Unser Bayern

Die offizielle, von Friedrich August von Kaulbach entworfene Festkarte zum Heckenrosentag 1912 (oben) traf nicht jedermanns Geschmack. (Foto: Archiv)

27.07.2012

Im Blütentaumel

Margeriten, Heckenröschen und Anemonen für den guten Zweck: Die "Blümchentage" in München

Auch München, die Stadt der Wohltätigkeit, blieb nicht zurück hinter den anderen Städten, die ihren Blumentag hatten. Genau 40 Jahre, nachdem der Friede zwischen dem neuerstandenen Deutschen Reich und Frankreich geschlossen wurde, beging München seinen ersten Margeritentag", konnte der geneigte Leser im Frühjahr 1911 in einer Zeitung lesen. Bereits im Jahr davor waren die ersten Blumentage in verschiedenen deutschen Städten zugunsten der bedürftigen Jugend oder der Krankenpflege veranstaltet worden – Sammlungen, bei denen vor allem künstliche Blumen verkauft wurden. Und nun also war der erste Blumentag in München: der Margeritentag. Der Heckenröschentag sollte ein Jahr später folgen. Und der Blumentag, bei dem die Anemone im Mittelpunkt stand, 1913. Dann kam der Erste Weltkrieg und die Blumentage gehörten der Vergangenheit an. Einen Kornblumentag, wie in einigen norddeutschen Städten, gab es in München nicht. Diese Blüte galt als preußisch. Im selben Jahr wie in München wurde auch in Regensburg unter der Schirmherrschaft von Margarethe von Thurn und Taxis ein Margeritentag abgehalten, in Bayreuth, Bad Neustadt an der Saale, Berchtesgaden, Göttingen, Leipzig, Lübeck, Berlin und vielen anderen Städten. Die Termine jedoch waren verschieden. Die Margerite, als „weiße Blume der Barmherzigkeit" war von den Organisatoren bewusst gewählt worden. Vor allem die Krankenpflege sollte durch die Spendengelder verbessert werden. Dafür engagierte sich das Veranstaltungskomitee, dem vornehmlich die Honoratioren der Stadt angehörten. Sie waren für den reibungslosen Ablauf, die Bestellung der Blumen und schließlich auch für die sachgemäße Verteilung des Erlöses verantwortlich. Schon vor dem eigentlichen Margeritentag machte sich in München ein regelrechter Margeriten-Wahn breit. Tagelang berichteten die Zeitungen über den Massenansturm im Alten Rathaus, wo die Blumen in großen Mengen verkauft wurden: 100 Stück zu 2,50 Mark. Über eine Million war bereits am Vortag verkauft. Die Münchner nahmen stundenlange Warteschlangen in Kauf. Schutzleute wurden angefordert, um dem Gedränge Herr zu werden. Zum eigentlichen Margaritentag waren die Blüten längst vergriffen – abgesehen von 400 000, die für den Straßenverkauf reserviert worden waren. Doch in der Früh wurden noch einmal 200 000 künstliche Margeriten abgegeben, die am Abend vorher aufgrund telegrafischer Nachbestellungen mit Schnellzügen aus der „Seidenblumenstadt" Sebnitz bei Dresden, aus Regensburg und anderen Orten eingetroffen waren. Die Nachfrage überstieg bei weitem die vorhandenen Vorräte und Erwartungen. Wenn noch weitere zu bekommen gewesen wären – man hätte leicht noch einmal eine Million Blüten aus Papier absetzen können. Zwei Millionen waren ohnehin verkauft worden. Dann kam der eigentliche Sammeltag, der 10. Mai 1911. Erstaunlicherweise war es kein Sonntag, sondern ein Mittwoch. Paarweise zogen junge Mädchen „aus besten Kreisen" durch die Stadt, jede mit einem Korb voller Margeriten. Da es ein Wochentag war, gingen die „Berufsmenschen" als erste den Blumenmädchen „ins Netz". Es war für die höheren Töchter eine gute Gelegenheit, sich einmal frei in den Straßen der Stadt zu bewegen, ohne Gouvernante oder Anstandsdame. Scharenweise fielen sie in Ämtern und Geschäften ein und machten reiche Beute. Kaum jemand wurde ohne Blüte gesichtet. Es war ein herrlicher Sonnentag. Die Stadt muss in Margeriten gehüllt gewesen sein. Überall in den Fenstern prangten die weißen und gelben Blüten. Die Geschäfte übertrafen sich gegenseitig im Schmuck ihrer Schaufenster. In Restaurants waren die Tische mit Sträußchen geschmückt, in einem Gartencafé sogar die Kastanienstämme mit Margeritengirlanden umwunden. Autos, Droschken, Radfahrer, Bierwagen, selbst der so genannte „Zeiserlwagen", der die Sträflinge in die Gerichtsgebäude