Unser Bayern

Ein Fenster im Alten Rathaus von Herzogenaurach zeigt einen Tuchscherer bei der Arbeit. Die Glasmalerei aus dem Jahr 1940 (hier ein Ausschnitt)stammt von der Firma Bringmann & Schmidt aus Coburg. (Foto: Welker)

24.05.2018

Im Takt der Webstühle

Bevor Herzogenaurach berühmt für Sportschuhe wurde, war es eine fränkische Hochburg der Tuchmacherei

Bevor in Herzogenaurach die Schuhindustrie das Gesicht der Stadt prägte, bestimmten die Tuchmacher und das Klappern ihrer Webstühle den Takt der Stadt. Dieser Berufszweig ist schon frühzeitig zu belegen. So taucht im Rechtsbuch des Bamberger Fürstbischofs Friedrich von Hohenlohe aus dem Jahr 1348 ein „Wollenslaher“ als Familienname auf. 1355 ist die Zunftordnung für die Tuchmacher (wollenslaher) bezeugt. In der Herzogenauracher Stadtordnung aus dem Jahr 1382 finden sich Vorschriften für Tuchmacher und Weber niedergeschrieben. Der Bamberger Fürstbischof Anton von Rotenhan (1431 bis 1459) erließ am 6. März 1447 ein „Gesetz der verbere zu hertzogenaurach“, also eine Gewerbeordnung für Tuchfärber.

Neue Mühlen fürs Walken

Namen wie Rahmberg, Wiwaweiher und Tuchmachergasse sind auf diesenGewerbszweig zurückzuführen. Auch der Familienname Welker, teilweise als Wellcker, Weleckher, Wellacher geschrieben, rührt von „walken, der Walker“ her. Ebenso gehen Hausnamen wie „Färber“ auf diesen starken Berufszweig zurück. In Herzogenaurach wurden die ersten Tuchrahmen bereits 1451 genannt; 1487 der Romgarten (= Rahmberg). Dort herrschte reger Betrieb, wenn die Tücher nach dem Walken und Waschen zum Trocknen aufgespannt wurden. Die Meister mussten für jede „Rahm“ (Rahmen) jährlich 3 Pfund als Zins reichen. Zur Weiterverarbeitung der gewebten Tücher wurde 1519 eine Tuchwalke in der Stadtmühle eingerichtet. 1567 bewilligte der Bamberger Dompropst Michael von Lichtenstein, dass die Färber und Tuchmacher von Herzogenaurach eine Walkmühle (die Neumühle) unter dem Dorf Büchenbach an der Regnitz einrichten durften. Tuchwalken finden sich 1541 in der Eichelmühle und 1590 in der Niederndorfer Mühle erwähnt, 1774 in der Eckenmühle und in der Heinrichsmühle. Damit wurde offensichtlich dem starken Anstieg der Tuchproduktion in der Stadt Rechnung getragen.

1761 waren 36 Meister beziehungsweise Meisterswitwen in der Zunft der Tuchmacher eingeschrieben. Franz Adolph Schneidawind lieferte in einer Beschreibung ein Bild der Tuchmacher in Herzogenaurach für das Jahr 1785. Die Anzahl der Betriebe war zwar zurückgegangen, das Handwerk verzeichnete aber immer noch 26 Meister mit so bekannten Namen wie Dassler, Fischer, Welker, Wirth und Zimmerer. Sie verarbeiteten im Jahr 1785 mit Hilfe von 42 Gesellen und 184 Spinnern insgesamt 638 Zentner Wolle. Bei 30 Gulden pro Zentner im Einkauf, stellten sie 923 Stück Flanell her, das Stück zu 20 Gulden, beim Verkauf wurden insgesamt 18 460 Gulden erzielt. Im gesamten Jahr stand dem Einkauf in Höhe von 19 140 Gulden der Verkaufserlös in Höhe von 33 556 Gulden gegenüber. „Die Herzogenauracher Tuchmacher gewannen hiemit in diesem einzigenJ ahre [1785] dem Staate die Summe von 14 416 fl. [Gulden].“, resümierte Schneidawind diesen positiven Geschäftsvorgang für das Hochstift Bamberg.

