Unser Bayern

In den auffälligen Grabenstrukturen untersuchte man die dort eingeschwemmten Schichten und entdeckte zahlreiche archäologische Objekte. Aus der Spätzeit des römischen Kanalsystems in Augsburg, nämlich aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts stammen die vier Bronzebeschläge einer Gürtelgarnitur, hier vergrößert abgebildet (original: etwa 5 Zentimeter lang). (Foto: Stadt Augsburg/Stadtarchäologie)

24.05.2018

Wasser auf die Mühlen

Über ein kilometerlanges Grabensystem holten die Römer Brauchwasser in ihr Castrum am Lech

Wie in jeder Hochkultur war bereits in der römischen Antike der Bedarf an Wasser enorm. Man benötigte es als Nahrungsmittel und zur Nahrungszubereitung sowie zur Hygiene. Der regelmäßige, zumeist sogar tägliche Besuch eines Bades war in den römischen Provinzen wichtiger Bestandteil der Alltagskultur, wovon zahlreiche Grabungsfunde zeugen. So sind in nahezu jeder römerzeitlichen Siedlung Bayerns, selbst in den vielen Gutshöfen (villae rusticae), regelhaft Badegebäude nachweisbar, die über mindestens drei unterschiedlich temperierbare Räume mit jeweils dazugehörigen kleinen Becken oder Wannen verfügten. Im privaten wie im öffentlichen Raum inszenierte man in der Antike Wasser gerne zu repräsentativen Zwecken. Zierbrunnen, künstliche Teiche und Wasserspiele sollten zeigen, was man sich leisten konnte.

Ähnlich wie heute hatten jedoch die gewerblichen Betriebe den weitaus größten Bedarf an Wasser. Man benötigte es als Kühl-, Lösungs- und Reinigungsmittel bei der Produktion und Verarbeitung von Textilien, Leder, Metallen, Holz, Korbwaren, Glas, Tongefäßen, Ziegeln, Mörtel und Lebensmitteln. Fließendes Wasser nutzte man außerdem als Antriebsenergie für Mühlen, Sägen und Drehbänke und zum Spülen der Latrinen – ein Hygienestandard, der bei uns erst wieder im 19. Jahrhundert erreicht wurde.

Augsburger Quellen

Unter der Herrschaft von Kaiser Augustus wurde kurz nach der Zeitenwende am Zusammenfluss von Lech und Wertach ein Castrum angelegt, aus dem sich später die Hauptstadt der Provinz Rätien, Augusta Vindelicum, entwickelte – das heutige Augsburg. Der römische Kern der Stadt liegt auf der nördlichen Spitze einer risseiszeitlichen Hochterrasse, die die Talauen von Lech und Wertach um 20 Meter überragt und im Süden bis nach Igling reicht (siehe Abbildung Seite 17). Auf der Hochterrasse gibt es keine dauerhaft fließenden Oberflächengewässer. Das Grundwasser findet sich in einer Tiefe von 10 bis 12 Metern und ist daher nur über aufwändige Brunnenschächte erreichbar.

Die ehemaligen Wildflüsse Lech und Wertach waren vor ihrer Regulierung zur geregelten Wasserentnahme nur bedingt geeignet, da sie sehr breite Flussbetten aufwiesen, die zudem durch saisonale Wechsel von extremen Hoch- und Niedrigwassern einem ständigen Wandel unterworfen waren. Auch die wasserreichen Landschaften jenseits von Lech und Wertach scheiden zur Wasserversorgung der Stadt aus, da dafür die drei beziehungsweise sechs Kilometer breiten und 20 Meter tiefen Talebenen sowie die gefährlichen Flussläufe selbst mit extrem aufwändigen Bauwerken überbrückt werden müssten.

