Wirtschaft

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ist ein Fan des pilotierten Fahrens. Bei Audi durfte er es selbst ausprobieren. (Foto: dpa)

24.06.2016

Alles Bonanza?

Bayern will bei selbstfahrenden Fahrzeugen Marktführer in Deutschland werden

Wenn derzeit dunkle Wolken zwischen Berlin und München aufziehen, dann hat das nicht unbedingt allein etwas mit der aktuellen Wetterlage zu tun. Im Gegenteil, nichts weniger als die Zukunft steht auf dem Spiel. In welcher Angelegenheit? Bei Deutschlands liebstem Kind, dem Auto, versteht sich.
Die Zahlen sprechen für sich, der bayerische Fahrzeugbau verantwortet nicht nur rund 195.000 Arbeitsplätze, das ist ein Fünftel aller industriellen Arbeitsplätze des Freistaates, sondern auch 34 Milliarden Euro Wertschöpfung, was etwa einem Viertel der wirtschaftlichen Leistung zwischen Bodensee und Bayerischem Wald entspricht. Darüber hinaus stammen nicht weniger als 30 Prozent der Auslandsumsätze der Automobilbranche in Deutschland aus Bayern.

Fehlt es an visionärer Kraft?


Ein gesundes Profil, sollte man meinen. Stünde da nicht der Eindruck im Raum, Berlin und den entscheidenden wirtschaftspolitischen Gremien könnte es an visionärer Kraft fehlen. Für den vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt ist die Zukunft im Straßenverkehr ohnehin alternativlos: „Das vollautomatisierte und autonome Fahren wird kommen – entweder mit oder ohne uns. Wir wollen, dass die Entwicklung und Umsetzung bei uns hier in Deutschland und insbesondere in Bayern als technologieführender Automobilstandort stattfindet.“

Das sieht Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) genauso: „Das automatisierte und vernetzte Fahren ist die größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung des Autos. Wir wollen diese Technologie auf die Straße bringen.“

Entsprechend legt Dobrindt sich ins Zeug. In einem einseitigen Strategiepapier, welches vom Bundeskabinett am 25. Mai 2016 verabschiedet wurde, wird der Claim schon einmal abgesteckt und gefordert, „dass automatisierte Systeme mit voller Kontrolle über ein Fahrzeug dem Fahrer rechtlich gleichgestellt werden“. Ferner soll sinnigerweise „die ordnungsgemäße Nutzung automatisierter und vernetzter Fahrzeuge keine Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrers“ darstellen.

Bundesjustizminister gibt sich puristisch


Allerdings hat die Sache einen Schönheitsfehler. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) gibt sich betont puristisch: Eine generelle Freistellung des Fahrers soll es nicht geben, und damit auch keine Gesetzesänderung. Er folgt damit einer durchaus gängigen Überzeugung, dass die Flexibilität des deutschen Rechtssystems nicht im ständigen Anpassen der Gesetze an die jeweils veränderte Lebensrealität liegt, sondern dass ein gut gemachtes Gesetz zugleich neue Sachverhalte bedenkenlos subsumieren kann.

Vor dem Hintergrund, dass autonomes Fahren die neue „Bonanza“ der Automobilindustrie zu werden scheint, sollen zumindest für die technische und wirtschaftliche Kernkompetenz Bayerns, den Fahrzeugbau, die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Erfolgsgeschichte rechtzeitig geschaffen werden.

Der Blick auf die Konkurrenz stimuliert und lässt das Gras auf der anderen Seite immer grüner erscheinen. Und der Nachbar ist derzeit Kalifornien. Googles autonome Autos geben Gas, Apple steht mit seinem Geheimprojekt bereits in den Startlöchern, und Tesla bietet schon jetzt ein sogenanntes pilotiertes Fahrsystem an. Auf Antrag von Google lässt die US-Transportbehörde NHTSA nun verlautbaren, dass künftig Computer als Fahrer definiert werden könnten.