Johann Kaspar Bundschuh griff in seinem Lexikon von Franken im Jahr 1800 die Zahlen von Schneidawind auf und vermerkte zu Herzogenaurach: „Blühend sind die Tuchmanufakturen. Sie verarbeiten meistentheils ausländische Wolle, die sie aus dem Ansbachischen, Bayreuthischen, Ritterschaftlichen, Schwarzenbergischen und Deutschordischen beziehen. Die Verarbeitung derselben geschieht theils für einheimisches Bedürfnis, theils für Fürther, Erlanger und Nürnberger Abnehmer. Gegen 30 Meister geben mehr als 200 Menschen Arbeit, die sie theils als Gesellen halten, theils als Spinner fördern. Der jährliche Einkauf steigt auf 19-20 000 fl. Der Werth der jährlich daraus verarbeiteten Tücher, Flanelle, Friese, Voy und Multon, besonders aber des aus Wolle gesponnenen feinen Garnes, beträgt an 33-34 000 fl. Diese industriöse Staatsbürgerklasse gewinnt also dem Lande jährlich über 15 000 fl. Die Tücher werden größtentheils in Nürnberg abgesetzt, in welcher Stadt die Herzogenauracher Tuchmacherzunft das Recht hat, wochentlich 3 Tage mit ihren Tüchern feil zuhaben.“

Ähnlich schrieb Johann Baptist Roppelt 1801 zu Herzogenaurach: „Die Einwohner haben unter andern einen großen Verdienst durch Wollenspinnen, sowohl für dasige, als auch für die Erlanger, Fürther und Nürnberger Fabriken, und man zählt 30 Tuchmacher und Zeugmacher ...“ In den Jahrbüchern der Stadt Herzogenaurach für 1835 und 1836 findet sich das Gewerbsrecht für verschiedene Betriebe aufgelistet, die eine unterschiedliche Anzahl von Mitarbeitern beschäftigt hatten. Danach gab es drei Färber, 13 Leinenweber (stellten ausschließlich Leinwand her), 56 Tuchmacher (stellten ausschließlich fein gewalkte und geraute Wollgewebe her), 17 Zeugmacher (Handwerker, die reine Schafwolle verarbeiteten) und bereits zwei Maschinen-Wollenspinnereien.

Auf Wanderschaft

Die Zunftordnung schrieb für die Tuchmacher bis zu vier Lehrjahre vor. Erst danach konnte der frischgebackene Geselle auf Wanderschaft gehen. Erhaltene Wanderbücher zeigen, dass die Herzogenauracher Tuchmacher nach Sachsen, Böhmen und Österreich walzten (zu Fuß) und vor allem in der Winterszeit mehrere Wochen bei einem Meister in Arbeit standen. Nach ein oder zwei Jahren kamen sie in ihre Heimatstadt zurück, wo sie das Meisterrecht erwarben und um das Bürgerrecht nachsuchten. Es gab Ausnahmen: So war der Tuchmachergeselle Jakob Luhmayer (1798 geboren), von 1820 bis 1852 ständig in der Fremde.

Die Tuchmacher, die den größten Anteil in diesem Handwerkszweig stellten, hatten zwar keine eigenen Zunftstäbe, aber sie stifteten einen Kronleuchter bzw. Meisterleuchter in die Stadtpfarrkirche. Noch im Jahr 1866 wurde eine neue, hellblaue Zunftfahne geweiht. Durch die Vorsteher Philipp Bauer und Werner Wirth wurden aus Lyon die benötigten 96 Ellen Stoff á 7 fl. 30 kr. über Nürnberg bezogen und am 22. Mai 1866, am dritten Pfingstfeiertag, von mehr als 50 Meistern begleitet in die Stadtpfarrkirche getragen, wo sie Stadtpfarrer Michael Störcher segnete.Noch in Leuchs Adressbuch sind für den Zeitraum um das Jahr 1886 rund 100 Tuch- und Zeugmacher angegeben.

