Unser Bayern

„Die Art, wie er dirigierte, hat in der Bewegung wie in der scheinbaren Ruhe etwas Imperatorisches, das sich nicht nur dem Orchester mitteilt“, charakterisierte der Knappertsbusch-Biograf Walter Panofsky den Stil des Maestro. (Foto: SZPhoto)

22.02.2013

Zwei Meter Genialität auf Socken

München und Hans Knappertsbusch: Dreimal wurde der Dirigent dort abgesetzt: von den Nazis, den Amis – und von sich selbst

"Knappertsbusch muss weg!", notierte Joseph Goebbels am 31. Oktober 1934 in sein Tagebuch. Wie hatte sich der bayerische Generalmusikdirektor auf Lebenszeit die Huld des „Schrumpfgermanen" (wie Goebbels abschätzig tituliert wurde) verscherzt? Als sich Ende 1935 in Clemens Krauss ein Hitler genehmer Dirigent von Rang fand, musste der in Ungnade Gefallene einen „Erholungsurlaub" antreten. Im Februar 1936 informierten die Zeitungen: „Der Herr Reichsstatthalter hat den GMD Hans Knappertsbusch in den Ruhestand versetzt" – „in den Ruhestand getreten" korrigierte der Geschasste. Blättern wir in der Biografie des Dirigenten (1888 bis 1965) bis zu dieser Lebenszäsur: Hans Knappertsbusch wurde am 12. März 1888 als zweiter Sohn von drei Kindern der wohlsituierten Brennereibesitzer Gustav und Julie Knappertsbusch in Elberfeld (Wuppertal) geboren. Die Eltern mögen erstaunt gewesen sein, welche Talente er zu erkennen gab: Nach der Kindertheaterphase mauserte sich der hoch geschossene Sprössling zum Leiter des Schulorchesters, pilgerte im Sommer 1906 zum ersten Mal auf den Grünen Hügel nach Bayreuth und durchfieberte Tristan und Isolde – es war um ihn geschehen.Parsifal" ab. Den Doktorhut bescherte sie allerdings nicht, denn noch vor dem Rigorosum berief ihn seine Geburtsstadt als Dirigent und er ersetzte den akademischen Kopfschutz durch einen Kalabreser-Hut, der bis zum Lebensende zu seiner distinguierten Erscheinung gehörte wie im Alter ein Spazierstock, Handschuhe und die Perle in der sorgsam gebundenen Krawatte. Martha am 30. September.1913. Wenig später vertraute ihm der Intendant eine Uraufführung an und im Januar 1914 den zweiten und dritten Aufzug von Parsifal, hatte doch der Pultkollege nach dem ersten kapituliert. Der Einspringer erwies sich als Heilsbringer und dirigierte fortan alle drei Aufzüge – zum letzten Mal in Bayreuth am 13. August 1964. „Wer wagnert, gewinnt": Knappertsbusch unterzog Musiker und Publikum strengen Wagner-Exerzitien, binnen zweier Spielzeiten allen von Bayreuth kanonisierten neun Opern, während Häretiker sich mit welschem Tand wie Tosca oder ihres Wagner-Missionars ersten Annäherungen an Richard Strauss (Salome, Rosenkavalier) begnügen mussten.Zauberflöte einstudierte, ließ er die Koloraturen der nächtlichen Königin so gemächlich funkeln, dass Erika Köth zu widersprechen wagte: „Das kann ich nicht singen". Knappertsbusch knurrte: „Wenn du die Einleitung rascher singst, kriegst du dein Presto". Ein Wiener Philharmoniker erzählte ihr später: „Über die Takte Zum Leiden bin ich auserkoren, denn meine Tochter fehlet mir hat ,Kna‘ schon bei uns in Wien 1941 weg dirigiert."Mimi und Madame Butterfly, die Liaison mit Aida hingegen überdauerte Jahrzehnte. Noch 1951 wollte er sie in München auffrischen. Im Konzertprogramm findet sich erstmals Mahler, die „Vierte" sollte freilich die einzige von dessen Symphonien sein, die er je dirigierte.Fidelio im Nationaltheater am 6. Juli 1964. Paul Ehlers (Münchner Neueste Nachrichten/MNN) erkannte als eine seiner wesentlichen Eigenschaften die „suggestive Gewalt, die er über das Orchester übte". Ihm lag das Improvisieren nah und er übte es mit Virtuosität und prägnanter Dirigiertechnik aus.Tristan und Isolde. Das Publikum lernte erstmals eine es irritierende Eigenschaft des neuen Maestros kennen: Er zählte zur raren Spezies der Vorhangverweigerer, überließ Sängern und Orchester den Applaus. Aber er bekannte sich ostentativ zu Korngold, als die erste Novität der Saison Die tote Stadt von Nazirabauken geschmäht wurde. Den ahnungsvollen Brief des jungen Komponisten hatte er aufbewahrt: „Ihr Handschlag und Ihre spontane Umarmung vor dem Vorhang hat viele Kränkungen, die ich Jahre hindurch auf meinem (Haken-) Kreuzweg zu erdulden