Unser Bayern

154 Minuten dauerte der Nervenkrieg in Magdeburg, dann hatte die Fürther Spielvereinigung (in den den gestreiften Trikots) den Vorjahresmeister VfB Leipzig vom Thron gekickt. Das entscheidende Tor zum 3:2 schoss Karl Franz – wenige Monate später fiel er als Soldat im Ersten Weltkrieg, ebenso wie seine Mannschaftskameraden Sebastian Seidel, Hans Jakob und Fritz Weicz. (Foto: SpVgg Greuther Fürth) Foto: SpVgg Greuterh Fürth

23.05.2014

Pokalfreuden in Franken

Im Kriegsjahr 1914 wurde mit der Spielvereinigung Fürth erstmals eine bayerische Mannschaft deutscher Fußballmeister


Rein von der Evolution her kamen wir von den Bäumen runter, nahmen die Füße zum Laufen, die Hände für alles übrige, Töpfern, Mozart, Beet­hoven – wir wussten, wie wir klarkommen in der Welt. Die großen Tragödien waren Kriege, Seuchen und Naturkatastrophen. Bis 1867. Da haben wir plötzlich angefangen, Fußball zu spielen." Das schreibt Thomas Brussig in seinem großartigen Trainer-Monolog Leben bis Männer. 1867 haben Menschen beschlossen, mit ihren Füßen einen Ball vorwärtszutreiben. Schon klar: Es gibt Hinweise auf etwas ähnliches als Militärübung bei den Chinesen vor vier bis fünf Jahrtausenden, bei den alten Griechen gab es die sphairomachía. Auch mittelamerikanische Indianervölker kannten schon die Technik des Dribbelns und Passens mit Hüfte, Oberschenkel und Ellenbogen, das pok ta pok – aber nur die Füße?Das Kleeblatt – 100 Jahre Fußball im Fürther Ronhof schreibt. Schmidt ist Präsidiumsmitglied der SpVgg Greuther Fürth, wie der Verein heute heißt, und ist zuständig für das Archiv und das Stadionmagazin, ist der Vereinshistoriker, hat natürlich selbst im Ronhof gekickt und wohnt drei Gehminuten vom Stadion entfernt. In Fürth, erzählt er, fand das erste Fußballspiel 1902 statt – und schon damals ging es gegen den späteren Erzkonkurrenten, den Club, also den 1. FC Nürnberg. Der FC Bayern und seine Juden schrieb, war der Verein bei den Nazis nach 1933 als „Judenverein" verpönt. Die Gleichschaltung beider Vereine hatte deren sportlichen Abstieg bedeutet. Christian Muggenthaler Das ist eines der großen Geheimnisse vom Erfolg des Fußballs: Dass er Tätigkeiten mit Fingerspitzengefühl akkurat von jenen Extremitäten verlangt, die dafür gar nicht vorgesehen sind. Da kann verhältnismäßig viel schief gehen, und genau das steigert die magische Kraft dieses Spiels, das vom ewig scheiternden Versuch des Menschen handelt, den Zufall zähmen und das Unplanbare planen zu wollen. Kaum anderswo liegen Gelingen und Scheitern dermaßen eng beieinander. Genau das macht den Fußball zur Königsklasse und zum Äquivalent des Theatergangs, weil er immer wieder unerhörte, aufregende Dramen bietet. Es muss ja nicht so sein wie bei den – nochmal pok ta pok – Indianern: Die Gewinner sollen die Ehre gehabt haben, den Göttern geopfert zu werden. Altertumswissenschaftlerin Sabine Ziegler (Jena) dazu: „Wie gut, dass man heute beim Fußballspiel unter Köpfen etwas ganz anderes versteht…" Von Südengland aus verbreitete sich das Fußballspielen schnell – kam auch nach Deutschland und Bayern. Und hatte dort es einen sportlichen Konkurrenten, der sehr herablassend auf die „Fußballlümmelei" blickte: die Turnerschaft. Denn bevor das Spiel mit dem runden – damals wirklich noch – Leder den Siegeszug begann, war das Turnen Breitensport Nummer eins. Es galt als edel und deutsch und führte zu Zucht und Zackigkeit, weshalb es auch als Vorübung fürs Militär recht nützlich war. Was sollte da dieses Treiben der Balltreter? Es entstand fast so etwas