Unser Bayern

Obwohl die drei Nymphen Woglinde, Floßhilde und Wellgunde erst 1976, hundert Jahre nach ihrer Premiere in Bayreuth, zum erstenmal wirklich nackt auf der Opernbühne erschienen, verunglimpfte die Zeitung Vaterland die Szene schon nach der Münchner Uraufführung von Rheingold, 1869, als „Huren-Aquarium“. (Foto: Sammlung Engelbrecht)

24.07.2015

Wagner auf Miss Cosimas Busen

Prostitution im alten Bayreuth: Festpielgäste und Soldaten ließen die Kasse im Bordell klingeln

Die Prostitution als vorgeblich ältestes Gewerbe der Welt ist kein Gewerbe wie jedes andere. Davon zeugen zum Beispiel die moralischen und verbalen Verrenkungen im Schriftverkehr zwischen Behörden, Kirchen und Bordellbetreibern. Auch die Legalisierung der Prostitution im Dezember 2001 hat dieses anrüchige Gewerbe nicht von seinem unsittlichen Leumund befreit. Der „gewerbsmäßigen Preisgabe des eigenen Körpers für sexuelle Zwecke“, wie der Duden das Wesen der Prostitution definiert, wird wohl zu allen Zeiten das Odium der Kloake anhaften, mit der sie der Kirchenlehrer Thomas von Aquin einst verglichen und zugleich ihren sozialhygienischen Nutzen gewürdigt hatte. Die öffentliche Behandlung des Themas Sexualität wurde bis in die 1960er Jahre weitgehend tabuisiert. So schweigt sich verständlicherweise auch die Bayreuther Geschichtsschreibung darüber fast vollständig aus. Dabei ziehen sich die Folgen von Sünde, Laster und Lust wie ein roter Faden durch die Stadtgeschichte. In der Zeitspanne zwischen 1459 und 1974 sind die ersten zwei Jahrhunderte „gewerbsmäßiger Unzucht“ nur kärglich dokumentiert. Ab dem 18. Jahrhundert bessert sich die Quellenlage merklich. Eine voluminöse Gesetzessammlung, 1746 bis 1748 im Druck erschienen, enthält zahlreiche Artikel, in denen Unzucht, Unordnung und Hurerey nebst deren Bestrafung genau definiert werden. Die gesetzlich verordnete Sexualmoral hatte im Kern kein moralisches, sondern ein ökonomisches Ziel. Es sollte die Zeugung unehelichen Nachwuchses unterbunden werden, welcher noch mehr „Hurenbälger und Bettelsäcke“ ins Land brächte, was hieß, der Residenzstadt und dem Staat noch mehr „unnütze Esser“ aufzubürden. Doch trotz Androhung drakonischer Strafen schreckten die markgräflichen Gesetze zur Regelung des Lust- und Liebeslebens die Untertanen nur unzulänglich von unzüchtigem Geschlechtsverkehr ab.  Wie lebhaft auch in den folgenden Zeiten der illegalen Lust gefrönt wurde, berichtete erstaunt der Schriftsteller Friedrich Menk-Dittmarsch (1819 bis 1893), der bei seinem Bayreuthbesuch 1847 von den „unglaublich zahlreichen außerehelichen Geburten“ hörte; inwiefern sie „Zeugnis für den moralischen Standpunkt unserer Städter geben, wage ich nicht zu entscheiden.“ Das Wort „pornografisch“ geht auf das Altgriechische „pornographein“ zurück und heißt „über Huren schreiben“. Eine der markantesten Stationen auf einem pornografischen Streifzug durch die Stadtgeschichte ist Bayreuths beginnende Ära als Festspielstadt. Es betrat eine Person die Bühne, von der man in Bayreuth noch heute spricht, – die legendäre Puffmutter Anna Kratz. Sie führte ihr Freudenhaus mehr als 40 Jahre lang mit großem Erfolg und sorgte für die bestmögliche Selbstdarstellung ihres Etablissements nach außen. Welche Szenen sich hinter den Kulissen abgespielt hatten, erfuhr der Stadtmagistrat erst durch zeitintensive, teils scharf geführte polizeiliche Ermittlungen. Doch wann immer die Behörden ihr Bordell schließen wollten, argumentierte sie mit der Bedeutung des  Massentourismus’ zur Festspielzeit und der damit einhergehenden Gefahr für das hehrste Gut der Bayreuther Bürgerstöchter, den Verlust ihrer Jungfräulichkeit. So gesehen biete das Bordell dem paarungslüsternen Festspielgast eine preisgünstige Alternative in gepflegtem Ambiente. Außerdem: Es sei nicht zuletzt der soziale Ruin „gefallener Mädchen“, der den Bordellen stets neue „Ware“ zuführe. Indes entfaltete sich die „vergorene Residenz“, wie Festspielbesucher Fontane die Stadt abkanzelte, nur allmählich zur „Weltstadt auf Zeit“. Das Bordell, das wesentlich dazu beitragen sollte, die Provinzmetropole auf Weltstadtniveau zu heben, wurde erst zehn Jahre nach des Meisters Tod etabliert. Zu Richard