hatte (und weiter erdulden muss) gutgemacht." Cavalleria rusticana und Bajazzo. Die modische Händel-Renaissance begann und beendete er mit Julius Cäsar, Das Mädchen aus dem goldenen Westen fand er interessanter als Turandot. Von den zwölf Uraufführungen seiner Ägide sind zwölf vergessen, auch Pfitzners Das Herz. Doch Richard Strauss konnte endlich mit seiner Vaterstadt zufrieden sein. Denn zum ersten spielte Knappertsbusch Skat und zum zweiten interpretierte er seine Werke oft und gern, wenn auch oft langsam. „Salome zum Mitschreiben" seufzte einmal der Komponist. Die Freundschaft zerbrach, weil Strauss seinem Paladin nie die Ehre einer Uraufführung zukommen ließ.(Klaus Adam) Das Philosophiestudium in Bonn fesselte ihn weniger als die Dirigierklasse von Fritz Steinbach in Köln: 1909 bis 1912 assistierte er Siegfried Wagner und – musikalisch folgenträchtiger – Hans Richter bei den Bayreuther Festspielen. Von dem damals 70-jährigen Doyen mag er den „großen Atem" erfahren, seinen Sinn entwickelt haben für das ausdrucksnuancierte dahinströmende Gefühl und die finstergroße Gewalt, für das leise Beredte des „Orpheus des heimlichen Elends", für den dramatischen Elan, die spannungsberstenden Steigerungen, die mythische Größe von Gestalt und Musik. Als er in München 1955 – Birgit Nilsson sang erstmals alle Brünnhilden – den Trauermarsch aufgipfelte, sich am Pult reckte, flüsterte sie ihrer Kollegin Leonie Rysanek zu: „Zwei Meter Genialität auf Socken". Aus Jugendtagen haben sich einige Kompositionen erhalten. Doch die Lust am Dirigieren war stärker als zu komponieren. Das Repertoire lässt sich von 1910 an rekonstruieren: Knappertsbusch hat in ein Büchlein penibel eingetragen, wann und wo er ein Werk zum ersten Mal aufführte. Für Januar bis April 1911 lässt sich aus Mühlheim Erstaunliches melden: im Gasthaussaal Kirchholten dirigierte der 23-Jährige binnen elf Wochen zwölf verschiedene Werke; den Orchesterpart bestritt die Kapelle des 8. Lothringischen Infanterie Regiments Nr. 159: Die „Schimmernde Wehr" von Wilhelm II. einmal ganz anders? 1912 schloss Knappertsbusch seine Studien in München mit einer Dissertation „Über das Wesen der Kundry in Wagners Knappertsbusch debutierte in Elberfeld mit Friedrich von Flotows 1918 heiratete Knappertsbusch Ellen Neuhaus. Ihr einziges Kind, Anita, kam im Jahr darauf zur Welt. Ihren frühen Tod 1938 hatte er nie verwunden. Als er 1956 in München die Von Knappertsbuschs Wirken in Leipzig 1918/19 wissen wir wenig, die Archive verbrannten mit der Oper 1943. Schon nach wenigen Monaten strebte er die vakante Chefposition in Dessau an. Neben der Liebe zu Wagners Heroinen erlaubte er sich einen Flirt mit Mademoiselle Als sich Bruno Walter, der antisemitischen Hetze überdrüssig, 1922 entschloss, München zum Spielzeitende aufzugeben, lud Intendant Karl Zeiß den Unbekannten aus dem hohen Norden zum Schnuppern ein. Die Münchner begrüßten den „Preußen" landesüblich mit Misstrauen, keine Hand rührte sich, als er am 2. Mai 1922 ans Pult im Odeon trat. Das sollte sich nach Beethovens 2. Symphonie ändern und anhalten bis zu seinem letzten Seine erste Münchner Spielzeit 1922 eröffnete Knappertsbusch mit Bei aller Verehrung des großen Richards wollte Knappertsbusch nicht nur als Wagnerdirigent abgestempelt werden. Er befasste sich auch mit Exotischem wie „Die Musikalische Akademie war der starke Mag­net, der mich nach München gezogen hat", gratulierte ihr Knappertsbusch zum 150-jährigen Jubiläum. Endlich konnte er mit Elitemusikern Vertrautes aufführen und sich Neues von Bach bis Bruckner erschließen, Orchester, Publikum und vermutlich sich selbst schockieren mit Strawinsky, Bartok, Honegger, Hindemith. En passant: laut seinem Werkregister hat er niemals Debussy und Ravel aufgeführt, Schönberg, Berg, Webern ignoriert. Er empfand sich wohl schon in Sturm- und Drangjahren zu einer Art Generalkonservator des 19. Jahrhunderts berufen. Und wenn er in späten Münchner Jahren noch Zeitgenössisches aufs Programm setzte, so doch Zeitgenössisches von gestern... Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Februar-Ausgabe von Unser Bayern!

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