wie ein Kulturkampf, und nur wenige Vereine bringen heute das Turnen und den Fußball unter einen Namen wie der TSV 1860 München als Turn- und Sportverein oder der SSV Jahn Regensburg, der den Turnvater immerhin im Vereinsnamen führt. Auch in Fürth nannte man den Fußball erst einmal verächtlich die „englische Krankheit", wie Jürgen Schmidt in seiner Geschichte Am 23. September 1903 wurde die Spielvereinigung offiziell gegründet. Und schon elf Jahre später, im Frühsommer 1914, wurde die Mannschaft als erster bayerischer Verein deutscher Fußballmeister. Es ging in Magdeburg gegen den VfB Leipzig, der im Jahr 1903 überhaupt erstmals deutscher Meister geworden war. Das Endspiel bot Dramatik pur: Nach Schlusspfiff und viermaliger Spielzeitverlängerung hieß es immer noch unentschieden. Es ging weiter bis zum Golden Goal. Nach 154 Spielminuten gewann Fürth schließlich mit 3:2. Unbeschreiblicher Jubel! Innerhalb kürzester Zeit hatte der Verein statt bis dato 1548 über 3000 Mitglieder – und war damit der größte deutsche Sportverein seiner Zeit geworden. Neben Fürth sind als bayerische Vereine der 1. FC Nürnberg (neunmal), der FC Bayern München (23 mal) und der TSV 1860 München (einmal) Deutscher Fußballmeister geworden. Tragischer Rückschlag nach diesem grandiosen Auftakt: Im gleichen Jahr brach der Erste Weltkrieg aus – und schon im Herbst fiel mit Karl Franz der Siegtorschütze des Endspiels, drei weitere Kollegen aus der Meistermannschaft folgten ihm in den Kriegstod. Dennoch stand Fürth nach dem Krieg wieder im Endspiel um eine deutsche Meisterschaft, verlor aber am 13. Juni 1920 in Frankfurt mit 0:2 gegen den Club. Noch zweimal, 1926 und 1928, waren die Fürther deutscher Meister geworden – danach nie wieder. Immerhin ist die Mannschaft nach vielen Jahren des Rückzugs ins Amateurlager nach einer Partnerschaft mit dem TSV Vestenbergsgreuth im Jahr 1996 wieder in den Profi-Fußball zurückgekommen und wandelt derzeit beständig an der Nahtstelle zwischen erster und zweiter Bundesliga. Um die Wende zum 20. Jahrhundert hatte Fürth zu den Boom-Städten im Deutschen Reich gehört. Zahlreiche Bauten aus jener Zeit bezeugen das hinlänglich. Von diesem Reichtum der Bürger profitierte auch der Sport. 1910 wurde mit dem Ronhof das damals größte Sportgelände Deutschlands errichtet. Und schon seinerzeit gab es einen direkten Zusammenhang zwischen gutem Geld und guten Platzierungen: In Fürth spielten keineswegs nur Fürther, man konnte sich „Stars" leisten. So spielte beispielsweise in der ersten Meistermannschaft der Wiener Adolf Riebe, so holten sie nach dem Ersten Weltkrieg mit Teddy Lohrmann einen der damals besten deutschen Torhüter aus Mannheim. Der Trainermarkt war ebenfalls international: Seit 1911 war der Engländer William Townley Berufstrainer in Fürth und lehrte Taktik und Technik, wie Schmidt in seinem Buch schreibt. Ende 1913 wechselte Townley dann zum FC Bayern München. Die Fürther und die Bayern: Es gibt eine weitere Parallele in der Geschichte der beiden Vereine. Nämlich der Einschnitt des Jahrs 1933. Viele der Kaufleute, die die Spielvereinigung Fürth sponserten, waren Juden, ebenso Kicker. Julius Hirsch, Mitglied der Meistermannschaft von 1914, starb 1943 in Auschwitz. 1932 waren die Bayern erstmals deutscher Meister geworden – mit einem jüdischen Trainer. Und mit Kurt Landauer, der 1939 nach einer Haft in Dachau gerade noch in die Schweiz emigrieren konnte, war auch der Präsident ein Jude. Wie Dietrich Schulze-Marmeling in seinem Buch

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