Wagner Lebzeiten besaßen Städte in der Größenordnung Bayreuths schon längst öffentliche Häuser, sogar die Bischofsstadt Bamberg hatte ihren „Puff“. Doch Bayreuth, das  „malerische Drecksnest“ (Fontane) steckte noch tief in seiner biedermeierlichen Lustfeindlichkeit. Wie die sich gebärdete, zeigte sich beispielhaft am Lebenslauf der „liederlichen Lustdirne“ Aline G. Über 30 Jahre lang stand sie unter strenger polizeilicher Beobachtung. Weil sie von ihrem abscheulichen Laster der Prostitution trotzdem nicht lassen wollte (oder konnte), wurde sie mehrfach bei Wasser und Brot arrestiert, ausgepeitscht, ins Arbeitshaus gesteckt und schließlich zu einer Zuchthausstrafe verurteilt.
Dabei war Bayreuths erstes historisch fassbares Bordell 1520 sogar auf Befehl des Markgrafen, Casimir, ins Leben gerufen worden. Allerdings offenbart bereits dessen Beiname „Bauernschlächter“, welch übel beleumdeter Geselle der fürstliche Bordellgründer war. Immerhin verhalf er Bayreuth zu seinem ältesten Straßennamen, der „Frauengasse“, benannt nach dem Frauenhaus, wie im Mittelalter die Bordelle hießen. Das historische Frauenhaus existiert immer noch, dient aber inzwischen andern Zwecken. Doch zurück ins gründerzeitliche Bayreuth und zu den Festspielen. Richard Wagners Freund und späterer Gegner Friedrich Nietzsche mutmaßte, Wagner sei vom „Durst nach verzückter Sinnlichkeit“ zum Komponieren getrieben worden, seine Musik sei „die wollüstigste Art Rausch“. Tatsächlich spielt die geschlechtliche Liebe die zentrale Rolle in allen Musikdramen des Meisters. Es gäbe „kaum eine musikalische Sequenz“, der man nicht „das Stoßen koitalen Verkehrs ablauschen“ könne, urteilte der Journalist und Verleger Rudolf Augstein (1923 bis 2002) über Wagners Musik. „Jeder Maulwurfshügel ist auch ein Venushügel, Klingsors Zaubergarten ein Bordell wie Walhall“. Kein Wunder, dass der erotisch-sexuelle Gehalt dieser klingenden Verführung nicht nur die internationalen Eliten anzog, sondern auch die Halbwelt interessierte. So berichtete das Bayreuther Tagblatt, dass eine "Miss Cosima" ihren „stattlichen Busen, auf dem höchst porträtähnlich der Kopf Richard Wagners in natürlicher Größe eingeätzt ist“, für drei Mark zur Besichtigung freigab. „Sie führt diese wohl merkwürdigste aller Wagner-Büsten seit einer Woche in Bayreuth und Umgebung spazieren und soll glänzende Geschäfte damit machen." Der reisende Weinhändler Josef Kratz, 31, aus Litschkau/Böhmen, lauschte dem musikalisch-erotischen Lockruf Bayreuths besonders aufmerksam. Seine eigentliche Spezialität war das Geschäft mit dem Sex. Kratz hatte vor Ankunft seiner Frau Anna, 30, einer ausgedienten „Schanddirne“ und Bayreuths künftiger Bordellwirtin, das Terrain sorgfältig sondiert und sowohl den Bedarf an Sex als Ware als auch die Kaufkraft der kleinen Großstadt für gut befunden: Im Sommer würden Abertausende von Festspielgästen zu Buche schlagen, ganzjährig befänden sich 2000  stationierte Soldaten in sexuellem Notstand,  und die bodenständige Bevölkerung in Stadt und Land, das zeigten die erhaltenen Akten, hatte das Bordell auch gerne besucht. Am 10. April 1892, drei Tage nach Erscheinen der Eheleute Kratz nebst Mutter Kratz als Köchin, ging Bayreuths erstes Bordell der Neuzeit in Betrieb. Erst Jahre später kam ans Licht, dass Josef Kratz mit einem Ring böhmischer Mädchenhändler zusammenarbeitete. Die Polizei konnte dem einschlägig vorbestraften Kratz allerdings nichts nachweisen. Doch kaum, dass die polizeilichen Nachforschungen eingestellt worden waren, weisen die amtlich geführten Zugangsregister ab April 1910 nur noch Prostituierte deutscher Nation aus; in den fünf Jahren zuvor waren über 90 Prozent der erfassten Dirnen böhmischer Herkunft gewesen... (Wilfried Engelbrecht) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Juli/August-Ausgabe von "Unser Bayern" (BSZ Nr. 30 vom 24. Juli 2015)

Kommentare (1)

  1. 500 am 27.07.2015
    Das war mal interessant !
    In diesem kleinen Städtchen sind ja wirklich Dinge vorgefallen, die man aufmerksam lesen sollte.
    Wie ist es denn bei euch in der Stadt-im Ort ?
    Habt ihr auch eine Prostitutions-Geheimnis-Geschichte ?
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