Wirtschaft

Das bayerische Chemiedreieck ist auf den Schienenausbau angewiesen. (Foto: Bauindustrie Bayern)

02.11.2012

Das Wut-Thema der Region

Kongress zum Ausbau der Bahnstrecke München-Mühldorf-Freilassing/Burghausen

Eigentlich sind sich alle Beteiligten und Betroffenen einig, die Region Südostbayern braucht ein modernes, leistungsfähiges Schienennetz. Obwohl das Problem seit Jahren zwar bereits erkannt ist, fehlen die finanziellen Mittel vom Bund. Damit die Bahnstrecke München-Mühldorf-Freilassing mit der Abzweigung nach Burghausen in das bayerische Chemiedreieck zügig zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert werden kann, müssen deshalb neue Wege beschritten werden.
Der Bayerische Bauindustrieverband hat hierzu einen Vorschlag erarbeitet. Der neue Lösungsweg überträgt die guten Erfahrungen mit dem ÖPP-A-Modell aus dem Autobahnbau auf den Schienenwegebau. Als bundesweit erstes B-Modell (Bahn-Modell) soll die Strecke München-Mühldorf-Freilassing/Burghausen ertüchtigt, ausgebaut und langfristig betrieben werden. Aus diesem Grund veranstalteten der Bayerische Bauindustrieverband, der Regionale Planungsverband (RPV) Südostoberbayern sowie die Bayerische Akademie Ländlicher Raum einen Regionalkongress unter dem Oberbegriff „Zügig“ mit dem Titel „Von der Isar zur Salzach – Zügig in die Kraftregion Südostbayern“ in Burghausen.
Dankbar für den Vorstoß des Bauindustrieverbands, dass auch andere Finanzierungsmöglichkeiten diskutiert werden, zeigte sich Burghausens 1. Bürgermeister Hans Steindl (SPD). Für ihn hat sich die bisherige Finanzierungsform überlebt, deshalb sei ein Umsteuern und Umdenken nötig. In diesem Zusammenhang zeigte sich Steindl realistisch. Man müsse ehrlich gegenüber sich selbst sein und erkennen, dass bei der Fülle der Schienenprojekte – unter anderem 2. Stammstrecke in München oder der Brenner Basistunnel – nicht alle Vorhaben finanzierbar sind. In diesem Zusammenhang befürchtet er deshalb: „Dann sind wir halt die, die bei den offiziellen Gesprächen hintangestellt werden“ und weiter auf den Ausbau warten müssen.
Die Firmen im Chemiedreieck und darüber hinaus stehen mit ihren Produkten weltweit in der ersten Reihe, betonte Hermann Steinmaßl (CSU), Landrat des Landkreises Traunstein und Vorsitzender des RPV Südostoberbayern. Gleichzeitig würden sich diese Firmen aber auch zum Standort bekennen. Die Frage ist aber, so Steinmaßl, wie lange können sie das noch, benötigen sie doch für ihre Weiterentwicklung entsprechende Rahmenbedingungen.

