Unser Bayern

Ob zu Fuß, auf zwei Rädern oder auf Brettern: Die Alpen sind dadurch geprägt, dass traditionelle und postmoderne Urlaubsaktivitäten neben- und miteinander koexistieren. (Foto: dapd)

27.05.2011

Urlaub in Bayerns Alpen: Bald nur noch "Schnee von gestern"?

Weniger Gäste, weniger Betten – und doch kein "Sorgenkind": Der Tourismus in den Bergen orientiert sich nur um

Bayern nimmt beim Tourismus in Deutschland die unangefochtene Spitzenstellung ein, denn es gibt kein anderes Bundesland, das jedes Jahr so viele Übernachtungen und Gästebetten zählt. Und die bayerischen Tourismusziele sind nicht nur europa-, sondern sogar weltweit bekannt und berühmt, wie die zahlreichen Besucher aus Übersee in Rothenburg, Nürnberg, München oder in den Königsschlössern belegen. Bei dieser großen Bedeutung des Tourismus übersieht man jedoch leicht, dass sich die touristischen Angebote wie auch die Nachfrage in den letzten Jahrzehnten in Bayern fundamental gewandelt haben. Und dies betrifft auch die Bayerischen Alpen, die sehr lange an der Spitze des bayerischen Tourismus standen. Die Ansätze eines Tourismus reichen in Bayern sehr weit zurück, bis in die 1790er Jahre, als erstmals einige Pioniere die Schönheit der Bayerischen Alpen und des „Muggendorfer Gebirges" (der späteren Fränkischen Schweiz) entdecken und darüber berichten. Der Tourismus im eigentlichen Sinne setzt jedoch erst ab 1880 ein, als die Eisenbahn die Anreise erleichtert und Teile der städtischen Oberschicht beginnen, immer öfter einen Sommerurlaub im Gebirge zu verbringen. Deshalb verzeichnet der Tourismus bis zum Jahr 1914 einen erheblichen Aufschwung. Davon sind jedoch nur die Bayerischen Alpen, die Fränkische Schweiz sowie einige Städte (München, Nürnberg, Augsburg, Rothenburg) und die Kurbäder betroffen – in den meisten bayerischen Regionen bleiben fremde Gäste in dieser Zeit noch ein exotisches Phänomen. Im Jahr 1922 wird der Tourismus erstmals von der bayerischen Statistik erfasst, und es werden in diesem Jahr 10,7 Millionen Übernachtungen gezählt, wobei diese Zahl spürbar niedriger als in der Vorkriegszeit liegen dürfte. Die Inflationsjahre 1923/24 und die Weltwirtschaftskrise ab 1929 wirken sich zwar auf den Tourismus negativ aus, aber er steigt in den 1920er und 1930er Jahren trotzdem erheblich an, weil jetzt die Angestellten erstmals einige bezahlte Urlaubstage erhalten und der Wintersport nun modisch wird. Das Jahr 1936/37 stellt mit 22,6 Millionen Übernachtungen den Höhepunkt der Zwischenkriegszeit dar, wobei sich die Gäste weiterhin auf die bisherigen Tourismusziele konzentrieren. Im Jahr 1949 beginnt der bayerische Tourismus mit 5,6 Millionen Übernachtungen und steigt dann sehr schnell und sehr kontinuierlich – mit einer einzigen Stagnationsphase in der Mitte der 1960er Jahre auf Grund der damaligen Rezession – bis zum Jahr 1992 auf 82,1 Millionen Übernachtungen an. Dabei wäre der Maximalwert eigentlich schon im Jahr 1989 erreicht gewesen, er wurde aber durch den Fall der Mauer noch bis zum Jahr 1992 hinausgeschoben. In dieser Zeit werden nicht nur die touristischen Betten und alle sonstigen Angebote in den traditionellen Tourismusgebieten sehr stark ausgebaut, sondern es werden jetzt auch neue Gebiete touristisch erschlossen: Dies beginnt mit den Gästen aus West-Berlin, die ab den 1950er Jahren Frankenwald und Fichtelgebirge als Urlaubsregion entdecken, und dem Aufblühen des Weintourismus in Mainfranken, dann folgt der Bayerische Wald und weitere Mittelgebirge zu Beginn der 1970er Jahre, und in den 1980er Jahren werden weitere Tourismusziele erschlossen, von denen das niederbayerische Bäderdreieck vielleicht heute am bekanntesten geworden ist. Ab dem Jahr 1992 stagnieren jedoch die Übernachtungszahlen in Bayern – wie in ganz Deutschland – und liegen bis heute im Bereich zwischen 75 und 80 Millionen Übernachtungen: weil Fernreisen sehr günstig werden, zahlreiche neue und exotische Reiseziele auf den Markt kommen und weil sich das Urlaubsverhalten sehr stark wandelt. Aber selbst in dieser Zeit werden in Bayern noch weitere Regionen touristisch neu erschlossen, besonders seit dem Jahr 2002, als ein Urlaub in Deutschland auf