Glasflanellfabriken betrieben Jac. Adler, E. Leissner, Fr. Roppelt, Franz Schürr, Val. Welker, Gg. Wirth und W. Wirth. Mit diesen Stoffen wurden die in Fürth hergestellten Spiegel für den Transport bruchsicher verpackt. Filztuch, Joppenstoff, Decken- und Schweizerloden stellten die Fabriken von Michael Galster Junior (gegründet 1836), August Fischer (mit der Spezialität Schweizerloden; gegründet 1840), Johann Galster, Georg Kaiser (gegründet 1843), Josef Peetz, Heinrich Peetz, August Wirth (gegründet 1864) und Christ. Wirth (gegründet 1861), her. Unter Flanelle-, Joppenstoff, Decken- und Schweizerlodenfabrik finden sich verzeichnet: F. I. Daigfuss (gegründet 1853), Adam Dickas (gegründet 1820), J. G. Finch (gegründet 1867), Heinrich Kaiser (gegründet 1861), Alois Welcker und Johann Zimmerer (gegründet 1848). Flanellfabriken betrieben Johann Daigfuß, August Dassler (gegründet 1856), Georg Dummer, Adam Dummer und Johann Zimmerer. Unter Wollenspinnereien mit Walk- und Raumaschine finden sich F. Bitter & Co. (wasserbetrieben, gegründet 1852), F. I. Daigfuss & Co (gegründet 1872), Fr. Mayer & Co (dampfbetrieben, gegründet 1881), M. Seeberger & Co (gegründet 1832), August Wirth & Co (gegründet 1866). Noch im Jahr 1897 schrieb Wilhelm Götz in seinem Handbuch von Bayern: „... die Tuchmacherei beschäftigt noch viele, besonders die Herstellung von Filzschuhen, für welche auch 1 Fabrik vorhanden ist; desgl. gibt es mehrere Streichgarnspinnereien und Färbereien“. Dabei handelt es sich vermutlich um Dickas und Compagnie, errichtet im Jahr 1881 an der Würzburger Straße. Der Wandel von der Tuchmacher- zur Schuhmacherstadt begann sich abzuzeichnen.

Eine Zäsur brachte der Erste Weltkrieg für die Tuchmacher in Herzogenaurach. Solange die Fabriken der örtlichen Tuchindustrie gut ausgelastet waren, verdienten sie auch als Zulieferer für das Deutsche Heer gut. Aber im Verlauf des Krieges musste die Wollwarenfabrik Wirth und Söhne schließen.

Ähnlich erging es einem Tuchmacherkonsortium auf der Eichelmühle. Dort war bereits 1833 eine Spinnerei eingerichtet worden. Am 18. April 1902 wurde der Gesamtbesitz von Johann Kaiser und Konsorten um 23 000 Mark an ein Tuchmacherkonsortium, bestehend aus Heinrich Galster, Michael Dassler, Michael Anton Dickas, Johann Dummer junior und Johann Dummer senior verkauft. Im Kataster findet sich vermerkt: „Die Eichelmühle mit der radizierten Mühlgerechtigkeit auf zwei Gängen, dann angehängter Walzmühle und Walke mit einem Triebrad und angebauter Radstube. Ein zweistöckiges Wohnhaus, abgesonderter Stadel mit hierin befindlichen zwei Stallungen, alleinstehendes Farbhaus, Brunnen, Backofen und Hofraum.“ Im Jahr 1917 löste sich diese Tuchmachergenossenschaft auf der Eichelmühle auf. Auf Betreiben von Pater Cyprian Fröhlich wurde die Mühle durch das Seraphische Liebeswerk in Altötting für das Liebfrauenhaus erworben, um Strom zu erzeugen. Im Jahr 1970 brach man die Mühle wegen Baufälligkeit ab.

In der Nürnberger Rüstungsindustrie fanden 95 Arbeiter aus Herzogenaurach im Jahr 1917 Arbeit, gegenüber 31 im Jahr 1913. Der Herzogenauracher Lokalhistoriker Luitpold Maier berichtete dann im Jahr 1928, dass die Tuchmacherei als Handarbeit bereits seit zehn Jahren ausgestorben sei. Seitdem wurde sie in Herzogenaurach nur noch fabrikmäßig betrieben.

Vom Handwerk zur Fabrikfertigung

1499 wurde erstmals die Familie Wirth im Zusammenhang mit der Tuchmacherei erwähnt. Unter den nur zehn Eingeschriebenen im neu angelegten Meisterbuch (1669 bis 1699) finden sich allein vier mit dem Namen Wirth: Hans der Ältere 1669, Franz 1671, Hans der Mittlere 1679 und Hans der Jüngere 1697. Im Jahr 1872 entstand schließlich die Wollwarenfabrik Firma Wirth & Söhne, die 1873 und 1882 auf der Bayerischen Landesausstellung für ihre Erzeugnisse prämiert wurde. Außerdem wurde ihr 1898 der Ehrentitel „Hoflieferant“ verliehen. Ein Betriebszweig der Firma Wirth war in der Heinrichsmühle untergebracht.

