Wirtschaft

03.08.2012

Altersarmut muss nicht sein

Wissenschaftler der Fachhochschule Koblenz zeigte beim DGB Mittelfranken, wie es geht

„Die Rente sin sischer!“ Der legendäre Satz von Ex-Bundesarbeitesminister Norbert Blüm (CDU) scheint immer noch zu stimmen. Denn Gerd Bosbach vom Lehrstuhl für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Fachhochschule Koblenz hat bei der Veranstaltung „Zeitenwechsel – Der Talk im Uhrenhaus“ des DGB Mittelfranken in Nürnberg verdeutlicht, dass sich bei entsprechender Verteilgungsgerechtigkeit niemand auch bei einer älter werdenden Bevölkerung Sorgen um seine Alterssicherung machen muss. Der habilitierte Wissenschaftler stellte in simplen aber umso eindrucksvolleren Beispielen dar, wie Politik und Wirtschaft in den vergangenen Jahren dafür gesorgt haben, dass das Motto von Bosbachs Vortrag „Wer später stirbt, ist länger arm“ immer mehr zutrifft.
„Vor allem die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat einen demografischen Popanz aufgebaut, der nicht stimmt“, sagt Bosbach. Dieser Wirtschaftsinteressen dienende Verein habe in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass mittels gezielter Desinformation die Lohnnebenkosten gesenkt wurden, die Unternehmen sich aus der Finanzierung der Renten immer weiter zurückziehen konnten und die Interessen der Versicherungswirtschaft gestärkt wurden. „Und warum tut das die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft?“, fragt Bosbach rhetorisch. Weil die Ausgaben der deutschen Rentenversicherung allein im Jahr 2010 einen Wert von 249 Milliarden Euro hatten. „An dieses Geld will die Wirtschaft ran. Deshalb wird alles getan, um die private Altersvorsorge zu forcieren“, erklärt Bosbach.
Das solidarische, Umlage finanzierte Rentensystem der Bundesrepublik werde systematisch schlecht geredet, schlecht gerechnet und angesichts der demografischen Entwicklung der deutschen Bevölkerung als nicht mehr finanzierbar dargestellt. „Dem ist aber nicht so, weil in all diesen Berechnungen der Produktivitätsfortschritt ausgeblendet wird“, so Bosbach. Selbst bei einem Wirtschaftswachstum von nur einem Prozent pro Jahr über die nächsten 20 Jahre hinweg würden die weniger werdenden Deutschen eine höhere Rente als heute beziehen. Denn der erwirtschaftete Kuchen bliebe gleich groß, nur die Zahl der Kuchenesser verringere sich. „Es sei denn, die Reichen schneiden sich vom Kuchen ein noch größeres Stück ab, sodass für die normalen Menschen weniger bleibt. Das erleben wir ja seit Jahren.“
Produktivitätswachstum müsste ausbezahlt werden
Bosbach macht es an einem Zahlenbeispiel fest. Bei einem Einkommen von 2000 Euro monatlich würden heute 10 Prozent in die Rentenversicherung fließen. Also bleiben 1800 Euro. Dieses Einkommen würde bei einem angenommenen realen Wirtschaftswachstum von einem Prozent pro Jahr in 50 Jahren 3289 Euro betragen. „Ziehen wir 15 Prozent für die Rentenversicherung ab, weil es mehr ältere Menschen geben wird, bleiben aber dem Arbeitnehmer 55 Prozent mehr als heute – nämlich 2796 Euro. Und wenn wir 20 Prozent für die Rentenversicherung abzögen wären es mit 2631 Euro immer noch 41 Prozent mehr als heute.“ Selbst bei einer Veränderung der Beitragsfinanzierung, also der Arbeitnehmeranteil zum Rentenversicherungsbeitrag würde sinken und der Arbeitnehmeranteil steigen, um die deutsche Wirtschaft international wettbewerbsfähig zu halten, käme noch mehr heraus als heute.
„Wenn das Produktivitätswachstum ausbezahlt würde, wäre Altersarmut nicht zwangsläufig“, postuliert Bosbach. Und die immer mehr werdenden Flaschensammler, die auf die wenigen Pfanderlöse oder andere zusätzliche Einnahmequellen angewiesen sind, um ihr Leben im Alter zu finanzieren, hätten es leichter.
Dennoch werden sie es künftig schwerer haben, da das Rentenniveau nach den Plänen der Bundesregierung sukzessive sinken wird: von heute 51 Prozent auf 43 Prozent des vorherigen Durschnittseinkommens (1985 lag das Niveau noch bei 57,4 Prozent). Unterm Strich bedeutet das ein Fünftel weniger Geld. Gleichzeitig sinkt der Beitrag zur Rentenversicherung von aktuell 19,9 Prozent auf 19,2 Prozent im kommenden Jahr, dem Jahr der Bundestagswahl. Die heutigen Rücklagen von rund 30 Milliarden Euro wären bald aufgebraucht.
Das ist für den DGB völlig inakzeptabel. Er kritisiert, dass die von der Bundesregierung festgelegte Begrenzung des Rentenbeitrags auf 22 Prozent im Jahr 2030 so nicht zu erreichen ist. Darum favorisiert der DGB eine jährliche Beitragssteigerung um 0,2 Prozent. Beschäftigte und Arbeitgeber zahlen je 0,1 Prozent mehr. Bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 2600 Euro brutto wäre das ein zusätzliche Beitrag von 2,60 Euro im Monat, also 31,20 Euro im Jahr. (Ralph Schweinfurth)

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