Angeregt durch die eindrucksvollen Relikte römischer Aquädukte im Mittelmeerraum ging man zunächst selbstverständlich davon aus, dass auch das Municipium Aelia Augusta eine vergleichbare Zuleitung besessen haben musste. So schrieb der antikenbegeisterte Augsburger Stadtbaurat Franz Joseph Kollmann 1850: „Eben so wenig läßt sich bezweifeln, daß die hydrotechnischen Bauwerke hier gleichen Schritt mit den übrigen römischen Prachtbauten gingen.“ Der Nachweis dafür blieb aber aus. Vielmehr wurden zwischen 1930 und 1970 an mehreren Stellen innerhalb der römischen Stadt und auf der südlich angrenzenden Hochterrasse Spuren von ehemals wasserführenden Gräben beobachtet, in deren Sedimenten große Mengen römischer Funde, wie Fragmente von Keramikgefäßen, Münzen, Fibeln, Beschläge vom Pferdegeschirr und vieles mehr entdeckt wurden. Die Objekte wiesen häufig Sinterablagerungen auf, was auf eine längere Lagerung in fließendem, stark kalkhaltigem Gewässer schließen lässt.

Untersuchung eines Wassergrabens

In der Bayerstraße im Augsburger Stadtteil Göggingen konnte 2011 erstmals eine sorgfältige archäologische Untersuchung der auffälligen Grabenstrukturen erfolgen (Fotografie Seite 17). Dabei ließen sich in zwei Hauptgräben zwölf unterschiedliche Gerinne differenzieren. Sie waren in die eingeschwemmten Schichten der jeweils älteren Gerinne eingetieft worden. Auch bei den neueren Grabungen waren die Menge und die Qualität des Fundmaterials aus den Sedimenten bemerkenswert. Fibeln und Münzen vom 1. bis 4. Jahrhundert, Gürtelbeschläge, ein vollständiger Armreif und ein funktionsfähiges Pflugmesser (Sech) wurden vermutlich absichtlich, vielleicht aus religiösen Gründen, im Gewässer deponiert. Große Mengen an Gefäßkeramik und Tierknochen mit Schlachtspuren lassen dagegen eher an Abfallentsorgung denken.

Anhand der Abmessungen des Gerinnes und seines Gefälles von durchschnittlich drei Promille (drei Meter Höhenunterschied auf 1000 Metern) lässt sich der Durchfluss des Kanals in einer Größenordnung von etwa 1000 Liter pro Sekunde (ein Kubikmeter pro Sekunde) bestimmen. Man muss sich den Kanal als offenen Graben mit sanften Böschungen und einem etwa zwei Meter unter Gelände liegenden Wasserspiegel vorstellen.

Spuren einer Wassermühle

Bei den Ausgrabungen 2011 konnten außerdem mehrere Hinweise auf den Standort einer Wassermühle festgestellt werden. So waren im Gerinne massive Holzpfosten zu beobachten, die sicher nicht zum Uferverbau, sondern als Stützen einer schweren Konstruktion dienten. An der Gerinnesohle hatten sich zudem fast 20 Zentimeter dicke Sinterbänke aus Kalkausfällungen gebildet, die in fließenden Gewässern nur in Bereichen mit hohem Sauerstoffeintrag (Wehre, Mühlräder usw.) entstehen.

Des Weiteren bestand ein Großteil der Gerölle, die zur Sohlenstabilisierung eingebracht worden waren, aus Lechbrucker Sandstein, ein auf der Augsburger Hochterrasse nicht vorkommender Molassesandstein aus der Gegend von Lechbruck und Steingaden. Er wurde in Rätien bevorzugt für Mühlsteine verwendet. Römische Wassermühlen sind nördlich der Alpen hinlänglich belegt, in der näheren Umgebung liegen Nachweise für Bobingen, Dasing, München-Perlach und Etting (bei Ingolstadt) vor.