1348 gehörten die drei Mühlen in Herzogenaurach mit allen Rechten zum Amt Herzogenaurach. 1516 gehörten zum Hochgerichtssprengel Herzogenaurach auch die „Happendorfer Mühl“ (also die Heinrichsmühle). Am 30. Dezember 1652 wird eine Schneidsäge auf der Heinrichsmühle erwähnt. Unter Müller Werner Wegner wurde die Mühle 1740/41 wie folgt beschrieben: „Ein mühl mit 3en mahlgängen samt Einer Säg, neben Häuslein, Stadel, u. Hofraith, Castenlehen, dazu gehören 1 1/2/4 morgen Garten und 1 1/2 tagwerck wiesen ... 575 fl.“ Bei Johann Baptist Roppelt wird die Heinrichsmühle 1801 wie folgt charakterisiert: „Ist eine mit Haus, Stadel, Nebenhaus, 2 Mahlgängen, einem Schneidegang und einer Walke für Zeugmacher versehene Mühle, welche dem Amt Herzogenaurach zent-, lehen-, vogtei- und steuerbar ist.“

Am 25. Januar 1852 brannte die Mü hle ab. Betroffen waren das Wohngebäude des MüllermeistersJ oseph Deuring und im Nebengebäude die Spinnmaschine der Tuchmachermeister Franz Bitter und Konsorten, an der 12 Tuchmachermeister beteiligt waren. Die Maschine war erst seit einem Vierteljahr in Betrieb. Der Verlust der Maschine schlug mit 8 000 Gulden zu Buche, dazu kamen noch der Verlust an Wolle und Garn im Wert von 1 000 Gulden. Nach dem Brand wurde das Mühlengebäude 1852 neu errichtet, wie die Inschrift über dem Türsturz J[oseph] 1852 D[euring] erkennen lässt. Vor 1904 findet sich im Kataster vermerkt: „Die Heinrichsmühle, ein zweistöckiges Wohnhaus, Mühlgebäude, worinnen 2 nach englischer Art neu eingerichtete Mahlgänge und eine Maschinerie für Tuchmacherei sich befindet, abgesonderter Stadel nebst einem Wurzgarten im Hofraum.“ Seit Februar 1904 war die Heinrichsmühle im Besitz des 1899 als Waisenhaus gegründeten Liebfrauenhauses. Das Wasser von der Quelle beim Galgenhof wurde zur Mühle geleitet und dann zum Liebfrauenhaus gepumpt. 1920 kaufte die Firma Wirth und Söhne die Heinrichsmühle für deren Spinnerei. Im Zweiten Weltkrieg, am 16. April 1945 wurde die Mühle in Brand geschossen. Der Wiederaufbau erfolgte von 1948 bis 1950. Nach dem Tod von Fritz Wirth im Jahr 1969 stellte man den Spinnereibetrieb ein. Damit ging eine jahrhundertelange Handwerkstradition in Herzogenaurach unwiderruflich zu Ende. (Manfred Welker)

Weitere Themen in UNSER BAYERN März/April (BSZ Nr. 9 vom 2. März 2018:


- Flammender Wahnsinn. Sex & Crime in Irrenlohe: Wie ein oberpfälzer Bahnhof den Opernkomponisten Franz Schreker inspirierte

- „Wir hauen unser Recht“. Rigides Vorgehen des Militärs und Prozesse gegen Journalisten: Die „Fuchsmühler Holzschlacht“endete im handfesten Skandal

- Wasser auf die Mühlen. Über ein kilometerlanges Grabensystem holten die Römer Brauchwasser in ihr Castrum am Lech

- Zwanglose Badefreuden. Vor 300 Jahren begann Joseph Effner mit dem Bau der Badenburg im Nymphenburger Schlosspark

- Sakrales Kleinod. Die private Kapelle auf dem Zimen-Anwesen Grillenöd im Rottal ist ein böhmisch-bayerisch-skandinavischer Mischbau

- Stilles Zentrum mit Strahlkraft. Halb städtisch, halb ländlich: Das Zisterzienserkloster Ebrach und seine Besitzungen in Franken

- Geniale Schnitzkunst. Vor 500 Jahren starb Erasmus Grasser. Der Neumünchner begeisterte mit der rasanten Bewegtheit seiner Figuren

- Meisterwerk fürs Exil. Das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth erstrahlt
nach der Renovierung wie zu Zeiten seiner Errichtung

- Der historische Friedberger Palmesel steht heute
züchtig gewandet im Museum des Herzoglichen Georgianums

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