Unser Bayern

Juristisch an den Kragen ging es dem Bäcker, wenn er zu sehr knauserte. Waren die Semmeln zu klein, war das Betrug. Per Order war vorgegeben, welches Getreide er zu verwenden hatte, und wie viel das Gebäck zu wiegen hatte. (Foto: Getty Images)

19.09.2014

Lug und Trug

Nepper, Schlepper, Bauernfänger: Über Maschen und Manöver, andere um ihr Hab und Gut zu bringen

Betrügen und betrogen werden, nichts ist gewöhnlicher auf Erden": Lapidar formulierte der Sachse Johann Gottfried Seume in seinem Reisebericht Sparziergang nach Syrakus 1802 den allgegenwärtigen Betrug zwischen Menschen. Ebenso „gewöhnlich" sind auch schon immer die Betrüger und Betrogenen selbst gewesen. Wer von ihnen in den Akten auftaucht, entstammt zumeist den unteren Schichten der Gesellschaft: Bettler, fahrende Kaufleute, Kleingewerbetreibende. Juristisch betrachtet, ist nicht jede Täuschung von strafrechtlicher Relevanz. Vom gesetzlichen Tatbestand des Betrugs werden und wurden nur solche Handlungen erfasst, bei denen es um die Gewinnerzielungsabsicht ging. Bereits der römische Diktator Sulla konkretisierte in seinen Leges Corneliae (etwa 80 v. Chr.) bestimmte Deliktgruppen, die als crimina falsi strafrechtlich geahndet wurden: Vor allem gehörte dazu das Fälschen von Urkunden, Münzen, Maßen und Gewichten. Besonders in den aufstrebenden Städten und Märkten des deutschen Mittelalters waren Maß- und Gewichtsfälschungen häufig. Der Sachsenspiegel, eine zwar unverbindliche, aber dennoch überregional angewendete Sammlung von Rechtssätzen aus dem Hochmittelalter, stellt den Betrug mit Maßen und Gewichten sogar dem Diebstahl gleich. Und für diesen sah Eike von Repgow, der rechtskundige Verfasser des Sachsenspiegels, den Tod durch Erhängen vor. In der Regel wurde die Todesstrafe aber nicht vollstreckt, insbesondere wenn es um einen „minder schweren Fall" ging: Überstieg der verursachte Schaden eine bestimmte Summe nicht (im 13. Jahrhundert lag diese bei etwa drei Silberpfennigen), konnte die Strafe abgemildert werden; dann wurde der Übeltäter nur „an Haut und Haar gestraft". Aber auch von dieser Prügelstrafe samt Haarschur konnte er sich freikaufen – die Höhe der Geldbuße richtete sich nach dem verursachten Schaden. Arme oder unfreie Personen konnten sich das natürlich nicht leisten. Im Laufe der frühen Neuzeit suchten die Landesherren das gesamte Wirtschaftsleben möglichst umfassend und genau zu reglementieren. Neben der Maß- und Gewichtsfälschung, als Teil des „peinlichen Rechts" (vom lateinischen poena, Strafe, abgeleitet) weiterhin mit Strafen an Haut und Haar, in schweren Fällen auch mit dem Galgen sanktioniert, wurden zahlreiche Gewerbe vom sich in der Neuzeit entwickelten Recht der „guten Policey" regulativ erfasst. Vergleichbar mit dem heutigen Gewerbeordnungsrecht wurden für unterschiedliche Geschäftsbereiche spezielle Verordnungen erlassen. Landesgesetze oder herrschaftliche Allgemeinverfügungen, sogenannte Mandate, setzten für Metzger, Bäcker, Schmiede, Weber und weitere Berufszweige exakte Ausübungsbestimmungen fest. Normiert wurden insbesondere Größe, Gewicht, Qualität und teilweise auch Preis der feilgebotenen Produkte. Bei Verstößen wurden Geldbußen verhängt, die teilweise mit Arrest- oder auch Schandstrafen verbunden waren. Bei wiederholtem Verstoß verschärften sich die Sanktionen: Bei dreimaliger Missachtung drohte ein lebenslanges Berufsverbot. Aktenkundig geworden ist zum Beispiel ein Vergehen des Bäckers Christoph Huber aus Aumühl in Übersee am Chiemsee gegen ein kurfürstliches Mandat: Er hatte 1646 zu kleine Wecken gebacken und verkauft. Gerichtsherren nahmen gerade Zuwiderhandlungen gegen Maßgaben, wie viel Brot wiegen und welches Getreide zur Herstellung verwendet werden darf, sehr ernst: Wenn die Kunden sich beim Erwerb ihres täglichen Brotes