Unser Bayern

Seit altersher gilt der Aderlass geradezu als Allheilmittel. Wer kein Blut sehen kann, dreht sich ebenso ab wie die Patientin auf dem Gemälde (Ende 16. Jahrhundert). (Foto: Deutsches Medizinhistorisches Museum)

21.12.2012

Gutes für Leib und Seele

Gebet, Diät und Aderlass: Die Naturheilkunde hat in Bayern eine lange Tradition


"Rosmarin und Dill, Gürtelrose stehe still", beginnt ein altes Heilgebet bei Hautkrankheiten. Die Heilpraktikerin Monika Herz aus Peißenberg veröffentlichte erst kürzlich Texte, die seit Jahrhunderten in der alternativen Heilkunde eingesetzt werden. Sie stammen aus einer Zeit, in der das medizinische Versorgungsnetz noch nicht so dicht war wie heute. Von altersher war die Versorgung von Erkrankten nicht alleinige Aufgabe von Ärzten oder anderen speziell ausgebildeten Heilern. So mussten sowohl die Familienangehörigen wie auch der Patient selbst mitwirken. Die Heilkunde war im süddeutschen Raum stets mit religiösem Brauchtum eng verbunden. Die Volksfrömmigkeit äußerte sich in Wallfahrten und speziellen Heilungserwartungen. In katholischen Regionen galten der hl. Rochus als Schutzheiliger der Pest- und Pockenkranken, der hl. Antonius als Patron der an Mutterkornvergiftungen Leidenden und die hl. Apollonia soll besonders den Zahnpatienten nahegestanden sein. Das Abbeten von Krankheiten wird immer noch in einigen Regionen praktiziert. Gerade im Allgäu gilt das Besprechen von Warzen bis heute als ein probates Mittel: Es sollen Selbstheilungskräfte in Gang gesetzt werden. Mit modernen Analyseverfahren konnte nachgewiesen werden, dass selbst bei einer Placebogabe eine Aktivierung im Gehirn ausgelöst werden kann, die den Stoffwechsel beeinflusst und körperliche Reaktionen hervorruft. Voraussetzung dafür ist allerdings eine positive Erwartungshaltung in die Therapie. Im Umkehrschluss bedeutet das aber nicht, dass nur durch „richtiges" Beten der Heilprozess beginnt. All das ist aber nicht der sogenannten Naturheilkunde zuzuordnen. Ihre klassische Form hat heute zum Ziel, die Selbstheilungskräfte des Organismus anzuregen und einen Rahmen dafür zu schaffen, dass der Organismus im Ganzen wieder ins Gleichgewicht kommt. Sie grenzt sich jedoch eindeutig von den vielen Heilungsversprechen und immer neuen komplementären Methoden ab, die auf dem stetig wachsenden Gesundheitsmarkt konkurrieren. Die Lehre der Naturheilkunde konzentriert sich auf die Wirkung von Naturheilmitteln und Naturheilverfahren, also natürlicher Reize wie Atmung, Wasser, Ernährung oder Bewegung. Bereits in der Antike hielten die Mediziner eine genaue Betrachtung des Kranken für unabdingbar. Umweltfaktoren wurden ebenso berücksichtigt wie eine spezielle Diätetik. Ihr Diät-Programm beinhaltete weit mehr als Empfehlungen zur Ernährung. Es handelte sich um ein Ordnungssystem, wonach der Mensch sein Leben nach bestimmten Regeln einzurichten hat. „So sollten Licht und Luft, Speise und Trank, Bewegung und Ruhe, Schlafen und Wachen, Ausscheidungen und Absonderungen, Gemütsbewegungen und Leidenschaften im richtigen Verhältnis zueinander stehen, um den Menschen möglichst lange in seiner Ganzheit gesund und leistungsfähig zu erhalten" fasst Christa Habrich vom Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt zusammen. In Deutschland war bis zum 19. Jahrhundert der Aderlass das Heilmittel schlechthin. Seine Wurzeln hat er in der antiken Säftelehre, die Gesundheit und Krankheit in Abhängigkeit von der Mischung der vier Kardinalsäfte erklärt: Blut, Schleim, Galle und schwarze Galle. Die Wiederherstellung des Säftegleichgewichts war die Voraussetzung für Gesundheitserhaltung und Genesung. Schwitzkuren, Schröpfen, Abführ- und Brechmittel ergänzten die Heilmethoden. Neben der Haus- und Laienmedizin war die Badermedizin ein wichtiger Teil des Gesundheitswesens. Das Handwerk des Baders zählt zu den ältesten Berufen, die sich mit der Pflege des