Unser Bayern

An die Uhren der Münchner Frauenkirche legte das Münchner Kindl Hand an. Ausschnitt aus einer zeitgenössischen Postkarte - die komplette Abbildung sehen Sie im Beitrag. (Foto: Archiv Oelwein)

24.03.2016

Wer hat an der Uhr gedreht?

1916 wurde in Deutschland erstmals die Sommerzeit eingeführt. Probleme bereitete die Geltungsdauer von Fahrkarten

Alle Jahre die Diskussion für und wider die Sommerzeit. Doch in der Nacht vom 26. auf den 27. März ist es erneut soweit: Die Uhr wird um eine Stunde vorgestellt. In diesem Jahr fällt der Beginn der Sommerzeit allerdings nicht nur auf Ostern – die Zeitumstellung kann gewissermaßen auch ihren 100. Geburtstag feiern. Das erste Mal wurden hierzulande die Zeiger nämlich 1916 vorgestellt: Grund genug, einen Blick – nicht auf die Uhr – sondern die Zeit zu werfen. Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Jahre kennt man seit Langem. Doch ganz so genau nahmen es unsere Vorfahren mit der Zeitrechnung nicht. Der Tag begann mit dem ersten Hahnenschrei bei Aufgang der Sonne und endete mit deren Untergang. Die Mitte des Tages, zwölf Uhr, war dann, wenn die Sonne am höchsten stand. Die Stunden verkündete die Sonnenuhr, die bereits die alten Sumerer vor 6000 Jahren kannten. Oder der Schlag der Kirchturmuhr. Oder der Nachtwächter. Nach und nach wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Uhren zur exakteren Zeitbestimmung erfunden. Zunächst waren das äußerst teuere Einzelstücke.

Auf die Minute kam's nicht an

Der Normalbürger kam erst seit Ende des 19. Jahrhunderts langsam in den Genuss eines eigenen Zeitmessers. Den Knechten und Mägden auf dem Feld wurde jedoch noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein durch die Glocke auf dem Giebel des Bauernhauses heimgeläutet. Dann war Feierabend. Auf die Minute genau kam es dabei nicht an. Nun stand aber die Sonne nicht überall zur gleichen Zeit im Zenit. Jeder Ort hatte gewissermaßen seine eigene Zeit, und das bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Selbst innerhalb von Deutschland gab es verschiedene Zeiten. In Bayern galt die „Münchner Zeit“, in Preußen die „Berliner Zeit“ – die sieben Minuten voraus war. Bei uns in Bayern gingen die Uhren also tatsächlich schon immer etwas anders.

Komplizierte Rechnung nach Zeitzonen

Das war solange unerheblich, solange man nur wenig miteinander zu tun hatte. Die Reisegeschwindigkeit von Postkutschen oder gar von Fußwanderern war so gering, dass ein paar Minuten früher oder später nicht auffielen. Und die Auswanderer kannten zwar jede Menge Probleme – Jetlag gehörte mit Sicherheit nicht dazu. Ob Postboot oder Seelenverkäufer – die Schiffe dampften oder segelten langsam über die Weltmeere. Jeden Tag Richtung Westen ging die Sonne für sie ein paar Minuten später auf, dafür aber auch ein paar Minuten später wieder unter. Wenn man dann nach ein paar Wochen jenseits des „großen Teichs“ angelangt war, hatte man gar nicht gemerkt, dass man sich in einer anderen Zeitzone befand. Erst mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes beziehungsweise dem Bau der Union Pacific, Great Western und anderer transamerikanischer Railways in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sollten die Fahrpläne an allen Stationen Gültigkeit besitzen, wozu auch die Zeit einheitlich geregelt werden musste. Deshalb wurde 1884 auf der Internationalen Meridiankonferenz in Washington D. C. die Einteilung der Welt in 24 Zeitzonen beschlossen. Als Nullmeridian wählte man den Meridian durch Greenwich, der fortan der Bezugsmeridian für die Unterteilung der Erde in Zeitzonen blieb. In dem Londoner Vorort stand seit 1675 das königliche Observatorium. Und seit 1833 fiel auf dem dortigen Dach die lederbezogene Zeitkugel Punkt 13 Uhr herunter. Danach konnten die Schiffe auf der Themse ihre Schiffs­chronometer auf die exakte Greenwich Mean Time (GMT) ausrichten. 1919 durch eine rote Aluminiumkugel ersetzt, fällt sie bis heute pünktlich, auch wenn sich die Zeit inzwischen nicht mehr nach GMT richtet, sondern nach der koordinierten Weltzeit (UTC).

