Unser Bayern

Einmaliges Dokument: Im Bericht über die Beinamputation ist auch dieses kleine Bild (Ausschnitt, Gesamtansicht im Text) zu finden. Wahrscheinlich stellt es die Operation an Kaiser Friedrich III. dar. Gut zu sehen ist, wie sich das Bein unter der Stelle, wo ein Arzt die Säge ansetzt, bereits schwarz verfärbt hat. (Foto: Archiv)

27.05.2016

Säge und Schlafschwamm

Kaiserliche Beinamputation: Mit bayerischer Hilfe wurde eine der berühmtesten Operationen des Mittelalters durchgeführt

Viele Menschen denken beim „Mittelalter“ an eine finstere, fortschrittsfeindliche Epoche – entsprechend rückständig müsse die Medizin gewesen sein. Doch das stimmt bei Weitem nicht. Ausgehend von Italien entwickelten sich ab dem 12. Jahrhundert die Fachdisziplinen der Chirurgie und der Anatomie. Ein frühes Innovationszentrum war die Universität von Salerno in Kampanien. Anfang des 14. Jahrhunderts wurden in Bologna erstmals seit der Antike wieder Sektionen durchgeführt: innere Leichenschauen zur Feststellung der Todesursache. Und am Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit veröffentlichte der flämische Anatom Andreas Vesalius (1514 bis 1564) in Basel ein bahnbrechendes Werk mit dem lateinischen Titel De humani corporis fabrica („Über den Bau des menschlichen Körpers“). Darin beschrieb er weitgehend korrekt die Strukturen von Gehirn und Muskulatur, die Lage der Organe im Bauch sowie den Verlauf der Blutgefäße und Nervenbahnen. Auch in Deutschland gab es damals herausragende Mediziner. Einer von ihnen hatte seine Wirkungsstätte in Bayern: Hans Seyff. Er wurde um 1440 als Leibeigener im württembergischen Göppingen geboren und arbeitete zunächst als Bader. Dies war ein Heilberuf, in dessen Zuständigkeit beispielsweise das Versorgen kleinerer Wunden, der Aderlass und das Ziehen von Zähnen fielen. Später ging Seyff bei einem Wundarzt in die Lehre und spezialisierte sich auf anspruchsvolle chirurgische Eingriffe. Im fortgeschrittenen Alter von 43 Jahren machte er endlich die angestrebte große Karriere. Seine Fertigkeiten hatten sich allmählich bis nach Bayern herumgesprochen. Er wurde schließlich Stadtwundarzt von München und zugleich Wundarzt am Hof von Herzog Albrecht IV. Die Tätigkeit für diesen Wittelsbacher blieb aber nicht ohne Konflikte. Albrecht hatte offensichtlich Seyff zugesagt, ihn und seine Familie von der Leibeigenschaft freizukaufen. Er erfüllte dieses Versprechen jedoch erst nach längerem Streit. Um das Jahr 1487 trat Seyff von seinen Ämtern zurück, kehrte Bayern den Rücken und praktizierte fortan wieder in Göppingen. Da er eine medizinische Koryphäe war, wollten die Wittelsbacher nicht auf seinen fachmännischen Rat verzichten. Daher kehrte Seyff hin und wieder an den Münchener Hof zurück. Er verstarb 1518 in seiner Geburtsstadt.
Hans Seyff besaß nicht nur eine herausragende praktische Begabung, sondern er betätigte sich auch als innovativer medizinischer Schriftsteller. Aus seiner Feder haben sich zahlreiche Pergamenthandschriften erhalten, etwa Ratgeber zur korrekten Durchführung von Operationen sowie Heilmittelrezepte. Darunter befindet sich auch ein Dokument, das von einer der berühmtesten Operationen des gesamten Mittelalters erzählt: Am 8. Juni 1493 wurde dem Kaiser Friedrich III. in Linz ein Teil seines linken Beins amputiert. Seyff war an diesem Eingriff vor Ort beteiligt und hatte seine Beobachtungen als Augenzeuge schriftlich festgehalten. Der in frühneuhochdeutscher Sprache verfasste Amputationsbericht von Seyff ist in einem Kodex (Buch aus Pergamentblättern) überliefert, der sich heute in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart befindet. Aus ihm und anderen relevanten Quellen lässt sich Vorgeschichte und Verlauf der Amputation ziemlich präzise rekonstruieren. Man erhält interessante Einblicke in die Praxis und den Wissensstand der Medizin an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit. Werfen wir zunächst einen Blick auf den prominenten Patienten. Der 1415 in Innsbruck geborene Friedrich III. stammte aus dem österreichischen Adelsgeschlecht der Habsburger. Er war ein faszinierender, aber auch sehr sonderbarer Herrscher. Von allen römisch-deutschen Königen des Mittelalters