Wirtschaft

Der Vergleich mit anderen Staaten zeigt, dass Deutschland bei der Finanzierung der Schieneninfrastruktur hinterherhinkt. Und das obwohl die Bundesrepublik wegen ihrer zentralen Lage in Europa den meisten Verkehr bewältigen muss. (Grafik: DB AG)

13.01.2012

Bayern braucht mehr Geld für Schienenwege

Die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Freistaats ist massiv gefährdet, wenn nicht mehr in die Infrastruktur investiert wird, klagt die Wirtschaft

Bayern präsentiert sich gerne als Premiumstandort in der Welt. Doch bei genauem Hinsehen, entdeckt man auch im Freistaat gewaltige Defizite. Eines davon hat die vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. jetzt zum Thema gemacht. Beim Kongress „Vorsprung Bayern: Neue Perspektiven für die bayerischen Schienenwege“ sind sich alle einig, dass der Bund zu wenig Geld für den Neubau und den Erhalt der Schieneninfrastruktur bereitstellt. „Momentan rangiert Deutschland nach einer Analyse des Global Competitiveness Report in Sachen Verkehrsinfrastruktur auf Platz 2 in der Welt“, sagt vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Doch um diesen Standortvorteil halten zu können, müsse dringend investiert werden. „Durch unser Arbeits- und Steuerrecht haben wir im globalen Wettbewerb schon genug Nachteile. Deshalb dürfen wir den Vorteil Verkehrsinfrastruktur nicht vernachlässigen. Sonst haben wir gar nichts mehr“, mahnt Brossardt. Angesichts der prognostizierten Steigerungsraten beim Güterverkehr bestehe hierzulande akuter Handlungsbedarf. „Bis 2025 soll der Güterverkehr um 50 Prozent zunehmen. Die Hälfte davon wird auf die Schiene entfallen“, so der vbw-Hauptgeschäftsführer.
Insofern sei die jetzt aufgeschobene Vertragsunterzeichnung für den Bau des Zulaufs zum Brennerbasistunnel wegen Haushaltsproblemen in Österreich eine kritische Situation. „Die Fertigstellung bis 2025 ist gefährdet“, so Brossardt. Für ihn ist klar, dass mehr Güter auf der Schiene transportiert werden müssen, damit Europa weiterhin Wachstumsperspektiven hat. Denn nur weiteres Wachstum in Europa werde maßgeblich zur Überwindung der Schuldenkrise beitragen können. Darum fordert er, dass der Bundeshaushalt für die Verkehrsinfrastruktur von derzeit 10 Milliarden Euro pro Jahr auf 14 Milliarden Euro aufgestockt wird. Denn schon heute seien sechs von zehn Staatsstraßenkilometern in Bayern sanierungsbedürftig - ebenso weit über 1000 Brücken.
Ins gleiche Horn bläst Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP). Der Freistaat könne seinen wirtschaftlichen Spitzenplatz nur halten, wenn die Infrastruktur intakt ist und dem aktuellen Bedarf gerecht wird. Zeil zitiert den US-Vorzeigeinvestor Warren Buffet, der erst vor Kurzem eine Eisenbahngesellschaft gekauft hat, weil diese als Grundlage für den Warenaustausch diene. „Allein für Bayern wird bis 2025 ein Güterverkehrswachstum von 53 Prozent vorausgesagt“, erläutert der Minister. Doch in der Metropolregion München, dem wirtschaftlichen Herzen Bayern, sei die S-Bahninfrastruktur auf dem Stand von 1972. „Die Ertüchtigung des Bahnknotens München ist extrem wichtig“, sagt Zeil.
Bayern ist die europäische Verkehrsdrehscheibe Nummer eins