beförderte, waren mit Margeriten dekoriert. Und das Generalkommando verfügte, dass an diesem Tag ausnahmsweise Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaft des Standorts München zur Uniform – im zweiten Knopfloch von oben, wie ausdrücklich angeordnet wurde – Margeriten tragen dürfen. Ein spezieller „Margeriten-Walzer" und ein Festmarsch wurden komponiert. Die Kinder vom Turnverein München von 1860 führten einen eigens einstudierten akrobatischen „Margeriten-Reigen" auf, Schauspieler und Sänger zogen durch die Lokale und gaben schauerlich-schöne Margeriten-Moritat zum Besten. Militärkapellen spielten auf verschiedenen Plätzen der Stadt und am Nachmittag zog ein prächtiger Autokorso vom Chinesischen Turm durch die Innenstadt. Etliche königliche Hoheiten und Spitzen der Gesellschaft waren mit von der Partie. Verschwenderisch waren die Wagen geschmückt – ein Blumenkorso, wie ihn München nicht oft erlebt hat. Prinzregent Luitpold machte eine Spazierfahrt in einem von Margeriten geschmückten Wagen, er trug ebenfalls eine Margerite im Knopfloch. Vorher hatte er schon eine namhafte Geldspende übergeben und angewiesen, dass sämtliche Hofequipagen mit Margeriten zu schmücken seien. Selbst in den Justizpalast verirrten sich die Blümchen. Nicht nur die Beamten trugen die Margerite im Knopfloch, sondern auch die Zeugen. Sogar die Angeklagten. Nach Meinung von Zeitgenossen stand das Treiben in den Straßen dem des Faschingsdienstags nicht viel nach. An den großen Plätzen, etwa vor dem Bahnhof, am Karlsplatz oder am Maxmonument waren Zelte mit „Blumenreservoiren" aufgeschlagen. Dort konnten die Blumenmädchen ihre leer gekauften Körbe erneut füllen. Im Wittelsbacher Palais war eine der Abgabestellen für die Sammelbüchsen. 50 Beamte der Königlichen Filialbank hatten sich zur Verfügung gestellt. Sie befreiten die Büchsen von ihren Plomben und zählten mühevoll das viele Kleingeld. Allein aus den Büchsen kamen rund 150 000 Mark zusammen. Der Margeritentag in München war ein voller Erfolg. Aber es gab auch kritische Stimmen. Im Vorfeld war von Seiten der Gewerkschaften Bedenken laut geworden, dass durch die billige Massenproduktion der Kunstblumen, die ohnehin schon niedrigen Löhne noch weiter gedrückt werden könnten. Heimarbeiterinnen bekamen in der Regel für die Anfertigung der Margeriten gewöhnlich einen Hungerlohn. Doch auch in dieser Hinsicht war man in München wohltätig. „Das Komitee des Margeritentages hat in Würdigung dieser Schundlöhne alle Lieferanten von Margeriten verpflichtet, diesmal den Heimarbeiterinnen das vierfache des üblichen Lohnes, also 20 Pfennig per Gros zu zahlen", wie die Zeitungen beruhigend meldeten. Dabei entsprach ein Gros einem Dutzend mal einem Dutzend, also 144 Stück. Dass sich einige Geschäftemacher an das Thema angehängt haben und etwa auf eigene Rechnung nichtoffizielle Festpostkarten verkauft haben, war nur eine unbedeutende Randerscheinung. Ebenso die Diskussionen verschiedenster gesellschaftlicher Gruppierungen. Einige wenige fürchteten gar eine sittliche Gefährdung der jungen Mädchen, andere kritisierten die Tatsache, dass ein Backfisch einem jungen Arbeiter eine Blume ins Knopfloch steckte, als Pose des „Hinabsteigens ins Volk", eine Idee, die auch Kurt Tucholsky in seinem 1911 veröffentlichten Gedicht „Blumentag" als überheblich anprangerte. Doch die meisten waren rundum mit dem Ergebnis zufrieden. Ein Jahr später hoffte man mit einem Heckenrosen- beziehungsweise Heckenröschentag an den Vorjahreserfolg anzuknüpfen. Der Erfolg wiederholte sich jedoch nicht. Die allgemeine Euphorie war verflogen, der Reiz des Neuen dahin. Zudem nahm der Tag – Donnerstag, der 22. Mai 1912 – einen ziemlich nassen Verlauf. Mit nur kurzen Unterbrechungen regnete es in Strömen. Die Blumenmädchen hatten ihre liebe Not, die Waren an den Mann respektive die Frau zu bringen. Kaum ein Passant blieb stehen, um ein Geldstück in die Sammelbüchsen zu stecken. Auch der Autokorso fiel weitestgehend ins Wasser. Dieses Mal hatte man vorsorglich 2,2 Millionen Kunstblumen in 16 ortsansässigen Geschäften anfertigen lassen, die