sich immer mehr Schaulustige an den Straßen auf. Dazu kommen die zahlreichen Wallfahrer in ihren alten Trachten und mit ihren festlich geschmückten Pferden. Der Kötztinger Pfingstritt gehört zu den ältesten Brauchtumsveranstaltungen in Bayern. Die Reiterprozession geht auf ein Gelöbnis aus dem Jahr 1412 zurück. Der Legende nach lag im Dorf Steinbühl im Zellertal, etwa sieben Kilometer von Bad Kötzting entfernt, ein Mann im Sterben. Er soll nachts einen Boten zum Kötztinger Pfarrer geschickt haben mit der Bitte, ihm die Sterbesakramente zu verleihen. Der Pfarrer zögerte: die Gemeinde Steinbühl gehörte zwar zur Kötztinger Pfarrei, aver der Weg dorthin durch den Wald war gefährlich. Wilde Tiere – der Landstrich war für seine Bären berüchtigt – und umherziehendes Gesindel machten die Gegend unsicher. Da erklärten sich junge Männer aus Kötzting bereit, dem Pfarrer und dem Allerheiligsten Geleitschutz zu geben. Der Seelsorger und seine Beschützer kamen nicht nur gut zu dem Todkranken nach Steinbühl, sondern auch heil nach Hause zurück. Ganz geheuer war ihnen das ganze Unternehmen aber wohl nicht: Unterwegs hatten die Männer gelobt, alljährlich nach Steinbühl zu wallfahren, sollten sie unversehrt heimkehren. Auch heuer verlassen unter dem feierlichen Geläut aller Glocken Bürger und Bauern im Gebet versunken auf ihren gestriegelten und fein zurechtgemachten Pferde die Stadt. Die Reiter – in alter Tradition dürfen nur Männer teilnehmen – kommen aus Kötzting, aber auch aus der näheren und weiteren Umgebung. Alle tragen die schmucke Oberpfälzer Tracht: Weiße Hemden unter roten oder dunklen mit silbernen Talern geschmückten Westen, darüber einen blauen Rock oder Mantel. In den schwarzen Stiefeln über den schwarzen Reithosen stecken oft Lärchen- oder Fichtenzweige. Die schwarzen Hüte sind mit goldenen Bändern und Troddeln oder ebenfalls Lärchenzweigen verziert. Um den Hals legen die Männer rote Tücher, an der Uhrkette baumeln silberne Münzen. Die Pferde tragen ihr schönstes Sattelzeug. Ihre Schweife und Mähnen sind mit Blumenketten, Spitzendecken und bunten Bändern geflochten. Der stattliche Zug aus mindestens 900 Pferden und ihren Reitern setzt sich aber erst in Bewegung, wenn der geistliche Offiziator, der Bevollmächtigte für die Leitung des Gottesdienstes, abgeholt wurde. Traditionell begleitet er den Ritt. Dazu ziehen der Kreuzträger, der Laternenträger und zwei Fanfarenbläser im Pfarrhof ein. Sie reiten traditionsgemäß an der Spitze des Zuges und geleiten den Offiziator zum Torplatz, wo die Pfingstreiter warten. Nun kann die imposante Prozession hoch zu Ross beginnen. Scheinbar unzählige Hufe klappern über das Straßenpflaster. Der Auszug aus der Stadt wird von einer Trommlergruppe und einer Kapelle begleitet. Nach dem Kreuzträger, dem Laternenträger und den beiden Fanfarenbläsern an der Spitze der Prozession folgen die Minis-tranten, der Mesner sowie der Offiziator in seinem liturgischen Gewand. Hinter dem Offiziator reitet der Pfingstbräutigam mit den Brautführern. Dann folgt der vorjährige Pfingstbräutigam mit der Stadtfahne in den Händen. Nach dieser offiziellen Spitzengruppe kommt schließlich die große Schar der restlichen Reiter. Viele von ihnen haben Erinnerungsfahnen dabei, die sie für ihre langjährige Prozessionsteilnahme erhielten. Unterwegs beten die Reiter den Rosenkranz. An vier Stationen verkündet der Offiziator das Evangelium und erteilt den Flursegen. Nach gut eineinhalb Stunden hat die Prozession ihr Ziel erreicht: Die Wallfahrtskirche St. Nikolaus von Steinbühl. Dort wird unter Leitung des Offiziators der Reitergottesdienst gefeiert. Der Patron der Wallfahrtskirche, der hl. Nikolaus, wird als Rossheiliger verehrt. Die Kirchentür ist mit Hufeisen beschlagen, silberne Pferdchen und andere Weihegaben werden im Steinbühler Pfarrhaus und in der Kötztinger Kirchenburg aufbewahrt. Mittags macht sich der Zug dann wieder auf den Rückweg nach Bad Kötzting. Böllerschüsse begrüßen die Reiter. Mit einem Festakt vor der Veitskirche, dem eucharistischen Segen, dem „Te Deum" und der Auszeichnung langjähriger Pfingstreiter endet der kirchliche Teil des Ritts. Jetzt ist für den Pfingstbräutigam die Stunde gekommen. In der Mitte des Marktplatzes wird ihm in einer feierlichen Zeremonie vom Offiziator das Tugendkränzchen, im Volksmund auch Pfingstkranzl genannt, überreicht, eine Filigranarbeit aus Gold- und Silberdraht, gefertigt von Schwestern aus Kloster Mallersdorf oder Kloster Seligenthal. Während des Ritts hat der Offiziator das Tugendkränzchen an seinem Brustkreuz getragen. Der Pfingstbräutigam muss ledig, katholisch und in der Gemarkung Bad Kötzting wohnhaft sein. Auf Vorschlag des Stadtrats wird er vom Stadtpfarrer ernannt. Seit alters gilt das Tugendkränzchen als Sittenpreis, der alljährlich an einen jungen Mann überreicht werden soll, der sich im Vorjahr durch untadeliges Verhalten hervorgehoben hat. Noch immer ist das Pfingstkranzl der größte Stolz eines Kötztinger Bürgerhauses. Nach seiner Ernennung wählt der Bräutigam eine Pfingstbraut. Dann bewirtet er die Burschenschaft in seinem Elternhaus. Am Nachmittag wird die Braut zum Burschen- und Brautzug abgeholt. Das Pfingstbrautpaar zieht grüßend durch die Stadt zum Haus des Gastes. Dort wird die Pfingsthochzeit – die allerdings nur symbolischen Charakter hat – gefeiert. Volkskundler sind sich einig, dass der Pfingstritt älter als 600 Jahre ist. Man kann davon ausgehen, dass vorchristliche Frühjahrsbräuche nach und nach in den christlichen Rahmen eingebunden wurden. Ursprünglich wurde wohl in einer profanen Feier, einem rituellen Flurumritt, der Sieg des Frühlings über den Winter gefeiert. Hinter der Pfingsthochzeit verbirgt sich wahrscheinlich ein altes Frühlingsfest, das Mailehen. Es könnte auch sein, dass der Ritt auf die Rekrutierung waffenfähiger Männer zu Beginn des Sommers zurückgeht. Die Legende vom im Sterben liegenden Mann in Steinbühl war der Anlass, dem alten Brauch einen christlichen Hintergrund zu geben.  (Eva Meier)

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