Doch nicht nur die Landeshauptstadt steht in seiner Aufmerksamkeit. „Bayern ist die europäische Verkehrsdrehscheibe Nummer eins.“ Und die EU fordere Investitionen in die Schienenwege ein, allen schon, um die so genannten transeuropäischen Netze realisieren zu können. „Hier erwartet Brüssel von uns auch eine Vorfinanzierung, die sie über die Europäische Investitionsbank kofinanzieren wird.“ Zeil konstatiert, dass Deutschland zu wenig Geld für die Schiene ausgibt: „Pro Kopf der Bevölkerung investiert Deutschland nur halb so viel wie Frankreich und etwa ein Sechstel der Schweiz.“
Aber nicht nur wegen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sind intakte Schienenwege wichtig. Der Wirtschaftsminister schlägt auch die Brücke zum Klimawandel. „Die Bahn ist das nachhaltigste Verkehrsmittel.“ Und Investitionen in die Schiene seien auch ein konjunktureller Impuls, der Arbeit und Beschäftigung sichere. Laut Zeil sollte man hierzulande dem Vorbild Schweiz folgen, wo Mauteinnahmen komplett in die Finanzierung von Verkehrswegen fließen und nicht zum größten Teil im allgemeinen Haushalt verschwinden.
Wie viele Güter die Bahn in Bayern jetzt schon transportiert, verdeutlicht Klaus-Dieter Josel, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn AG für den Freistaat Bayern. „Über die 6000 Kilometer bayerisches Schienennetz fahren pro Tag etwa 11.000 Züge. Ein Drittel davon sind Güterzüge.“ Allein 2011 hat die Bahn in Bayern knapp 188 Millionen Kilometer zurückgelegt und 50 Millionen Tonnen an Gütern transportiert. Durch diese Beförderungsleistung konnten 2,4 Millionen Lkw-Fahrten eingespart werden. Josel zeigt anhand des prognostizierten Verkehrswachstums auf der Schiene, wo es zwischen bayerischen Schwellen künftig noch enger wird. „Allein bei Würzburg werden wir aufgrund des Nord-Süd-Verkehrs in den kommenden Jahren 200 Züge mehr haben.“ Damit die Hauptstrecke von Hamburg über Hannover, Kassel, Fulda und Würzburg nach München entlastet werden kann, fordert die Bahn einen Ostkorridor für den Gütertransport. Über Magdeburg, Leipzig, Hof und Regensburg sollen die Güter transportiert werden. Doch dazu muss die Strecke Hof-Regensburg elektrifiziert werden. Insgesamt 30 Milliarden Euro wären Josel zufolge nötig, um die Schieneninfrastruktur in Deutschland in den kommenden Jahren dem prognostizierten Transportbedürfnis anzupassen.
Für Josef Geiger, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Bauindustrieverbandes, geht das alles viel zu langsam. Außer den beiden Neubaustrecken Würzburg-Kassel aus dem Jahr 1988 und München-Nürnberg aus dem Jahr 2005 befinde sich das bayerische Eisenbahnnetz auf dem Stand von König Ludwig aus dem Jahr 1880. „Für eine Fahrt von München nach Prag, das sind etwa 400 Kilometer, braucht man etwa sechs Stunden. Des entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 74 Kilometern pro Stunde.“ Marode Brücken, unzureichende Lichtraumprofile, nicht tragfähige Unterbauten, kaputte Weichen, zu enge Kurvenradien und zu große Steigungen behindern laut Geiger den Schienengütertransport in Bayern. „Ein modernes Schienennetz sollte im Freistaat im Hochgeschwindigkeitsbereich 300 km/h, im Regionalverkehr 180 km/h und im Nahverkehr 120 km/h ermöglichen“, so der Bauunternehmer. Er fordert eine Korrektur der Bahnreform, so dass die gesamte Infrastrukturverantwortung beim Bund liegt. Und nicht weiterhin zwischen DB Netz AG und Bund aufgeteilt ist.
