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Großvater und Vater hatten es ins Münchner Großbürgertum geschafft – von Joseph Ruederer wurde gleichermaßen Geschäftstüchtigkeit erwartet. Doch schon seine erste eigene Firma machte in Nullkommanichts Bankrott – der Vater war auch noch sein Konkursverwalter. Ruederer stieg aus – und wurde freier Schriftsteller. (Foto: dpa)

18.09.2015

Hassverliebt in München

Abrechnung mit der Gesellschaft: Vor 100 Jahren starb Joseph Ruederer, dessen Satiren noch immer aktuell sind

"Ich bin kein Mensch für die Masse. Ich sage zu viele Wahrheiten, auch ungute. Man wird mich übergehen, vielleicht vergessen. Aber es kommt der Tag, wo man mich hervorholt.“ Ja, er sollte  im Prinzip recht bekommen: Josef Ruederer zählte zwar um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert neben Ludwig Thoma und Ludwig Ganghofer zu den Gallionsfiguren der bayerischen Literaten – im Gegensatz zu seinen Kollegen ist Ruederer allerdings heute weitgehend unbekannt. Immerhin wurde sein 1907 erstmals erschienenes Buch Münchener Satiren vor wenigen Jahren in der edition monacensia neu herausgegeben. Es mag überraschen: Über weite Strecken ist es hochaktuell geblieben. Um Josef Ruederers Werk zu verstehen, muss man sich seinen Werdegang anschauen. Am 15. Oktober 1861 wurde er am Rindermarkt in einem stattlichen Bürgerhaus mitten in München geboren. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie. Sein Vater war Spezereigeschäftsinhaber, Großhandelskaufmann und Bankier, heiratete in eine vermögende Bierbrauerfamilie ein und war an der Gründung der Löwenbrauerei beteiligt. Sein Sohn sollte ein ebenbürtiger Nachfolger werden. Nach dem Besuch des humanistischen Wilhelmsgymnasiums vermittelte der Vater eine Volontärstelle bei der Bayerischen Handelsbank und nach dem Militärdienst ein Praktikum bei einer Kreditgesellschaft in Coburg. In Berlin setzte Josef dann seine Ausbildung mit einem weiteren Volontariat bei einer Bank und dem Studium der Nationalökonomie fort; er schloss mit einer Promotion ab. Als ein Stahlwerk, dessen Teilhaber er war, bankrott machte, verlor er einen Großteil seines Kapitals. Von nun an lebte er als freier Schriftsteller in München und Umgebung – ganz und gar nicht zur Freude seines Vaters, von dem er nun bis zu dessen Tod im Jahr 1907 finanziell abhängig war. Dann erbte Ruederer ein großes Vermögen. In seinem München-Buch kommentierte Ruederer seine schulische und berufliche Karriere folgendermaßen: „Ich war nämlich ein fauler Kerl, ging viel lieber ins Freie als in die Schule, noch lieber ins Theater. Mein Vater trieb ein Geschäft, das eigentlich nicht ahnen liess, wie tief der Sohn sinken sollte. Er war Kaufmann… und wollte aus mir einen brauchbaren Menschen machen. Da mir die Herren Professoren auf dem Gymnasium einen Vierer nach dem anderen im Deutschen verabreichten, war ich berechtigt, schon damals ein ausgesprochenes Talent zur Schriftstellerei in mir zu vermuten.“ Und weiter: „Auch ich sollte Kaufmann werden; Hochöfen sollte ich bauen… In dieser Branche hatte ein Mann ein System erfunden…, Dreck in Gold zu verwandeln. Eine epochale Erfindung… Nur dass sie bei mir im entgegengesetzten Sinn wirkte. Ich war nicht Fachmann genug oder zu sehr zerstreut: ich warf oben die Zwanzigmarkstücke hinein und zog unten den Dreck heraus. Zum zweitenmal war somit der Beweis erbracht, dass ich zum Schriftsteller ein ausgesprochenes Talent besass.“ Josef Ruederer war ein kritischer Geist. Kein Wunder, dass er sich in München der „Sezession“ anschloss und für die Zeitschriften Jugend und Simplicissimus tätig war. Er engagierte sich beim Kabarett „Die elf Scharfrichter“ und gründete zusammen mit Max Halbe die „Nebenregierung“, an der sich auch Oskar Panizza, Lovis Corinth oder Frank Wedekind beteiligten. Die Gruppe sah sich als Gegenbewegung zu den etablierten, konservativen Münchner Künstlerkreisen. Erfolg bei Kritikern wie Lesern konnte Ruederer – seine ersten Veröffentlichungen, Verserzählungen, waren weitgehend unbeachtet geblieben oder abgelehnt worden – 1894 mit seinem ersten Roman Ein Verrückter verzeichnen. Er beschreibt darin die Rebellion eines unbeugsamen Lehrers gegen die doktrinäre Ortsgeistlichkeit. Noch stärkeres Aufsehen erregte sein Theaterdebut. In dieser viel gespielten Komödie Die Fahnenweihe“ von 1895 stellte er die Korruption und Vetternwirtschaft in einem aufstrebenden oberbayerischen Kurort bloß. Schon in seinen ersten Publikationen hatte Ruederer das Thema seiner Dichtung gefunden, die Abrechnung mit der Gesellschaft. Es folgten düster-groteske Erzählungen, veröffentlicht in den Büchern Tragikkomödien und Wallfahrer-, Maler- und Mördergeschichten. Mit der Lola Montez-Komödie Die Morgenröte (1904) entlarvte Ruederer die Hintergründe der Revolution von 1848 in München. 1909 erschien die surreale Erzählung Das Grab des Herrn Schefbeck. Darin bleibt der bei einer Tarockpartie vom Schlaganfall getroffene Titelheld nach seinem Tod bei vollem Bewusstsein und erlebt seine eigene Beerdigung in der stattlichen Familiengruft am Südfriedhof mit. Nachdem die Witwe das Erbe verjuxt hat, verkauft sie die Grabstätte am Prominentenfriedhof und lässt den Gatten exhumieren. Dieser darf sein zweites Begräbnis miterleben, diesmal am billigeren Ostfriedhof. Von seinen zahlreichen Satiren wurde sein München-Buch das bekannteste – aber auch das umstrittenste. Einerseits ist dieser außergewöhnliche Stadtführer voller Humor und zeugt von tiefer Heimatliebe. Andererseits übt er unverhohlen bissige Kritik an der (Münchner) Gesellschaft. Er kritisiert die katholische Kirche, die Zentrumspartei wie die Liberalen und das „Spezltum“, das in München das Sagen hat. Selbstironisch räumt der Dichter ein, dass auch er zu der „Loabitoaggesellschaft“ gehört, über die er sich lustig macht. Ruederer war zerrissen zwischen heftiger Abneigung und tiefer Verbundenheit zu seiner Heimatstadt. „Was setzen die Münchner von einem voraus, der über ihre Stadt schreibt? Dass er gut schreibt, dass er lobt. Also etwa: München, die unvergleichliche Stadt, gelegen am Fusse der Alpen, mit seiner intelligenten Bevölkerung, seiner berühmten Strassenreinigung, seiner immerwährenden Kanalisation, München, die Stadt des trefflichen Wassers, München die Stadt der Kunst etc. so muss es klingen.“ Er widersetzte sich solchen Erwartungen der Leser... (Eva Meier) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der September-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 38 vom 18. September 2015)

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