Unser Bayern

Die richtige Balance zwischen Himmel und Erde drückt Alf Lechner in seiner Skulptur "In München starten – in München landen"aus, die im Freigelände des Franz Josef Strauß-Flughafens steht. (Foto: Victor Henle)

19.09.2014

Formen durch verformen

Der Metallkünstler Alf Lechner liebt und stört die geometrische Ordnung

Auf dem viel befahrenen Altmühltal-Radweg gelangt man durch Obereichstätt. Im Ort, der am Fuße eines Steilhanges liegt, fällt ein renoviertes Gebäudeensemble auf, über dessen Mauer zwei rostüberzogene, aus zwei Stahlquadern bestehende Türme in scheinbarer Parallelität aufragen – so, als wollten sie mit den dahinter liegenden senkrechten Kalkriffen, Überbleibseln des früheren Jurameeres, in Konkurrenz treten wollten. Die Weiterfahrt bietet Blicke auf mit weiteren Stahl­skulpturen besetzte Terrassen. In diesem Ensemble lebt und arbeitet seit der Jahrtausendwende Alf Lechner. Er ist einer der renommiertesten deutschen Stahlkünstler, dessen Werke an vielen bedeutenden Stellen in Deutschland und Europa Außenräume prägen. Eisen hat Tradition in Obereichstätt. 1411 ließen die Eichstätter Fürstbischöfe eine Eisenhütte erbauen, die trotz vieler Krisen und Eigentümerwechsel nach der 1802 erfolgten Aufhebung des Fürstbistums erst 1932 endgültig stillgelegt wurde. Danach folgte bis 1989 ein Juramarmorwerk, das im Gelände einen Steinbruch eröffnete und das gebrochene Material in den Gebäuden der ehemaligen Eisenhütte verarbeitete. Stein hat Alf Lechner als Werkstoff nie angezogen. Es sei ein „unzuverlässiges Material", ebenso wie Holz. Nach längerem Leerstand der Eichstätter Anlage etablierte sich wieder eine Eisenbearbeitung, diesmal eine künstlerische: Lechner kaufte das Gelände und baute die Gebäude mit feinem Gespür und ohne Architekten oder Bauleiter zum künstlerischen und persönlichen Refugium für sich und seine Frau Camilla um. Am Anfang seines künstlerischen Weges stand anderes als Eisen. Schon mit zehn Jahren begann er eine Zeichen- und Mallehre bei dem heute vergessenen, in der Königsberger Akademie ausgebildet Maler Alf Bachmann, der 1891 nach München zog und dann nach Ambach am Starnberger See, wo er 1956 starb. Lechner, der einzige Schüler Bachmanns, hält ihm noch heute die Treue. Er sei ihm nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein menschliches Vorbild gewesen, eine Art Vaterfigur. Als Ausdruck seiner Verbundenheit kürzte er seinen Vornamen Alfred ebenfalls zu Alf und zog für einen Teil seines Lebens in Bachmanns örtlichen Umkreis. Zuerst nach Degerndorf (Gemeinde Münsing), einen Steinwurf von Ambach entfernt, dann nach Geretsried an die Isar, wo er sich am Rande einer ehemaligen Munitionsanstalt aus einer Ruine Wohnung und Werkstatt schuf. Unversehrt aus Kriegsdienst und kurzer Gefangenschaft zurückgekehrt, holte er in München das Leben nach, ging fast jeden Tag tanzen und erprobte seine Anziehungskraft auf Frauen – ohne seine technische, künstlerische und gewerbliche Betriebsamkeit zu vernachlässigen. Künstlerische Arbeiten waren in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht gefragt, dafür aber Konsumware und neue technische Produkte. Ebenso mit praktisch-handwerklicher Begabung ausgestattet, widmete sich Lechner der Werbegrafik, dem Industriedesign und der Lichttechnik, die ihn, den technischen Tüftler, zum Erfinder machte: Im August 1950 meldete er eine „Leuchtstoffröhrenleuchte für medizinische, insbesondere zahnmedizinische Zwecke" zum Patent an, die sich durch große Helligkeit, weite Streuung des Lichtkegels, sparsamen Energieverbrauch und geringe Wärmeentwicklung auszeichnete. So lautet die Begründung des im Dezember 1951 erteilten Patents. Die Nutzung überließ er nicht anderen. Er produzierte und vertrieb das Gerät selbst. In Lechner steckt durchaus auch eine Portion Geschäftstüchtigkeit. Das grafisch-malerische Talent verführte ihn einmal sogar zum Bühnenbildner der Antigone im Ulmer Stadttheater.Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der September-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 38 vom 19. September 2014) Die Zahnarztlampe hatte etwas Gutes: Mit dem Vermögen, das Lechner dadurch erwarb, erfüllte er sich den Traum eines jeden Künstlers: Unabhängigkeit von wirtschaftlichen, kunstmarktlichen und trendigen Zwängen. Eigenständigkeit verkörpert eine wesentliche Charaktereigenschaft Lechners, gepaart mit viel Eigenwilligkeit. Diese Eigenschaft zeigte sich schon in jugendlichen Jahren als er zwischen einem zukünftigen Leben als bildender Künstler oder Geiger schwankte. Sein Unabhängigkeitsdrang verdrängte den Geiger. Es sträubte sich etwas in ihm gegen den Verlust der Eigenständigkeit durch Einordnung in ein Orchester und die Unterordnung unter das Diktat eines Dirigenten. Mit Galerien, privaten wie öffentlichen, verband ihn ein recht ambivalentes Verhältnis. Er brauchte sie aber gerade in den Anfangsjahren seines Aufstiegs zu einer nationalen Größe. Allein bis 1990 waren seine Schöpfungen in 40 Einzelausstellungen und fast 80 Gruppenausstellungen zu sehen. Danach ging die Ausstellungstätigkeit zurück. Auch deswegen, weil Galerieräume immer ungeeigneter wurden, Lechners immer schwerer und mächtiger sich entwickelnden Objekte aufzunehmen. Der entscheidende Punkt der Lechnerschen Wende stellte sich um die 1960er Jahre mit der Annäherung an den Stahl ein, aus der eine das Lebenswerk prägende Hingabe wurde. Mit diesem Werkstoff und seiner Verarbeitung kam er schon in seinen Bubenjahren in Berührung, wenn er seinem Onkel in Tirschenreuth fasziniert bei der Arbeit in dessen Schmiede zuschaute. Stahl verkörpert für Lechner den „zuverlässigsten und unempfindlichsten Werkstoff, pflegeleicht und Wind und Wetter trotzend". Dieses Material fordert ihn unentwegt, allein schon wegen dessen Widerspenstigkeit, sich den eigenen Vorstellungen zu fügen. „Stahl macht immer was er will. Daraus habe ich mein Leben lang gelernt", resümiert er. In der Retrospektive lassen sich ab den 1970er Jahren deutlich abgrenzbare werkgeschichtliche Perioden erkennen. Dieter Hoenisch, ehemals Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, hat sie in einer eindrucksvollen Publikation für die Zeit von 1957 bis 1990 in einem Werkverzeichnis (WV 1 – 467) herausgearbeitet und evaluiert. Ein Autorenteam beschäftigte sich danach mit der Zeit bis 1995 (WV 468 – 556). Die erste Werkphase nannte Hoenisch schlicht „Verformungen". Runde Rohre wurden geknickt oder gepresst und dann mit Polyester beschichtet. Der Künstler selbst hält nicht mehr sehr viel von dieser Phase. „Lechnerisch" im heutigen Sinne entwickelte sich das Werk ab 1970, zuerst mit dem Einsatz von Vierkantrohren. Lechner bricht in die uns vertrauten Formen der euklidischen Geometrie mit verwirrenden Störungen ein. Ein viereckiger Rahmen ist auf der oberen Längsseite aufgebrochen und der längere Teil davon nach oben und leicht nach außen geknickt, wodurch eine Knautschfalte entsteht. Die Geometrie wird nicht zerstört – vielmehr ihr ungestörtes Wesen durch die Störung erst richtig deutlich gemacht. So entsteht eine gesteigerte Wahrnehmung und Blickerweiterung. Vielleicht spiegelt die Störung sogar eine Verbeugung vor diesen Grundgebilden wider. In Lechners innerem Widerspiel verkörpert sich genau das, was der französische Schriftsteller Paul Claudel so ausdrückte: „Ordnung ist die Lust der Vernunft. Unordnung die Wonne der Phantasie". Die Arbeit mit massivem Stahl setzt mit der Konjunktionen genannte Werkserie ein: Würfelskelette, die beliebig ganz oder in Teilen zueinander in Beziehung gesetzt werden und Massivwürfel, die in unterschiedlichsten Konstellationen zueinander gekippt sind. In dieser Serie scheint Lechners unbeugsame Leidenschaft für das Einfache auf. Er will „Formen auf eine nicht mehr zu unterschreitende Einfachheit reduzieren". Aus diesem Streben heraus entstand eine der bedeutendsten Schaffensphase: das Teilen von massiven Stahlkörpern in Scheiben, Kuben und Kugeln. Der Kubus sei die einzige Form, die in unendlich viele Formen zerteilt werden könne. Und: „Teilen war immer meine Lust." Beim Teilen gehe es um die rationale Durchdringung von Körpern... (Victor Henle) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der September-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 38 vom 19. September 2014) Abbildungen: Die Veränderungen an den oft tonnenschweren Stahlplatten tüftelt der Bildhauer Alf Lechner zunächst am Schreibtisch aus. Im „Papierhaus" in Obereichstätt  lassen sich an Zeichnungen unterschiedliche Schaffensphasen verfolgen. (Foto: Dieter Honisch) "Eismeer", eine mehrteilige Arbeit, die heute im Ingolstädter Alf-Lechner-Museum ausgestellt ist. (Foto: Alf Lechner-Museum) Im Skulpturenpark ergeben sich spannende Korrespondenzen zwischen den Stahlarbeiten und der Landschaft – wie hier auf der mittleren Skulpturenterrasse, hinter der die Wand eines Kalkriffs emporragt. (Foto: Victor Henle)

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