hintergangen fühlten, drohte der Volkszorn rasch überzukochen. Um die erboste Menge zu besänftigen, wurde ihr der Delinquent gleichsam ausgeliefert: Mancherorts, wie in der Residenzstadt München, wurde über die ertappten Bäcker nicht nur eine Geld- oder Arreststrafe, sondern auch die entehrende Bäckertaufe verhängt: Eingesperrt in einen Käfig, wurden sie unter dem Gejohle der Zuschauer über einen Flaschenzug mehrfach in ein nahes Gewässer getaucht und anschließend „ausgestellt". Christoph Huber hatte noch einmal Glück gehabt: Die vom kurfürstlichen Hofrat festgesetzte Strafe betrug 4 Pfund Pfennige, außerdem musste er sechs Tage im örtlichen Amtshaus absitzen. Wichtig für Christoph Huber: Er galt dadurch nicht als ehrlos und konnte seinen Beruf weiter ausüben. In den Akten findet sich auch der Fall der Bäckersleute Christoph und Margarethe Berger, denen das Schicksal böse mitgespielt hatte. Aus einem vom Bürgermeister und dem Rat der Stadt Lieberburg ausgestellten Bettelbrief geht hervor, dass die Bergers bei einem Brand am 28. Oktober 1593 ihr Vermögen verloren. Ihnen wurde deshalb gestattet, in jeder Ansiedlung um Geld zu bitten. Das Bettelwesen der gesamten frühneuzeitlichen Epoche unterlag strengen Auflagen. Die schuldlose Bedürftigkeit musste nachgewiesen werden. Wer aufgegriffen wurde und sich nicht entsprechend legitimieren konnte, dem drohten körperliche Züchtigung, Brandmarkung und Ausweisung. Als Nachweis galt ein von der Heimatgemeinde ausgestellter Bettelbrief. Für in Not geratene Bedürftige war diese Lizenzierung überlebenswichtig. Die Barmherzigkeit ihrer Mitmenschen versuchten natürlich auch Betrüger auszunutzen: Gegen klingende Münze ließen sie sich einen Bettelbrief fälschen. Ist der Bettelbrief der Bergers echt? Schriftbild und Siegel vermitteln einen offiziellen Eindruck. Aber tatsächlich handelt es sich auch hier um eine dreiste Fälschung: die Stadt Lieberburg, die die Lizenz zum Betteln ausgestellt haben sollen, existierte nämlich nie! Angehörige der „Bettlerzunft" waren außerordentlich findig, wenn es ums Vorspielen unterschiedlicher Gebrechen und Leidensgeschichten ging. Um 1510 wurde eine kleine Druckschrift verlegt, das Liber Vagatorum, verfasst wohl von dem Pforzheimer Spitalmeister Matthias Hütlin. In diesem Büchlein geht es um die vielen Varianten des Bettelbetrugs. Es werden allein 28 unterschiedliche Bettlertypen detailliert beschrieben, damit der Leser sie an ihrem Aussehen, Auftreten und ihren –  frei erfundenen – Geschichten erkennen kann. Ein Schlepper beispielsweise gibt sich als Priester aus, sucht die Häuser seiner Opfer auf und erbittet eine Opfergabe für die Anschaffung eines Altartuches oder Messbuches. Im Gegenzug verspricht der Schlepper die Errettung anverwandter Verstorbener aus dem Fegefeuer; für jeden Pfennig soll eine Seele erlöst werden. Das Liber Vagatorum bedient sich bewusst vieler Pauschalurteile und stereotypen Darstellungen... (Andreas Nestl) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der September-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 38 vom 19. September 2014) Abbildungen:
Im Salbuch der Stadt Volkach (nach 1500) ist zu sehen, wie ein Richter (mit Stab) und zwölf Schöffen über einen Diebstahl verhandeln. die Beweisstücke liegen vor ihnen.         (Foto: Stadtarchiv Volkach)

Bettler konnten auf Nächstenliebe hoffen - mancher, dem es besser ging, ließ dann eine Münze in den Hut fallen (hier eine Szene in Regensburg/Stadtamhof). (Foto: BSB Bildarchiv)

Echte Bedürftige erhielten Lizenzen zum Betteln. Das hier gezeigte Dokument ist allerding eine Fälschung: Dem kam allerdings nur auf die Schlichte, wer wusste, dass es die ausstellende Stadt Lieberburg gar nicht gab. (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv)

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