einmal wieder einen größeren Stellenwert erhält. Die neuen Attraktionen sind jetzt Wandern, Radfahren, Mountain-Biking, Wellness, regionale Gastronomie und kulturelle Events. Es gibt kaum noch Gebiete in Bayern ohne ein Tourismusangebot. Sehen wir uns nun die Bayerischen Alpen genauer an und legen dabei den Fokus auf die letzten 25 Jahre, also auf die Zeit 1985 bis 2009, um kurzfristige Effekte wie schneearme und schneereiche Winter oder die Fußballweltmeisterschaft auszublenden. Wie entwickelt sich diese Tourismusregion, die lange Zeit an der Spitze des bayerischen Tourismus steht, in dieser Zeit? Die folgenden Ausführungen beruhen auf der Examensarbeit von Andreas Haller am Institut für Geographie der Universität Erlangen-Nürnberg aus dem Jahr 2010, bei der die bayerischen Alpen mittels der Abgrenzung der Alpenkonvention definiert werden. Damit bestehen die bayerischen Alpen aus 285 Gemeinden und umfassen auch größere Teile des Alpenvorlandes. Die Daten des Jahres 2009 waren zum Zeitpunkt der Analyse die aktuellsten Daten; allerdings ist bei der Bewertung zu beachten, dass dieses Jahr auf Grund der Finanz- und Wirtschaftskrise mit 75,2 Millionen Übernachtungen relativ schlecht ausfiel. Im Jahr 1985 zählt man in den bayerischen Alpen 186 987 Gästebetten, deren Zahl bis zum Jahr 2009 auf 170 737 Gästebetten zurückgeht, was einen Rückgang von 8,7 Prozent bedeutet. Im gleichen Zeitraum steigt in ganz Bayern die Zahl der Gästebetten von 467 936 auf 554 972 an, was einem Wachstum von 18,6 Prozent entspricht. Besitzen die bayerischen Alpen 1985 noch 40 Prozent aller bayerischen Gästebetten, so sinkt dieser Anteil bis zum Jahr 2009 auf 30 Prozent ab. Ganz ähnlich entwickeln sich die Übernachtungen: 1985 zählt man in den bayerischen Alpen 25,0 Millionen Übernachtungen, 2009 nur noch 23,2 Millionen, was einen Rückgang von 7,7 Prozent bedeutet. Die Übernachtungen in ganz Bayern steigen im gleichen Zeitraum von 64,4 auf 75,2 Millionen an (plus 16,8 Prozent). Während im Jahr 1985 noch 41 Prozent aller bayerischen Übernachtungen in den bayerischen Alpen erzielt werden, sind es 2009 nur noch 30 Prozent. Damit verlieren die Alpen beim Tourismus in Bayern deutlich an Gewicht. Allerdings ist bei diesen Vergleichen die unterschiedliche Tourismusintensität zu berücksichtigen: Im Jahr 1985 gab es in den Bayerischen Alpen im Durchschnitt 17 Gästebetten pro Quadratkilometer, und dieser Wert sinkt bis zum Jahr 2009 nur leicht auf 15 Betten/km², während die Werte für ganz Bayern nur 6,6 bzw. 7,9 Betten/km² betragen. Es ist viel leichter, in einer Region mit wenigen oder gar keinen Übernachtungen hohe Zuwachsraten zu erzielen als in einer bereits stark touristisch ausgebauten Region. Deshalb ist es sinnvoll, die Daten der bayerischen Alpen mit denen der österreichischen Alpen zu vergleichen, die ebenfalls eine lange Tourismus-tradition besitzen. In den 1113 Gemeinden der österreichischen Alpen geht die Zahl der Gästebetten zwischen 1985 und 2005 und 6 Prozent und die der Übernachtungen um 1 Prozent zurück, und auch hier fallen die Zahlen für ganz Österreich spürbar positiver aus (Gästebetten minus 2 Prozent, Übernachtungen plus 5 Prozent), weil auch in Österreich außerhalb der Alpen in dieser Zeit neue Tourismusgebiete ausgebaut werden. Allerdings setzen sich die österreichischen Werte aus zwei gegenläufigen Entwicklungen zusammen: Der tourismusintensive Westen (Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Kärnten) verzeichnet zwischen 1985 und 2005 minus 2 Prozent Gästebetten und plus 2 Prozent Übernachtungen, der tourismusextensive Osten (Steiermark, Ober-/Niederösterreich, Burgenland) erlebt dagegen mit minus 21 Prozent Gästebetten und minus 19 Prozent Übernachtungen einen regelrechten Zusammenbruch. Vor diesem Hintergrund sind die Rückgänge in den bayerischen Alpen als moderat zu bewerten. Es lassen sich drei konkrete Ursachen für diese Rückgänge ausmachen: 1. Die Krise des Kurtourismus, die durch die bundesdeutschen Gesundheitsreformen der 1990er und 2000er Jahre ausgelöst wird. Indem die Voraussetzungen für die Gewährleistung eines Kuraufenthaltes durch die Krankenkassen sehr stark eingeschränkt werden, geht die Zahl der Kuraufenthalte sehr stark zurück. Zwischen 1985 und 2009 verlieren die zehn Gemeinden der bayerischen Alpen mit dem Prädikat „Bad" 25 Prozent ihrer Gästebetten und sogar 36 Prozent ihrer Übernachtungen. Ohne diese zehn Kurbad-Gemeinden läge der Rückgang bei den Übernachtungen in den bayerischen Alpen nur bei minus 1 Prozent. 