dann gar nicht alle abgegeben werden konnten. Der Vorverkauf war in die Schrannenhalle am Viktualienmarkt verlegt worden. Der Andrang war groß, reichte jedoch bei weitem nicht an den Vorjahreshype heran. In den Zeitungen gab es nur noch vereinzelt Hinweise. Obendrein scheint die gewählte Blume diesmal nicht das Wohlgefallen aller Berichterstatter gefunden zu haben: „Heckenröschen, das klingt etwas neckisch. Und neckisch wie der Name sind auch die papierenen Blumen gewesen, die heute überall prangten, nicht immer zum Schmuck der Auslagen, die sie zieren sollten, denn wo nicht besonderer Geschmack sie anordnete, da schauten sie – um es ehrlich zu sagen – etwas kitschig aus." Von den diesmal über 2000 bereitgestellten Sammelbüchsen war nur ein Teil im Umlauf. So kam lediglich ein Erlös von rund 70 000 Mark zusammen, obwohl man mit den von Paul Otto Engelhard entworfenen Siegelmarken und den Festpostkarten ein vorzügliches Geschäft machte. Die einzige offizielle Postkarte, entworfen von Friedrich August von Kaulbach, war nur bei den Verkäuferinnen am Heckenrosentag zu haben, nicht aber in Schreibwarengeschäften. Man hatte insgesamt fast 200 000 Stück drucken lassen. Die meisten waren schon am Vormittag verkauft. Und das, obwohl sie nicht jedermanns Geschmack getroffen hatten. Erhitzte Gemüter, rege Diskussionen: Die Darstellung eines nackten Knaben mit reichlich Babyspeck! Empörend! Und so konnten die Trittbrettfahrer mit inoffiziellen Karten noch größere Geschäfte machen als im Vorjahr Während der Margeritentag zum Besten der Jugendfürsorge in den Krankenhäusern 1911 die Zeitungen beherrscht hatte und das Interesse ein Jahr später beim Heckenröschentag zu Gunsten des Rettungsdienstes der Stadt schon merklich abgekühlt war, nahm man vom Hilfstag 1913 kaum noch Notiz. „Der heute Samstag, 7. Juni, stattfindende Blumentag steht bekanntlich unter dem Zeichen der Anemone und gilt dem Kampf gegen die Tuberkulose. Er verdient seines Zweckes wegen mindestens die gleiche, wenn nicht größere Beachtung als seine der Krankenfürsorge im allgemeinen gewidmeten Vorgänger." Soweit der sachliche und einzige Bericht zum Blumentag anno 1913 etwa in der Ingolstädter Zeitung. Spaltenlange Berichte über die Feierlichkeiten und die glänzenden pekuniären Erfolge las man nicht mehr. Die Anemonen – das Hundert zu vier Mark – konnten wieder im Rathaus bestellt und später in der Schrannenhalle abgeholt werden. Der Andrang hielt sich in Grenzen. Zwar fanden erneut verschiedene Veranstaltungen und Standkonzerte statt; auf einen Korso verzichtete man. Nur der nunmehrige Prinzregent Ludwig, der spätere König Ludwig III., ließ es sich nicht nehmen, mit einem geschmückten Wagen durch die Stadt zu fahren. Der Blumenverkauf war mäßig. Zudem regnete es wieder einmal den lieben langen Tag. Vielfach wurde der Straßenverkauf der Blumen nur noch als lästige Bettelei empfunden, weswegen sogar als Neuheit ein Enthebungszeichen angeboten wurde. Der Träger der extra geprägten kleinen Metalltäfelchen, die für eine Mark zu erstehen waren, durfte nicht mehr um Blumenkauf angegangen werden. Diese Zeichen fanden reißenden Absatz. Ebenso die offiziellen Festpostkarten von Ludwig von Zumbusch, Carl von Marr und Ludwig Hohlwein. In den folgenden Jahren verzichtete man auf spezielle Blümchentage. Im Ersten Weltkrieg hatte man andere Sorgen. Der wohltätige Blumenverkauf wurde mit anderen Sammlungen kombiniert, häufig im Zusammenhang mit den Kriegsauswirkungen: Das bedeutet das Ende der offiziellen Blumentage. Die Tradition der Straßensammlungen jedoch riss nicht ab und konnte meist dann die Bevölkerung besonders begeistern, wenn etwas Neues geboten wurde. Man denke nur an die Zeichen des Winterhilfswerks im Dritten Reich. Vereinzelt gab es zwar auch nach dem Zweiten Weltkrieg kleine Kunstblumen als Zeichen der Spende, etwa anlässlich der alljährlichen Sammlungen für das Müttergenesungswerk. Doch die Begeisterung, die anlässlich des Margeritentags ganz München erfasst hatte, gab es nie mehr wieder.  (Cornelia Oelwein)

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