regierte er am längsten: von 1440 bis zu seinem Tod 1493. Überdies wurde er 1452 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt. Trotz seiner langen Regierungsdauer zeichnete sich Friedrichs Amtsführung vor allem durch politische Untätigkeit aus. Hierüber machten sich viele Generationen von Historikern lustig und verliehen ihm einen wenig schmeichelhaften Beinamen: „des Heiligen Römischen Reiches Erzschlafmütze“. Friedrich verhielt sich für einen Monarchen äußerst untypisch. Er bevorzugte bescheidenes Essen und schlichte Kleidung, neigte zur Sparsamkeit und lehnte das Tanzen ab. Zudem machte er sich wenig aus gesellschaftlichen Verpflichtungen. Stattdessen zog sich der introvertierte Herrscher am liebsten in seine Privatgemächer zurück und ging dort seinen Leidenschaften nach: Hierzu gehörten klassische Musik, Geschichte und Mathematik sowie Astrologie und Geheimwissenschaften. Besonders gerne ließ er sich von Sterndeutern Horoskope erstellen. Wie es dazu kam, dass Friedrich III. operiert werden musste, schildert Hans Seyff in seinem Bericht. Demzufolge hatten Friedrichs Leibärzte in der Fastenzeit des Jahres 1493 entdeckt, dass das linke Bein des Kaisers von einer Krankheit befallen war. Laut Seyff handelte es sich dabei um eine „Opilacio“ („Verstopfung“). Diese Beschwerden seien auf eine in dem Glied herrschende Kälte und einen den Lebensgeist ertränkenden Fluss zurückzuführen. Als Symptome benannte der Wundarzt ein stetig zunehmendes Taubheitsgefühl sowie eine Blau-, schließlich Schwarzfärbung der Haut zwischen Fuß und Wade. Diese zeitgenössische Diagnose entsprach der vom griechischen Arzt Galen im zweiten vorchristlichen Jahrhundert begründeten Vier-Säfte-Lehre („Humoralpathologie“). Diese war auch im Mittelalter noch die offizielle medizinische Lehrmeinung. Gemäß Galen sollten die vier Säfte des menschlichen Körpers (gelbe Galle, schwarze Galle, Blut, Schleim) im rechten Verhältnis gemischt und in gutem Fluss sein. Ebendieser Fluss war nach Meinung Seyffs bei Friedrich durch die Kälte im linken Bein blockiert. Heutzutage weiß man es besser. Die Krankheit, an der Friedrich litt, wird in der modernen Medizin als „Arteriosklerose“ bezeichnet. Ursache für des Kaisers gesundheitliche Probleme war nicht ein Mangel an Wärme, wie Seyff vermutete, sondern vielmehr eine schwere Arterienverkalkung. Wegen dieser Verkalkung litt das linke Bein an einem chronischen Durchblutungsmangel, was zu einer Unterversorgung des Körpergewebes mit Sauerstoff führte. Die von Seyff geschilderte schwarze Farbe der Gewebeoberfläche weist darauf hin, dass das Körpergewebe zwischen Fuß und Wadenhöhe bereits völlig abgestorben war. Wollte man eine Blutvergiftung vermeiden und das Leben des Kaisers retten, so war eine Amputation des erkrankten Beinbereichs der einzig erfolgversprechende Weg. Diese Amputation sollte sich als eine österreichisch-bayerische Familienangelegenheit erweisen. Maximilian, der Sohn Friedrichs, erfuhr Ende April von der Erkrankung seines Vaters. Er sandte einen seiner besten Ärzte, den portugiesischen Leibarzt Matheo Lupi nach Linz, wo sich Friedrich gerade aufhielt. Auch Friedrichs Schwiegersohn Herzog Albrecht IV. sorgte für fachkundige Hilfe. Er wandte sich an seinen ehemaligen Wundarzt Hans Seyff und beorderte diesen nach Linz. Mit Heinz Pflaundorfer von Landshut und Hilarius von Passau wurden zwei weitere bayerische Ärzte engagiert. Am 8. Juni 1493 fand die Amputation statt. Ein Aufgebot von insgesamt sieben Ärzte war daran beteiligt: Maximilians Leibarzt Matteo Lupi und Friedrichs Leibarzt Heinrich von Köln legten den genauen Ablauf fest und überwachten den Eingriff. Die Wundärzte Heinz Pflaundorfer von Landshut, Erhard von Graz und Friedrich von Olmütz hielten das linke Bein des Kaisers fest. Dann trennten die beiden anderen Wundärzte Hans Seyff und Hilarius von Passau das erkrankte Areal mit einer Knochensäge ab. Nachdem die Blutung gestillt war, wurde der übrig gebliebene Teil des linken Beins sauber verbunden... (Daniel Carlo Pangerl) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Mai-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 21 vom 27. Mai 2016)

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