gesunden und kranken Körpers beschäftigte. Dem ortsansässigen erfahrenen Bader wurde oft mehr vertraut als einem studierten Arzt. Die Klostermedizin basierte im Wesentlichen ebenfalls auf der antiken Säftelehre. Ihre Weiterentwicklung im Mittelalter schloss Erkenntnisse der Volksmedizin sowie der Botanik ein. Am Übergang vom 8. Zum 9. Jahrhundert veränderte sich durch die Reformen Karls des Großen das Klosterleben stark. Nun durften Heilpflanzen in klostereigenen Gärten angebaut werden und Mönche erlernten die Grundlagen der Medizin. Sie versorgten auch die Menschen in der Kloster­umgebung mit Arzneimitteln und Ratschlägen. Es entstanden Klosterapotheken, die ihre Erzeugnisse wie Destillate auch außerhalb der Klöster verkauften. So galt noch im 18. Jahrhundert der Melissengeist der Kapuziner aus Regensburg als der beste. Die Bedeutung des Wassers für die deutsche Naturheilkunde wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts von dem fränkischen Gymnasiallehrer Eucharius Oertel (1765 bis 1850) neu entdeckt. Zufällig fand er bei einem Antiquar das Büchlein Unterricht von der wunderbaren Heilkraft des frischen Wassers, bei dessen innerlichem und äußerlichem Gebrauche, durch die Erfahrung bestätigt von Dr. Johann Sigmund Hahn, vormaligen Stadtarzt in Schweidnitz. Die heilsame Wirkung von kaltem Wasser faszinierte ihn. Nach Selbstversuchen und Anwendungen der Wasserkuren im Familien- und Freundeskreis gründete er in Ansbach 1832 den ersten hydropathischen Verein. Theoretischer Ansatz der neuen Lehre war der Naturismus, wie ihn Jean-Jacques Rousseau formulierte. Dieser erteilte der herrschenden Heilkunst eine Absage und beschwor die körpereigene Naturkraft: Das Grundgefühl der Ehrfurcht vor der Natur und dem Leben sei dabei die Basis aller Bereiche der Naturheilkunde. Zur Kräftigung des Körpers empfahl Oertel hauptsächlich den Gebrauch von Wasser und Bädern. Der Münchner Arzt Lorenz Gleich (1798 bis 1865) überprüfte die Wasserheilkunde kritisch, erweiterte sie und prägte dann 1849 den Begriff Naturheilkunde. Sie umfasste die Naturinstinktlehre, die Naturdiätetik und die Naturheilverfahren. Gleich praktizierte in zwei Naturheilstätten: in der Müllerstraße und im Bad Brunnthal außerhalb der Stadtgrenze Münchens im heutigen Bogenhausen. Dort kam sein Naturheilverfahren „ohne Medicin" zum Einsatz, denn Medikamente jeder Art wurden als Gifte abgelehnt. Hier unterscheidet sich die Naturheilkunde bis heute klar von der Homöopathie ... (Beatrix Leser) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Dezember-Ausgabe von Unser Bayern. Abbildungen (von oben) Wenn kein Kraut mehr gegen den Zahnschmerz gewachsen ist, hilft vielleicht nur noch das Anfle-
hen der heiligen Apollonia: Die Märtyrerin, der einst die Zähne ausgeschlagen worden waren, weil sie ihrem Glauben nicht abschwor, gilt als Fürbitterin bei Zahnproblemen. Oft wird sie – wie hier als Wachsfigur aus dem 19. Jahrhundert – mit einer Zange samt Zahn abgebildet. Eines der ältesten Instrumente zum Zahnziehen ist der hier abgebildete „Pelikan" (um 1700). Aderlass-Schnäpper in Fischlederetui (1772); seine Klingen sind aus poliertem Stahl und stecken in einem aufwändig verzierten Gehäuse. Mundgeblasene römische Schröpfgläser. Der Fingerzeig auf die klaffende Wunde am Bein ist charakteristisch für die Darstellung des hl. Rochus. Bei der Wunde handelt es sich um eine geöffnete Pestbeule, also um einen durch die Pest infizierten und angeschwollenen Leistenlymphknoten. Aus Gründen der Schicklichkeit pflegte man die Pestbeule jedoch nicht in der Leistenregion des Heiligen, sondern etwas weiter unten an seinem Oberschenkel darzustellen. Die hier abgebildete Eichenholzfigur aus dem 18. Jahrhundert befindet sich im Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt. (Fotos: Deutsches Medizhinhistorisches Museum Ingolstadt)

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