Ursprung des Kanals

Wie bereits erwähnt, verfügt die Augsburger Hochterrasse aufgrund ihrer geologischen Struktur über keinerlei Oberflächengewässer. Für eine ständige Wasserzufuhr des Kanals in der errechneten Größenordnung von einem Kubikmeter pro Sekunde (1 m³/s) kommt daher nur die Speisung aus einem Fließgewässer in unmittelbarer Nähe der Hochterrasse in Betracht. Günstige Bedingungen bietet hierfür das Flüsschen Singold. Sie entspringt bei Waal (Landkreis Ostallgäu), entwässert den Stoffersberg, eine Hügelkette westlich von Landsberg am Lech, und fließt danach entlang des westlichen Hochterrassenfußes bis nach Augsburg. Ihr durchschnittlicher Abfluss beträgt 2,16 m³/s, auch in niederschlagsarmen Zeiten führt sie noch 1,22 m³/s. Mittels eines Hangkanals, also eines künstlichen Gerinnes, das – ähnlich einem Mühlkanal – mit geringerem Gefälle als das natürliche Fließgewässer am Hang entlanggeführt wird und so mit zunehmender Strecke an Höhenunterschied gewinnt, ließe sich die Differenz von etwa zehn Metern von der Singold zur Hochterrasse mühelos überwinden.

Wo sich in römischer Zeit der Singoldanstich befand, wäre noch zu klären. Westlich von Igling finden sich Spuren eines Hangkanals, der jedoch nicht datiert ist. Römische Zeitstellung vorausgesetzt, betrüge die Gesamtlänge des Kanals bis Augsburg über 45 Kilometer.

Weiterer Verlauf

Die Hochterrasse weist von Igling (600 m ü. NN) bis Augsburg (491 m ü. NN) ein gleichmäßiges Gefälle auf. Die Trassierung des Kanals als Gefälleleitung war daher eine verhältnismäßig einfache Aufgabe. Der Kanalverlauf lässt sich durch Luftbilder und lasergestützte Oberflächenvermessung (Airborne Laser Scan) rekonstruieren. Demnach folgte er von Hurlach bis auf die Höhe von Königsbrunn dem Scheitel der Hochterrasse nahe ihrer östlichen Kante (siehe Abbildung rechts). Südwestlich von Haunstetten schwenkte der Kanal nach Westen, wo er in der Nähe des heutigen Hauptbahnhofs auf die Fernstraße von Cambodunum/Kempten traf und dieser in Richtung Innenstadt folgte.

Spuren im Gelände

Der tiefe Einschnitt des Kanalgrabens war schon in der frühen Neuzeit ein auffälliges Geländemerkmal und wurde deshalb in Karten vermerkt. Vermutlich ist auch der Ortsname von Graben im Landkreis Augsburg auf diese ehemalige Kanaltrasse zu beziehen. Die seit dem 19. Jahrhundert stetig intensivierte Landwirtschaft führte auf den Ackerflächen, die der Kanal durchzieht, allerdings zu starker Bodenerosion. Daher ist der Graben heute im Ackerland weitgehend aufgefüllt und an der Oberfläche kaum mehr zu erkennen. Lediglich in einem Waldstück ... (Sebastian Gaierhos)

Abbildung: Der römische Kern der Stadt Augsburg liegt auf der nördlichen Spitze einer risseiszeitlichen Hochterrasse, die die Talauen von Lech und Wertach um 20 m überragt und im Süden bis nach Igling reicht. (Foto: Stadt Augsburg/Stadtarchäologie)

Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Ausgabe März/April von  UNSER BAYERN, die der BSZ Nr. 9 vom 2. März 2018 beiliegt.

Weitere Themen im Heft:

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- Flammender Wahnsinn. Sex & Crime in Irrenlohe: Wie ein oberpfälzer Bahnhof den Opernkomponisten Franz Schreker inspirierte

„Wir hauen unser Recht“. Rigides Vorgehen des Militärs und Prozesse gegen Journalisten: Die „Fuchsmühler Holzschlacht“endete im handfesten Skandal

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