Wertschöpfung für Bayern


Wenn die Regeln für die „Automobilität der Zukunft“ so langsam festgezurrt werden, dann ist das Chefsache. Die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., hat diesem Thema heuer allein drei Konferenzen unter dem Motto „Deutschland hat Zukunft“ mit ausgesuchten Fachreferenten gewidmet. In seiner Forderung, „rechtliche Rahmen anzupassen und die Infrastruktur zügig auszubauen“, gibt Brossardt eindeutig die Richtung vor. Sein Statement: „Unser Ziel ist es, im Segment des automatisierten Fahrens so viel Wertschöpfung wie möglich in Bayern zu generieren.“

„Für uns besteht die einmalige Chance“, führt Brossardt aus, „durch das autonome Fahren im IT-Bereich gegenüber den US-Konzernen aufzuholen.“ So könne man das – wegen der hohen Fokussierung auf das klassische Auto – in Bayern existierende „Klumpenrisiko“ reduzieren, vor dem der Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft bereits gewarnt hat.

Damit Deutschland eine Vorreiterrolle bei der marktwirtschaftlichen Umsetzung dieser Aufbruchtechnologie einnehmen kann, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen. Diese Ansicht unterstützt gleichfalls Gastreferent Florian Herrmann, Leiter des Competence Center „Mobility Innovation“ am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Brossardt ergänzt: „Wir brauchen die richtigen Testverfahren, um die technische Sicherheit zu gewährleisten, aber keine künstlichen Barrieren“.

Die Anforderungen dafür sind groß: geeignete Zulassungsreglungen, bordeigene hochqualifizierte Sensorik, verlässlich lesbare Fahrbahnmarkierungen, flächendeckendes 5G-Netz, hohe Standards an Datenaustausch und Datensicherheit, eine digitale Testfeld-Autobahn, und das ist nur das „Amuse Gueule“ auf der Wunschspeisekarte der Industrie.

Akzeptanz erhöhen


Hat das Modell „Zukunft“ denn auch Zukunft? Umfragen zufolge erhofft sich rund jeder zweite Verbraucher vom autonomen Fahren weniger Stress und mehr Sicherheit. Dennoch wären derzeit lediglich zirka 40 Prozent bereit, in einem vollständig selbstfahrenden Auto mitzufahren. „Zukunftsaufgabe wird es sein“, folgert Brossardt, „die Akzeptanz selbstfahrender Autos zu erhöhen“. Aber wie?

Aller Wahrscheinlichkeit nach verläuft dies dann doch parallel zu den technischen Entwicklungsschritten. Und hierin sind sich Bayerns oberster Wirtschaftsboss Brossardt und Wissenschaftler Herrmann zum Schluss ebenfalls einig: „Stufenweise“, lautet der Geheimcode. Über das Durchlaufen mehrerer Evolutionsschritte könne – den unbedingten Willen und die volle Unterstützung durch die Regierung vorausgesetzt – dies schon in Ansätzen bis Ende 2020 gelingen. Eine leicht verständliche Bedienungsanleitung vorausgesetzt, weiß Brossardt aus eigener Erfahrung noch beizusteuern.
(Rebecca Koenig)

Kommentare (1)

  1. SigismundRuestig am 25.06.2016
    "TaTü TaTa TaTü TaTa.
    Wer ist der Herr und wer der Sklave?
    Ist es Fortschritt oder Plage?
    Ist es Abenteuer oder Pflicht?
    Digitaler Lifestyle, Transparenz ist geil,
    Mobilität am WiFi-Seil!
    Freude am Fahren? Wenn Sensoren versagen?
    TaTü TaTa TaTü TaTa.
    Mobil am analogen Abschlepp-Haken."

    Freud und Leid des fahrerlosen Fahrens auf den Punkt gebracht:

    http://youtu.be/fU0QDDxDcy8

    Viel Spaß beim Anhören!
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