Vom Rand in die Mitte


Bis 1994 sei diese Region der Rand von Bayern, Deutschland und der EU gewesen, so der Traunsteiner Landrat. Durch die Osterweiterung der Europäischen Union sei man aber quasi in die Mitte gerückt. „Darauf wurde aber infrastrukturell nicht reagiert.“ Schließlich habe man jetzt eine gewisse Scharnierfunktion zwischen dem alten und dem neuen Europa, betonte Steinmaßl.
Bereits im November 2009 habe man, so der Traunsteiner Landrat, in der 1. Mühldorfer Resolution gefordert: „Am Ausbau der Verkehrsinfrastruktur im südöstlichen Oberbayern führt kein Weg vorbei – der gegenwärtige Zustand ist wirtschaftspolitisch geradezu verantwortungslos. Die Bahnstrecke München-Mühldorf-Freilassing-Salzburg, einschließlich der Abzweigung Tüßling-Burghausen, muss endlich vollständig zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert werden.“
Die Region zwischen München und der Landesgrenze ist wichtig, so Steinmaßl. Denn wenn die Infrastruktur stimmt, dann sind die Menschen und die Wirtschaft auch zu halten. „Aber solange nur in Finanztöpfen gedacht wird, wird nichts kommen. Deshalb müssen wir andere Wege gehen.“ Der bahntechnische Lückenschluss zwischen München und Salzburg ist laut Steinmaßl deshalb „auch dringend notwendig für die wirtschaftliche Sicherung der Region“.
Von Seiten der Industrie stehe man schon lange hinter dem Projekt, erklärte Willi Kleine, Sprecher der Initiative ChemDelta Bavaria. An den acht Standorten mit 25 Unternehmen im Chemiedreieck werden über acht Milliarden Euro Umsatz erzielt. Das sind laut Kleine sechs Prozent des Umsatzes der Deutschen Chemischen Industrie. Gleichzeitig gebe es etwa 25 000 direkte und rund 50 000 indirekt abhängige Arbeitsplätze. Das sind rund die Hälfte der Beschäftigten in der Bayerischen Chemischen Industrie. Zwischen 2006 und 2011 habe man darüber hinaus rund drei Milliarden Euro in neue Anlagen und die Standortinfrastruktur investiert.
Von den bundesweit in 2011 auf der Schiene transportierten 375 Millionen Tonnen wurden rund 0,8 Prozent (2,8 Millionen Tonnen) auf der eingleisigen Strecke im Chemiedreieck befördert, berichtete Kleine. Eine Verlagerung von Gütertransporten auf die Schiene würde zahlreiche Vorteile bringen. Unter anderem nannte der Initiativen-Sprecher die Erhöhung der Sicherheit beim Transport von Gefahrstoffen, eine Verminderung der Umweltbelastung, Fahrzeitverkürzungen und damit Reduzierung der Kosten. Ferner könnte in Verbindung mit einem Terminal für kombinierten Verkehr das Frachtvolumen im Chemiedreieck gebündelt und die Straße damit weiter entlastet werden.

Bis jetzt nichts passiert


Obwohl 2007 ein „Masterplan Schiene Chemiedreieck“ verabschiedet wurde ist laut Kleine bis dato nichts passiert. Es müsse jetzt Tempo gemacht werden, denn sonst sei die Industrie in dieser Region nicht mehr entwicklungsfähig. Aus diesem Grund fordert die Initiative ChemDelta Bavaria die Bahnverbindung München-Burghausen zweigleisig auszubauen und zu elektrifizieren; den Fokus auf das Nadelöhr Tüßling-Mühldorf zu richten; die Planungs- und Genehmigungsverfahren zügig voranzutreiben und die Finanzierung verbindlich festzulegen. Darüber hinaus sollen die verbleibenden Ausbauabschnitte der Autobahn A 94 München-Passau zügig fertiggestellt werden, ebenso wie die Ethylenpipeline Süd.
Es dauere halt einfach alles viel zu lange. Allerdings, so Kleine, „darf die industrielle Entwicklung durch infrastrukturelle Defizite nicht ausgebremst werden“. Über die Geduld der Menschen in der Region wunderte sich Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum.
Als Witz beziehungsweise Satire empfand Erwin Schneider (CSU), Landrat des Landkreises Altötting, den Titel „Zügig“ des Kongresses, „wenn man zurückblickt“. Die Region verdanke ihre wirtschaftliche Prosperität infrastrukturellen Maßnahmen, die vor rund 100 Jahren in Angriff genommen wurden (Wasserkraft, Ölpipeline). Für Schneider ist Infrastruktur alles beziehungsweise „ohne kommt man nicht weiter, aber es muss weitergehen“. Bei der Bahn sei man hier jedoch noch auf dem Stand vom Ende des 19. Jahrhunderts. Seit 1985 werde über den zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung diskutiert. Als einziges Teilstück ist seitdem nur die Strecke zwischen Ampfing und Mühldorf zweigleisig ausgebaut, aber nicht elektrifiziert worden, kritisierte der Landrat.
Schneider hält es für richtig, alternative Finanzierungs- und Umsetzungsschritte anzugehen. Auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der aus dieser Region stammt, zeige sich diesbezüglich aufgeschlossen, obwohl dies bisher im Ministerium nicht so gesehen wurde. Jetzt heiße es, dran zu bleiben. Der Altöttinger Landrat erhofft sich von dem Kongress das Signal, dass man es ernst meint mit der Privatfinanzierung des Lückenschlusses und die Maßnahmen nun zügig angeht, damit nicht wieder alles im Sande verläuft, sondern Wirklichkeit wird und „es nicht mehr nur lächerlich klingt“. Zudem sprach sich Schneider auch dafür aus, die direkte Anbindung an den Flughafen München voranzutreiben.
Die Bahn habe ein vitales Interesse, dass die Strecke München – Mühldorf – Freilassing/Burghausen ausgebaut und elektrifiziert wird, erklärte Klaus-Dieter Josel, Konzernbevollmächtigter der DB AG für Bayern. Gleichzeitig beklagte er die Unterfinanzierung des Verkehrswegeplans durch den Bund. Im Raum stünden Bahnprojekte mit einem Investitionsvolumen von rund 30 Milliarden Euro, zur Verfügung stünden jährlich jedoch nur gut 1,5 Milliarden Euro. Allerdings sei man bei besagter Strecke Schritt für Schritt unterwegs. Beispielsweise laufe für den zweigleisigen Ausbau Altmühldorf-Tüßling die Planfeststellung.

