Unser Bayern

Wo zunächst nur einige wenige Zelte aufgebaut wurden, wuchsen im Laufe von wenigen Jahren zahlreiche Gebäude für Flieger und Flugzeuge. Aus Rücksicht auf das be­nachbarte Schloss entschied man sich bei der Architektursprache für den „reduzierten Heimatstil“ Das Areal erfuhr in den vergangenen 100 Jahren zahlreiche Nutzungen – hat aber als Sonderflugplatz bis heute überdauert. (Foto: Archiv Bürger)

14.09.2012

Hangar mit Schlossambiente

Vor 100 Jahren wurde in Oberschleißheim die königlich-bayerischen Fliegertruppe aufgebaut

Fliegen zu können ist ein uralter Menschheitstraum. Den Weg zum Flugzeug fand ein Deutscher, Otto Liliental. Jahrelang beobachtete er Vögel in der Luft, baute Apparate und übte unermüdlich. Bei einem Gleitflug stürzte er am 11. August 1896 tödlich ab. Nur wenige Jahre später, am 17. Dezember 1903, gelang es dem Amerikaner Wilbur Wright, sich mit einem Motor getriebenen Fluggerät 90 Sekunden in der Luft zu halten. Die Erfolgsgeschichte der Fliegerei nahm an Fahrt auf – schnell entdeckte man auch den militären Nutzen: Die „fliegenden Kisten" eigneten sich ideal zur Aufklärung. Das war der Anlass, am 1. Januar 1912 in München-Oberwiesenfeld bei der Luftschiffer- und Kraftfahr-Abteilung ein Fliegerkommando mit 14 Soldaten einzurichten. Die Leitung hatte der Rittmeister des 1. Schweren Reiter-Regiments, Graf Wolfskeel von Reichenberg; er hatte bereits eine Fluglizenz, erworben bei dem Flugpionier August Euler in Darmstadt. In einer Verfügung des bayerischen Kriegsministeriums vom 15. März 1912 wird unter der Überschrift „Formation der Armee" verkündet: „Seine Königliche Hoheit Prinz Luitpold, des Königreichs Bayern Verweser, haben zum Vollzug des Reichsgesetzes vom 27. März 1911, betreffend die Friedensstärke des deutschen Heeres ... nachstehendes Allergnädigst zu verfügen geruht: Vom 1. 4. 12 ab wird eine Fliegerkompagnie neu errichtet und der Luftschiffer- und Kraftfahrabteilung unterstellt. Standort der Fliegerkompagnie: Ober-Schleißheim." Schleißheim, 15 Kilometer nördlich Münchens gelegen, verfügte nicht nur über drei Schlösser, sondern auch über eine ehemalige Schwaige. Zu dieser gehörte umfangreicher Grundbesitz. Seit 1880 war dort bereits die bayerische Armee mit einem sogenannten Remonte-Depot für die Ausbildung von Reit- und Zugpferden untergebracht. Im Gegensatz zur Enge auf dem Kasernengelände in München-Oberwiesenfeld gab es südlich des Neuen Schlosses viel freies Gelände zum Fliegen und obendrein einen Eisenbahnanschluss. Die Münchener Zeitung berichtete am 16. April 1912: „Münchner Flugzeugindustrie. Von dem Militärflugplatz aus ist Oberleutnant Graf Wolfskeel heute morgen bei sehr böigem Winde nach Schleißheim geflogen und dort vor dem neu errichteten Schuppen glatt gelandet. Es ist dies das erste Militärflugzeug, das in Schleißheim stationiert sein wird; es wurde vollständig von den Flugzeugwerken Otto hergestellt." Waren es am Anfang nur drei Zelte zur Unterbringung der Aeroplane, so begannen noch im selben Jahr umfangreiche Planungen für den weiteren Ausbau der Anlage. Zunächst entstand an der Nord-West-Ecke des Platzes ein massiv gebautes Werkstättengebäude mit Wache (Kommandantur), an das links und rechts zwei Flugzeughallen aus Holz mit einer Länge von 90 bzw. 180 Metern angrenzten. Die Soldaten wurden notdürftig in der Schwaige einquartiert. Durch die ständige Erhöhung des Personals wie auch der steten Ausweitung der militärischen Aktivitäten, mussten dringend notwendige Neubauten folgen. Zwischen Mai 1913 und Juli 1914 errichtete man zwei Kasernen und ein Wirtschaftsgebäude (Kantine), ein