Im Interesse der Volksgesundheit

Deutschland hatte Glück, weil es relativ klein ist. Das ganze Land passt in eine einzige Zeitzone. Russland dagegen hat elf verschiedene Zeitzonen. Andere große Länder wie China haben das Problem anders gelöst: Egal, wie weit eine Region von der Hauptstadt Peking entfernt liegt – landesweit muss man sich nach der dortigen Zeit richten. Seit dem 1. April 1893 gilt in Deutschland per Gesetz einheitlich die Mitteleuropäische Zeit (MEZ). Das heißt nicht ganz: Seit 1916 herrschte immer wieder einmal die Mitteleuropäischen Sommerzeit – kurz MESZ. Der erste Versuch eine Sommerzeit einzuführen wurde im Deutschen Kaiserreich unternommen. Fünf Jahre lang hatte man „im Interesse der Volksgesundheit und der Ersparung des künstlichen Lichtes“ darüber nachgedacht. Man errechnete, dass durch die Verringerung von künstlichem Licht jährlich rund 80 Millionen Mark eingespart würden. Die eingesparten Mengen an Petroleum könnte man im darauf folgenden Winter wieder gut brauchen. Am 6. April 1916 schließlich einigte man sich im Bundesrat auf die Einführung einer Sommerzeit in Deutschland. Österreich-Ungarn, Holland und Rumänien schlossen sich dem deutschen Beispiel an, Dänemark folgte zwei Wochen später. Im Kriegsjahr 1916 wurde die Uhr in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai um eine Stunde vorgestellt – das sollte so bleiben bis Ende September. Drei Jahre lang ging das so.

Geringes Medienecho

Als die Sommerzeit 1916 eingeführt wurde, war das Medienecho relativ gering. Nur vereinzelt gab es Kritik, die schon damals vor allem an den Melkzeiten der Kühe festgemacht wurde. Neben praktischen Tipps gab es nur kurze Berichte, wie etwa in der Ingolstädter Zeitung vom 9. April: „Der Bundesrat beschloss, dass in der Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1916 an Stelle der mitteleuropäischen Zeit, die in Deutschland durch das Reichsgesetz vom 12. März 1893 eingeführt ist, als gesetzliche Zeit die mittlere Sommerzeit des 30. Längengrades östlich von Greenwich gelten soll. Das bedeutet, dass die Uhren für diese Zeitspanne vorzustellen sind. Demgemäß wird der 1. Mai 1916 bereits am 30. April 1916 nachmittags 11 Uhr beginnen, der 30. September 1916 aber um eine Stunde verlängert werden, damit am 1. Oktober die mitteleuropäische Zeit wieder in Kraft treten kann.“ Man wählte diese Tage, obwohl sie nicht auf ein Wochenende fielen, weil sie mit dem Wechsel des Sommer- beziehungsweise Winterfahrplan der Eisenbahn zusammenfielen. Und die Nachtstunden boten sich an, weil da die wenigsten Züge verkehrten. Ausführlich erschienen Erklärung zur Erleichterung der Umstellung. Nur vereinzelt wurden Befürchtungen laut, dass vor allem in Geschäften und Fabriken die Vorteile der eingeführten Sommerzeit durch Verlegung der Geschäftsstunden wieder zunichte gemacht würden. Von amtlicher Seite wollte man jedoch aufmerksam darüber wachen, dass die üblichen Geschäftszeiten nicht plötzlich vom 1. Mai an andere würden. Auch die Bauern hatten Fragen: Wann etwa sollten sie nun die Milch in die Stadt liefern? Vertreter von Landwirtschaft und Milchhandel wurden im Bayerischen Verkehrsministerium vorstellig, um die Morgenzugverbindungen in die Städte verlegen zu lassen, um die ausreichende Versorgung der Städter mit Milch zu gewährleisten.

Wie lang gilt die Fahrkarte?