Unterfinanziert


Die Krux liege in der Finanzausstattung, „dann legen wir sofort los“, erklärte Josel, der gleichzeitig darauf hinwies, „wir brauchen keinen Druck“. Vom Grundsatz her begrüße er das ÖPP-Modell. Allerdings entscheide der Bund, ob er private Kapitalgeber hinzunimmt.
Die Vorteile des A-Modells als B-Modell auf den Schienenwegebau zu übertragen, erläuterte Thomas Bauer, Präsident des Bayerischen Bauindustrieverbands. Durch die Hereinnahme von Privatmitteln seien unmittelbar Wachstumseffekte zu erzeugen, nicht erst in 25 Jahren. Ferner gewinne man durch Konzessionsmodelle (B-Modell) straffere und kostensparende Bauzeiten. Darüber hinaus könne man durch Wettbewerb die Trägheit der Systeme aufbrechen und dynamisieren. In diesem Zusammenhang forderte Bauer, rentierliche Großprojekte aus der Haushaltsfinanzierung herauszunehmen. Bauer sprach sich dafür aus, eine Infrastruktur-Finanzierungsanleihe „Mit Infrastruktur die Rente finanzieren“ regionaler Finanzinstitute im Umfang von einer Milliarde Euro aufzulegen.
Die Anleihemittel würden die Anfangsinvestitionen des Konzessionärs beziehungsweise der DB Netz AG finanzieren. Einnahmen würden durch anfallende Trassenpreise, Stationserlöse sowie anteilige LuFV-Mittel (Leistungs- und Finanzierungs-Vereinbarung) generiert. Ferner müsse der Bund eine Mindestverkehrsmenge garantieren. Dadurch verringere sich das Ertragsrisiko und der Bund, so Bauer, unterstreiche damit seine Verantwortung für diese Schienenstrecke. Nach Bauers Berechnung könnten die Anleger mit einer jährlichen Rendite von vier Prozent rechnen.
Drei Organisationsstrukturen hält Bauer für das B-Modell für möglich:
– ÖPP-Betreibermodell: Ein privater Konzessionär übernimmt Bau, Erhalt und Betrieb der Schienenstrecke.
– ÖPP-Kooperationsmodell: Ein privater Konzessionär übernimmt Bau und Erhalt der Schienenstrecke, die DB Netz AG den Betrieb oder
– Bahn-Anleihemodell: Die DB Netz AG ist zuständig für Bau, Erhalt und Betrieb der Schienenstrecke.
Das B-Modell sei nicht nur machbar, sondern volkswirtschaftlich sinnvoll, erklärte Bauer. „Wenn man Zukunft denkt, muss man auch mutig sein.“ Die Politik müsse klar sagen, ein ausgeglichener Haushalt für das tägliche Leben, aber Privatfinanzierung für Zukunftsprojekte.
Eine im Auftrag der Flughafen München GmbH (FMG) erstellte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Ausbau und die Elektrifizierung der Bahnstrecke München-Mühldorf-Freilassing in Verbindung mit der geplanten Walpertskirchener Spange einen sehr viel größeren volkswirtschaftlichen Nutzen bringt als bisher angenommen. Wegen des deutlich höheren Kosten-Nutzen-Faktors forderte Michael Kerkloh, Vorsitzender der FMG-Geschäftsführung, konkrete Realisierungsperspektiven mit klaren zeitlichen Vorgaben für dieses „so eminent wichtige Infrastrukturprojekt“ in Angriff zu nehmen.
Ende Oktober sollen Lösungsmodelle, die von einem von Ramsauer eingesetzten Arbeitskreis erarbeitet wurden, vorliegen, die dann im Laufe des November diskutiert und beraten werden. Denn, so Gerhard Hess, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Bauindustrieverbands, der Minister „will keine Bedenken mehr hören, sondern Lösungsvorschläge“.
(Friedrich H. Hettler) (Die Bahnstrecke München-Freilassing/Burghausen soll endlich zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert werden - Grafik/Foto: Bauindustrie Bayern)

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