Offiziersübernachtungsgebäude, eine Kraftwagenhalle und ein Stallgebäude sowie zwei weitere Flugzeughallen (C und D). Durch die Nachbarschaft zu den Wittelsbacher Schlossbauten sollten die militärischen Anlagen nur ein Provisorium sein – ein gewaltiger Irrtum. Die Königlich-Bayerische Fliegertruppe bildete innerhalb des deutschen Bundesheeres einen in sich geschlossenen Apparat mit selbstständiger Verwaltung unter der Militärhoheit des bayerischen Königs. Dies war möglich, weil sich Bayern in den Versailler Verträgen vom 23. November 1870 neben vielen anderen Eigenständigkeiten, etwa beim Post- und Bahnverkehr, auch ein eigenes Militärwesen vorbehalten hatte. Die tödlichen Schüsse auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 (Sarajewo) führten wenige Wochen später zu der bis dahin größten militärischen Auseinandersetzung: Am 1. August 1914 trat Deutschland in den Ersten Weltkrieg ein. Auch Bayern machte mobil. Das Flieger-Bataillon in Schleißheim wurde in die Flieger-Ersatz-Abteilung (FEA) umgewandelt. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es u.a. dazu: „Mit Musik ging es nachts zum Bahnhof. Noch ein Hoch auf die scheidenden Abteilungen und als Erwiderung eins auf das alte, liebe Fliegernest Schleißheim; dann rollte der Zug in die Nacht hinaus, dem Feind entgegen." Vom Schleißheimer Flugplatz aus rückten am 6. August 1914 ins Feld: die Flieger-Abteilung 1 b unter Leitung von Hauptmann Rudolf mit sechs Otto-Doppeldeckern; die Flieger-Abteilung 2 b unter Leitung von Rittmeister Graf Wolfskeel von Reichenberg mit sechs Doppeldeckern der LVG (Berliner Luftverkehrsgesellschaft) und die Flieger-Abteilung 3 b unter Leitung von Hermann Pohl mit sechs LVG-Doppeldeckern. Gemäß Geheimabkommen marschierten die bayerischen Armeekorps I – III zusammen mit dem I. bayerischen Reservekorps und der 1. bayerischen Kavalleriedivision als 6. Armee unter dem Oberbefehl von Kronprinz Rupprecht nach Lothringen. Jedem der Korps war eine Flieger-Abteilung zugeordnet. Nach dem Abschluss der Mobilmachung hatte die Flieger-Ersatz-Abteilung am 10. August 1914 an Personal: 25 Offiziere (davon 3 Flugzeugführer), 1 Sanitätsoffizier, 2 Beamte, 25 Unteroffiziere (davon 3 Flugzeugführer), 258 Mannschaften (davon 1 Flugzeugführer) und 2 Zivilisten. Verfügbares Material: 14 Otto-Doppeldecker (davon 10 nicht kriegsbrauchbar), 1 Farman-Doppeldecker und 6 LVG-Doppeldecker sowie zu Schulungszwecken 11 Otto-Doppeldecker und 1 (Etrich-)„Taube". Bei Kriegsbeginn waren vor allem Aufklärungsflüge gefordert, die mittels Fliegerkameras oder durch Augenbeobachtung wichtige Informationen über die feindlichen Stellungen und Truppenbewegungen lieferten. Die bayerischen, wie auch die preußischen Fliegerformationen mussten sich schnell den sich permanent ändernden Teaktiken der Gegner anpassen. Die Maschinen wurden schneller und technisch raffiniertet – am Himmel entstand ein neuer Kriegsschauplatz. Das führte unter anderem zur Bildung von Artillerie-Fliegerabteilungen sowie zu Schutz- (Schlacht-), Kampf-, Jagd- und Bombenstaffeln. 1916 ordneten Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und Generalquartiermeister Erich Ludendorff, beide mit der eigentlichen militärischen Gesamtleitung des Krieges beauftragt, die totale Mobilmachung im Reich an. Daraus entstand noch im selben Jahr das sogenannte Hindenburgprogramm, dem 1917 das „Amerikaprogramm" folgte (nach dem Kriegseintritt der USA am 6. April 1917). Für Schleißheim führten beide Initiativen zu einer Kapazitätsausweitung mit einer gigantischen Neuplanung. Inzwischen war die Aus- und Weiterbildung für das fliegende Personal auf dem