Die größte Sorge aber galt den Eisenbahnfahrkarten: Der 30. April 1916 endete schon um 23 Uhr nach der normalen Zeitrechnung. Zu diesem Zeitpunkt lief selbstverständlich auch die Geltungsdauer der Fahrkarte ab, deren letzter Geltungstag der 30. April war. Dies galt für Fahrkarten aller Art, auch für Monatskarten. Und die Zeitung warnte: „Ist die Reise bis 30. April 11 Uhr nachts nicht vollendet, so darf sie nur mit einer für den 1. Mai gültigen Fahrkarte fortgesetzt werden.“ Verwirrend war das Hin- und Herrechnen schon. Und deshalb veröffentlichten die Zeitungen sogar Tabellen mit Angaben der Sonnenstunden – die allerdings noch verwirrender waren.
Irgendwie schaffte man die Umstellung dann aber doch. Viele stellten schon am Nachmittag die Uhren um. Die Sommerzeit bot Gesprächsstoff auf dem Sonntagsspaziergang bei herrlichem Wetter. Und die Münchner Neuesten Nachrichten resümierten: „Für jeden einzelnen war es ein von einer gewissen Feierlichkeit erfüllter Augenblick, als er gewichtig die Uhr aus der Tasche zog, sie sorgfältig vorstellte.“ Dann das Schauspiel in der Nacht: „Auf dem Marienplatz hatte sich gegen 11 Uhr eine ziemliche Menschenmasse angesammelt, die erwartungsvoll zu dem hell beleuchteten Zifferblatt des alten Rathausturms hinaufschaute. Ihre Erwartung wurde nicht enttäuscht.“ Um 23 Uhr lief der Minutenzeiger ganz schnell um das ganze Zifferblatt und die zwölf Mitternachtsschläge hallten, „dröhnend erwidert vom Petersturm und mit großem Jubelgeschrei begrüßt von den angesammelten Menschen“.

Der 25-Stunden-Tag

Ende September 1916 war die erste deutsche Sommerzeit wieder vorbei und die Zeitungen vermeldeten, dass mit Ablauf des 30. Septembers die mitteleuropäische Zeit wieder in Kraft trete – eine Stunde nach Mitternacht. Der Tag hatte also 25 Stunden. In amtlichen Dienststellen mit Nachtdienst mussten die Uhren eine Stunde nach Mitternacht zurückgestellt werden; bei Dienststellen ohne Nachtdienst waren die Uhren abends beim Verlassen des Dienstraums um eine Stunde zurückzustellen. Das allgemeine Fazit war, dass man sich an die neue Sommerzeit ausgezeichnet gewöhnt hatte. Man fürchtete nun, dass man die Dunkelheit, die auf einen Schlag um eine Stunde früher eintrat, als unangenehm empfinden werde. Doch die Zeitung tröstete: „Mit der Zeit werden wir uns allerdings auch daran wieder gewöhnen. Im übrigen hat die Rückrechnung zur alten Zeit auch ihr Gutes, namentlich für trunkfeste Stammtischgäste, für die am 30. September der Abend eine volle Stunde länger währt als sonst.“ 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, wurde die Sommerzeit wieder eingestellt. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs führte man sie erneut aus ökonomischen Gründen ein. In der unmittelbaren Nachkriegszeit herrschte in Deutschland richtiges Zeitchaos. Die drei westlichen Besatzungszonen bekamen die Sommerzeit verordnet. In der sowjetischen Besatzungszone und in Berlin dagegen galt die Moskauer Zeit – sie ist uns zwei Stunden voraus. Zwischen Ost- und Westdeutschland klaffte also eine nicht unerhebliche Zeitlücke. Darüber hinaus gab es zwischen 1947 und 1949 auch noch eine Hochsommerzeit: Vom 11. Mai bis zum 29. Juni wurde die Uhr um eine weitere Stunde vorgestellt. Das Zeitdurcheinander wurde vor allem durch die Ausnutzung des Tageslichts legitimiert. In der Nachkriegszeit mit ihrem Mangel an Lampen und Kerzen, Strom und Gas war das Tageslicht nötiger denn je. Doch dann kamen die Jahre des Wirtschaftswunders... (Cornelia Oelwein) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Märzausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 12 vom 24. März 2016) Abbildungen:
An die Uhren der Münchner Frauenkirche legte das Münchner Kindl Hand an. (Foto: Archiv Oelwein) Redensartlich nach dem Mond, also willkürlich, gingen die Uhren freilich nicht, als sie am Nachmittag des 30. April schlagartig eine andere Zeit anzeigten: Damals wurde erstmals in Deutschland die Sommerzeit eingeführt. Da blickte selbst der Mond nicht mehr so recht durch, will wohl diese Postkarte sagen.                     (Foto: Archiv Oelwein)

Kommentare (1)

  1. keiner am 18.09.2016
    Sehr geehrte Damen und Herren!
    Betr. "Wer hat an der Uhr gedreht". In diesem Beitrg Ihres sonst sehr geschätzten Magazins hat mich ssehr gestört die Einseitigkeit, verbunden mit unterschwelliger Lächerlichmachung derer, die sich einsetzen für die Normalzeit, tendenziös "Winterzeit" genannt. Die überwältigende Mehrheit von Exoerten und Betroffenen weist immer wieder, bisher leider vergeblich, darauf hin, dass die sog. Sommerzeit nicht nur überflüssig, sondern in mehrerer Hinsicht schädlch ist.
    Mit freundlichen Grüßen
    eine Leidtragende
    Marion Gras-Racic´
    86567 Hilgertshausen
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