Wirtschaft

Dank der zusätzlichen Einnahmen aus einer betrieblichen Altersversorgung lässt sich auch im Rentenalter noch manch kostspieliges Hobby realisieren. (Foto: Bilderbox)

23.07.2010

Betriebliche Altersvorsorge ausschreiben

EuGH entscheidet gegen Deutschlands Kommunen: Damit ist auch der Weg frei für mehr Wettbewerb in der Versicherungswirtschaft

Die betriebliche Altersvorsorge kommunaler Mitarbeiter unterliegt dem Vergaberecht. Deutsche Städte und Kommunen müssen die Vergabe der betrieblichen Altersvorsorge ihrer Arbeitnehmer zukünftig europaweit ausschreiben. Somit winkt privaten Versicherern ein lukratives neues Geschäftsfeld. „Die Kommunen müssen bei der betrieblichen Altersvorsorge umdenken“, erklärt der Vergaberechtsexperte Holger Schröder von der international tätigen Kanzlei Rödl & Partner aus Nürnberg. Die bisherige Praxis zahlreicher Städte und Gemeinden, Rahmenvereinbarungen über die betriebliche Altersvorsorge ohne vorherige Ausschreibung mit tarifvertraglich ausgewählten Versorgungsträgern abzuschließen, sei europarechtswidrig. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in einem am 15. Juli 2010 veröffentlichten Urteil entschieden (Az.: C-271/08).
Lukratives Geschäftsfeld
Die Entscheidung des EuGH habe auch erhebliche Auswirkungen auf die private Versicherungswirtschaft. „Mit der betrieblichen Altersvorsorge kommunaler Mitarbeiter können Versicherungen ein neues und lukratives Geschäftsfeld erschließen“, betont Schröder. Die zukünftige Entwicklung werde deshalb in Fachkreisen mit Spannung verfolgt.
Bei der Huk-Coburg Versicherungsgruppe begrüßt man prinzipiell das EuGH-Urteil. Dennoch hat es laut Daniel Stanglmeier, Jurist des Instituts für Pensionsmanagement und Zusatzversicherungen der Huk-Coburg-Gruppe, einen Wermutstropfen. So gelte der Zwang zur Ausschreibung nur für große Kommunen und öffentliche Betriebe. Der EuGH hat hier genaue Grenzen festgelegt. So verstießen öffentliche Arbeitgeber, die 2004 Rahmenvereinbarungen abgeschlossen und damals mehr als 4505 Beschäftigte hatten, laut dem neuen Urteil gegen das Vergaberecht. Für 2005 liegt die Grenze bei 3133 Angestellten und für 2006 und 2007 bei 2402.
„Aber kleinere Kommunen mit weniger Angestellten sollten sich nicht auf der sicheren Seite wähnen“, mahnt Stanglmeier. Denn im weiteren Verlauf und bei der Umsetzung in nationales Recht könnten sich diese Zahlen noch verändern. „Bei öffentlichen Arbeitgebern geht man von unter zwei Prozent der Beschäftigten aus, die Interesse an einer betrieblichen Altersvorsorge haben. In der freien Wirtschaft liegen die Werte zwischen 70 und 80 Prozent.“
Auch die Nürnberger Versicherungsgruppe begrüßt dieses Urteil. „Damit wird ein interessanter Markt dem allgemeinen Wettbewerb zugänglich gemacht“, sagt Vorstandschef Werner Rupp zur Staatszeitung. Die bisherige Praxis zahlreicher Städte und Gemeinden, Rahmenvereinbarungen über die betriebliche Altersversorgung ohne vorherige Ausschreibung mit tarifvertraglich ausgewählten Versorgungsträgern abzuschließen, schloss einen Großteil der im Markt etablierten Anbieter aus, so der Vorstandsvorsitzende.
„Nun kann sich auch bei kommunalen Arbeitgebern der beste Anbieter durchsetzen, wie dies bei Arbeitgebern der freien Wirtschaft bereits heute üblich ist“, betont Rupp. Als ein wichtiger Versicherer, Partner und Selbsthilfeeinrichtung des Öffentlichen Dienstes werde sich selbstverständlich auch die Nürnberger künftig an Ausschreibungen von kommunalen Arbeitgebern beteiligen.
Bei der Versicherungskammer Bayern (VKB) nimmt man das EuGH-Urteil gelassen. So sei die überwiegende Zahl der Verträge zwischen der VKB und dem kommunalen öffentlichen Dienst davon nicht betroffen. Außerdem sei man davon überzeugt, dass die VKB zusammen mit den Sparkassen den Mitarbeitern im öffentlichen Dienst ein attraktives Produkt für ihre Altersvorsorge anbietet.
Hintergrund des Verfahrens mit der jüngsten Entscheidung ist eine Klage der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Verstoßes gegen die bis 31.01.2006 geltende Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 92/50/EWG) bzw. gegen die ab 1. Februar 2006 geltende Vergaberichtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (Richtlinie 2004/18/EG). Das Urteil betrifft die Entgeltumwandlung für Mitarbeiter im kommunalen öffentlichen Dienst nach dem Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst vom 18. Februar 2003 (TV-EUmw/VKA). Die in diesem Zusammenhang bisher bevorzugten öffentlichen Zusatzversorgungseinrichtungen, Sparkassen und Kommunalversicherer können aus vergaberechtlichen Gesichtspunkten zukünftig nicht mehr seitens der Städte privilegiert werden.
Die Luxemburger Richter sehen laut Schröder im Grundrechtscharakter des Rechts auf Kollektivverhandlungen und in der sozialpolitischen Zielsetzung des Tarifvertrags kein Hindernis für die Anwendung des europäischen Vergaberechts. Der Umstand, dass der Abschluss von Rahmenvereinbarungen zur betrieblichen Altersvorsorge im kommunalen Bereich entsprechend dem Tarifvertrag erfolgt, könne die Anwendbarkeit des Vergaberechts nicht verhindern.
Die von den kommunalen Arbeitgebern abgeschlossenen Verträge seien als entgeltliche, dem Vergaberecht unterfallende öffentliche Dienstleistungsaufträge zu qualifizieren. Der entgeltliche Charakter eines solchen Vertrages wird nach Schröders Darstellung vor allem nicht deshalb infrage gestellt, weil die Letztbegünstigten einer betrieblichen Altersvorsorge die Arbeitnehmer sind und nicht der jeweilige Arbeitgeber. (HGH/RS)

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