„Für uns von der Bauindustrie ist die Oberste Baubehörde im Freistaat Bayern ein Vorbild. Denn sie hält für den Straßenbereich pro Jahr ein Volumen von rund 750 Millionen Euro vollziehbares Baurecht vor“, erläutert Geiger. Das müsse auch im Schienenbereich so sein. Nach dem Vorbild des sechsstreifigen Ausbaus der Autobahn A8 zwischen Augsburg und München, fordert er auch den Einsatz von PPP-Modellen im Bahnbereich. „Die A8 konnte zur Freude aller Nutzer statt in acht in drei Jahren realisiert werden“, so Geiger. Er votiert für ein Pilotprojekt. Der zweigleisige Ausbau der Strecke München-Mühldorf-Freilassing inklusive Elektrifizierung sollte im Sinne der dort ansässigen Chemiebranche als PPP-Modell realisiert werden. Über einen Fonds könnten eine Milliarde Euro zusammenkommen. Die öffentliche Hand würde 50 Prozent übernehmen, die Europäische Investitionsbank 10 Prozent und der Rest käme von privaten Investoren.
Dass gute Schieneninfrastruktur auch von den Nutzern angenommen werde, illustrierte der DB-Konzernbevollmächtigte in der Podiumsdiskussion. „Auf der Neubaustrecke München-Nürnberg haben wir 60 Prozent mehr Nachfrage.“ Und die S-Bahn München werde von ihrem eigenen Erfolg überrollt. Deshalb sei der Bau der zweiten Stammstrecke dringend nötig. Transportunternehmen würden die Leistungen der Bahn mehr nutzen
Ebenfalls mehr nutzen würden die Transportunternehmer die Leistungen der Bahn. „Wir transportieren aktuell 466 Milliarden Tonnenkilometer und bis 2025 werden es rund 704 Milliarden Tonnenkilometer sein“, illustriert Hans Wormser, Präsident des Landesverbandes Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen. Er betont, dass gerade der kombinierte Verkehr, also die Verladung von Containern bzw. kompletten Lastwagen auf die Schiene, der einzige Weg ist, um dem drohenden Verkehrsinfarkt auf den Straßen zu entgehen. Damit die Bahn aber ihre Güterverkehrskapazität signifikant erhöhen kann, fordert Wormser den Aufbau von zwei getrennten Schienennetzen in Deutschland, eines für den Personenverkehr und eines für den Güterverkehr. Denn heute genieße der Personenverkehr Priorität, was bei den Firmen, die Waren versenden auf keinerlei Verständnis stößt. „Derjenige, der einen Transportauftrag vergibt, erwartet, dass seine Ware pünktlich ankommt.“ Und diese Pünktlichkeit könne die Bahn derzeit eben nicht gewährleisten.
Wie wichtig der schienengebundene ÖPNV für die Wirtschaft ist, illustrierte Heike Höhnscheid vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Würden allein in München nicht pro Tag 100.000 Pendler den ÖPNV nutzen, wären auf dem Mittleren Ring etwa 66.000 Fahrzeuge mehr unterwegs. Auch Kunden und Mitarbeiter, die den ÖPNV nutzen, würden die Unternehmen entlasten. Zum einen kämen die Angestellten entspannter zur Arbeit. Zum anderen müsste die Firma weniger teure Firmenparkplätze vorhalten, wenn Kunden mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Allein bei BMW in München könnten 33.000 Mitarbeiter den ÖPNV nutzen. Eine geplante Stadt-Umland-Bahn zwischen Erlangen und Herzogenaurach würde 16.700 Pendler, die täglich zu Adidas, Puma und Schäffler pendeln, aufnehmen können. Denn Massenverkehrsmittel hätten einen enormen Systemvorteil. „Eine Straßenbahn kann 218 Personen transportieren. Bei einer Normalbesetzung von Pkws bräuchte man hierfür 145“, so Höhnscheid.
Insgesamt macht die Veranstaltung mehr als deutlich, wie wichtig eine gut funktionierende Schieneninfrastruktur sowohl in betriebs- als auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht ist.
(Ralph Schweinfurth)

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