2. Die Bevölkerung der Landkreise der bayerischen Alpen, die im Einzugsbereich von München liegen (Ostallgäu, Weilheim, Bad Tölz, Miesbach, Rosenheim) wächst seit 1985 sehr stark, weil sich das Bevölkerungswachstum der Metropole München auf Grund hoher Bodenpreise immer weiter nach außen verlagert und inzwischen längst die Alpen erreicht hat. Deshalb ist es hier einträglicher, in den Ferienwohnungen Dauermieter aufzunehmen und Hotels in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Es ist zwar statistisch nicht zu erfassen, wie viele Gästebetten und Übernachtungen dadurch verloren gegangen sind, aber es ist eindeutig zu erkennen, wie der Tourismus dadurch zurückgedrängt wird, weil er als saisonale Aktivität keine besonders hohe Wertschöpfung verzeichnet. 3. Seit etwa zwanzig Jahren sind die einfachen Fremdenzimmer der Nachkriegszeit (oft mit Etagenbad) trotz günstiger Preise auf Grund der gestiegenen Ansprüche der Gäste kaum noch zu vermarkten. Deshalb werden diese Zimmer entweder vom Markt genommen, oder mehrere Einheiten werden zu Ferienwohnungen umgebaut, wobei die Zahl der Gästebetten ebenfalls reduziert wird. Berücksichtigt man diese drei Punkte, dann kann man feststellen, dass der Tourismus in den bayerischen Alpen im Vergleich 1985 bis 2009 keinesfalls schlecht dasteht. Trotz der spürbaren Rückgänge bei den Betten und Übernachtungen und den starken Anteilsverlusten am Tourismus in ganz Bayern ist er als traditionelle Tourismusregion mit hoher Tourismusintensität etabliert. Die öffentliche Wahrnehmung dominieren allerdings meist die Probleme: Da werden zu kleine Tourismusorte beklagt, veraltete Angebote, zu wenige 4- und 5-Sterne-Hotels, zu kleine Skigebiete mit zu geringer künstlicher Beschneiung usw. Oft wird gefordert, den Tourismus in den bayerischen Alpen überall fundamental zu modernisieren, neue große Hotels zu bauen, die Skigebiete zu vergrößern, einige spektakuläre Großprojekte zu realisieren und zu diesem Zweck sportliche und andere Großveranstaltungen – darunter auch die Olympischen Winterspiele 2018 – durchzuführen, um für diesen Wandel gezielt zu werben. Diese Strategie ist jedoch problematisch, weil der Tourismus in den bayerischen Alpen trotz einiger Einbußen und Umstrukturierungen bereits eine hohe Intensität besitzt, weil die Natur der Nördlichen Kalkalpen sehr große Skigebiete unmöglich macht und weil die Konkurrenzorte im benachbarten Tirol inzwischen eine Größe erreicht haben, die bayerische Orte nicht mehr wettmachen können. Bei dieser Strategie würde man lediglich fremden Vorbildern nacheifern, ohne sie aber erreichen zu können – man würde seine eigene Identität preisgeben, riskiert die Abschreckung der eigenen, speziellen Gästegruppen, die bislang für eine konstante Nachfrage sorgen. Und auch die die Akzeptanz des Tourismus bei der Bevölkerung vor Ort wurde man aufs Spiel setzen. Stattdessen wäre es sinnvoll, das in den Mittelpunkt zu stellen, was die bayerischen Alpen ausmacht: Ein sehr hoher Anteil von naturnahen Landschaften, das Fehlen von großen Skigebieten und anderen großtouristischen Infrastrukturen mit dem dazu gehörenden Lärm und Rummel, eine sehr lange Tourismusgeschichte mit charakteristischen Tourismusformen oder die enge Verknüpfung des Tourismus mit der lokalen Kultur. Natürlich sind diese Potenziale teilweise etwas in die Jahre gekommen; man sollte sie auf eine behutsame, sanfte Weise aufwerten. Dafür gibt es zahlreiche positive Ansätze, die jedoch beim Blick auf Großprojekte zu Unrecht leicht übersehen werden. Das neue Interesse am Urlaub in Deutschland, bei dem leichte sportliche Aktivitäten mit Genusserlebnissen, Interesse an Regionalprodukten und Wellness kombiniert werden, stellt für die bayerischen Alpen eine große Chance dar.  (Werner Bätzing)

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