Unser Bayern

Ein Weihnachtsgruß in Kriegszei- ten – ohne Ehemann und Vater, der an der Front war. Die Frau auf dem Bild signalisiert mit ihrer Klei- dung: Auch sie tut ihren Dienst an der Heimatfront. Und eine Schale mit Obst unterm Weihnachtsbaum war quasi der einzige Luxus, den man sich leistete. Schon bald nach Kriegsbeginn war der Alltag nämlich von Rationierungen bestimmt. (Foto: SZPhoto)

19.12.2014

Knuspriger Spatz

Alltag der Menschen an der Heimatfront während des Ersten Weltkriegs: Ein Leben voller Entbehrungen

Der Erste Weltkrieg brachte den Soldaten an der Front große Härten – doch er lastete auch schwer auf den Frauen und Kindern in der Heimat. Die Feindmächte blockierten die Nordsee und verhinderten, dass Deutschland dringend benötigte Güter von außen erhielt. Deutschland importierte vor 1914 etwa ein Fünftel seines Lebensmittelbedarfs. Diese Zufuhr kam infolge der Seeblockade fast völlig zum Erliegen. Außerdem sank die inländische Produktion um etwa ein Drittel, weil kriegsbedingt Arbeiter, Pferde und Düngemittel in der Landwirtschaft fehlten. Jedem Einzelnen standen fortan etwa 40 bis 50 Prozent weniger Kalorien zur Verfügung. Im zweiten Kriegsjahr, 1915, gab es nach amtlicher Einschätzung im Deutschen Reich zu viele Schweine, und es war zu erwarten, dass man sie erst einmal längere Zeit durchfüttern musste. Also wurde reichlich geschlachtet. In den folgenden Jahren wären die Deutschen froh gewesen, wenn sie diese Tiere noch gehabt hätten. Im Sommer 1916 war die Ernte sehr schlecht, es wurden nicht einmal halb so viele Kartoffeln eingebracht wie 1915. Inzwischen waren auch in den privaten Haushalten, im Handel und beim Staat die Lager aufgebraucht. Der Winter 1916/17 blieb als „Kohl-" oder „Steckrübenwinter" im Gedächtnis haften. Die Deutschen litten Hunger. Es gebe „nur Kohlrübensuppe, Kohlrübenschnitzel, Kohlrübennachspeise", klagte der Religionsphilosoph Ernst Troeltsch, ein Mann aus dem bayrischen Schwaben. Die Versorgung mit Brot fiel auf 60 Prozent des Vorkriegsstandes, obwohl das Getreide inzwischen bedeutend gründlicher ausgemahlen wurde. Die Brotqualität sank: Das Mehl wurde durch die Beimengung von Ersatzstoffen wie Gersten-, Mais- und Kastanienmehl gestreckt. Die Versorgung mit Kartoffeln und pflanzlichen Fetten fiel im Deutschen Reich auf 40 Prozent des Vorkriegsstandes, bei Fleisch auf 30 Prozent und weniger. Laut Reichsfleischkarte sollte jeder Deutsche 250 Gramm Fleisch pro Woche erhalten; tatsächlich gab es aber beispielsweise in Nürnberg nur 188 Gramm pro Kopf. Vor dem Krieg verbrauchte jeder Nürnberger täglich rund 200 Gramm Fett und Eiweiß. Im Krieg wurde der Mindestverbrauch auf 50 Gramm Fett und 80 Gramm Eiweiß festgesetzt; doch im Dezember 1917 konnten die Zuständigen nur noch 30 Gramm Fett und 40 Gramm Eiweiß pro Person abgeben. Auf den Märkten war seit 1917 Fleisch kaum noch zu bekommen. In der Markthalle am Nürnberger Trödelmarkt wurden zeitweise nur ein paar junge Ziegen zum Kauf angeboten, ferner „einige Kaninchen, auch Krähen und Eichhörnchen". „Wenn ich auf dem Rathaus die Lebensmittelkarten abholte, stand ich gewöhnlich in der Schlange abgehärmter Frauen im ungelüftet-stickigen Korridor des Rathauses und horchte auf ihre Klagen und Vorwürfe, die von Mal zu Mal bitterer wurden", schrieb ein Zeitgenosse. 