Schleißheimer Flugplatz an ihre Grenzen gestoßen. Es kam zur Gründung der Fliegerschule No. 2 in Lachen-Speyerdorf (Rheinpfalz), No. 3 in Fürth, No. 4 auf dem Lager Lechfeld, No. 5 in Gersthofen nördlich von Augsburg, No. 6 in Bamberg, No. 7 in Germersheim (Rheinpfalz). Außerdem wurden Flugplätze in Grafenwöhr, Kaiserslautern, Kitzingen und Würzburg geplant oder gebaut. Im September 1917 wurde zusätzlich in Sonthofen eine Gebirgs-Übungsfliegerabteilung für den Einsatz im Alpengebiet in Dienst gestellt. Am 1. Dezember 1917 nahm eine zweite Flieger-Ersatz-Abteilung (FEA II) in Fürth ihren Betrieb auf. Ab Sommer 1917 wurden in Schleißheim für die oft mehr als 100 flugfähigen Maschinen entlang der Ostflanke des Platzes vier neue Normalflugzeughallen sowie für das neu entwickelte Großflugzeug „Friedrichshafen G III" eine Großflugzeughalle errichtet. Mit außerordentlicher Kraftanstrengung begangen 1918 die Arbeiten an einer neuen Werft mit einer Länge von 51,4 m und einer Breite von 27,5 m. Parallel zum zähen Ringen an allen Frontabschnitten herrschte auch auf dem Schleißheimer Flugplatz emsiges Treiben. Da ging es zum einen um die Ausbildung von Flugzeugführern, Funkern und Beobachtern. Zum anderen gab es einen Artillerie-Einschießraum, einen Übungssaal für den Bombenabwurf , eine Flieger-Funkerschule, einen Maschinengewehr-Stand und eine Lichtbildstelle. Auch der Infanterieflug wurde praktisch geübt. Unterkunfts- und Kanzleiräume standen im letzten Kriegsjahr allein in Schleißheim für über 3000 Mann bereit. Im August 1917 startete von Schleißheim aus in drei Sonderzügen die Fliegerabteilung 304 b. Ziel dieses als „Unternehmen Pascha" bezeichneten Einsatzes war es, die mit dem Deutschen Kaiserreich verbündeten Türken in Palästina zu unterstützen. Dieser Feldzug zeitigte zwar nur wenige kriegerische Erfolge, dafür aber brachten die Flieger fast 3000 gestochen scharfe Fotos mit. Das Waffenstillstandsabkommen der Alliierten mit Deutschland am 11. November 1918 bedeutete das Ende des Ersten Weltkriegs. Völkerrechtlich fand die Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages am 28. Juni 1919 im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles statt In dem ab 10. Januar 1920 in Kraft getretenen Friedensabkommen bestimmten die Paragraphen 198 und 202: „Die bewaffnete Macht Deutschland darf keine Land- oder Marineluftstreitkräfte unterhalten… Alsbald nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages ist das ganze militärische und maritime Luftfahrzeugmaterial auszuliefern." Das hatte die Ablieferung oder Zerstörung aller deutschen Militärflugzeuge, die Auslieferung fast aller Flugzeughallen und die Einstellung des militärischen Flugbetriebes in Schleißheim zur Folge.Am 8. Mai 1920 wurde die bayerische Fliegertruppe offiziell aufgelöst und am 31. März 1921 auch das bayerische Kriegsministerium abgeschafft. Doch der Flugplatz blieb bestehen und erlebte noch eine wechselvolle Nutzung – er ist heute einer der ältesten noch bestehenden Flugplätze in Deutschland. Er beherbergte unter anderem die Deutsche Verkehrsfliegerschule (DVS), diente den Nationalsozialisten als Luftwaffen-Fliegerhorst, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von den US-Truppen besetzt und war von 1958 bis 1981 Standort für Heeresflieger der Bundeswehr. 1964 verlegte der Bundesgrenzschutz eine Hubschrauberstaffel auf den Südteil des Platzes. Für den Höhepunkt sorgte allerdings das Deutsche Museum: 1992 eröffnete es dort eine Zweigstelle als Teil des Zentrums für die Geschichte der Luft- und Raumfahrt. (Otto Bürger)

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