1917 betrug der Kalorienwert der amtlichen Zuteilungen rein rechnerisch unter 1000 Kilokalorien – und dabei bekam die Mehrheit der Bevölkerung eher weniger als diesen Durchschnittswert. Da man bei leichter Arbeit rund 2300, bei mittelschwerer 3000 und bei schwerer Arbeit täglich rund 4000 Kilokalorien verbraucht, bedeutete dies nicht nur Hunger, sondern auch beträchtliche Gewichtsverluste. Eine Frau aus Leipzig schrieb, sie wiege „kaum noch vierzig Kilo". Gewichtsverluste von einem Fünftel waren in diesen Kriegsjahren die Norm. Den Berliner Hygieneprofessor Alfred Grotjahn erinnerten seine Landsleute im Aussehen an Mongolen, weil ihre Backenknochen so weit vorragten und ihre Haut so faltig herabhing. Der vierte Kriegswinter, 1917/18, war ungewöhnlich streng. Die Lebensmittel waren knapp, da vermochte auch die von der Regierung verhängte Rationierung nichts zu ändern: Oft kam es vor, dass eine Frau stundenlang in einer Warteschlange angestanden hatte und am Ende nichts bekam, weil die von ihr gewünschten Lebensmittel inzwischen ausverkauft waren. Die Not nahm bedrohliche Ausmaße an. An Fleisch war nicht mehr zu denken; aber auch die traditionellen Sattmacher, die Kartoffeln, waren inzwischen sehr knapp geworden. Die Grundnahrungsmittel waren rationiert. Aber wer genügend Geld besaß, konnte auf dem Schwarzmarkt seine Vorräte aufbessern. Schätzungsweise ein Drittel aller Lebensmittel gelangten damals im Deutschen Reich auf den Schwarzmarkt. Das vertiefte den Graben zwischen den sozialen Schichten. Denn die meisten Menschen hatten nicht nur nichts zu essen, sondern auch nichts zum ausgeben: Ein Arbeiter verdiente in der Woche – bei einer Arbeitszeit von 60 Stunden – 50 bis 70 Mark oder 6 bis 8 Mark am Tag. Frauen arbeiteten 56 bis 57 Stunden die Woche. Eine Nürnberger Rüstungsarbeiterin verdiente in der Stunde im Durchschnitt 50 Pfennige. Davon konnte sie, bei einem Literpreis von 30 Pfennig und mehr, nicht einmal zwei Liter Milch kaufen. Der Preis für das Pfund Ochsenfleisch lag in Nürnberg 1918 im Oktober 1918 bei 2,20 Mark; ein Pfund Lammfleisch kostete 2,20 Mark, ein Pfund Schweinefleisch 1,50 Mark, und für das Pfund Mehl zahlte man 26 Pfennige, zeitweise – wie im Oktober 1918 – aber auch 55 Pfennige... (Manfred Vasold) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Dezember-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 51/52 vom 19. Dezemer 2014) Abbildungen:
Hunger in Deutschland: Das war ein Thema für die Propaganda. Eine Karte aus Deutschland machte sich lustig über die angeblich verpuffte Wirkung der britischen Handelsblockade: Es gab doch genügend Schweine! (Foto: SZPhoto) Vor dem Ersten Weltkrieg war Deutschland bei der Nahrungsmittelversorgung beinahe autark: 90 Prozent stemmte das Reich selbst. Bei der Vorratshaltung für den Ernstfall war man aber nicht auf einen so langen Kriegsverlauf eingestellt. Bald wurde die Ausgabe von Lebensmitteln rationiert – lange Menschenschlangen vor Geschäften prägten bald das Stadtbild. (Foto: SZPhoto)

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